Never Change a Running System? Doch – das Fraunhofer IGCV unterstützt Unternehmen gezielt dabei, bewährte Produktionsprozesse energieeffizienter und nachhaltiger auszulegen.
Funktionieren bestehende Systeme gut, riskieren Firmen ungern Veränderungen. Das Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik (IGCV) unterstützt Unternehmen deshalb aktiv dabei, eine Transformation des Produktionssystems durchzuführen. Dabei werden Prozesse sowohl ökologisch als auch ökonomisch betrachtet, um die Risiken gering zu halten.
»Wir helfen Unternehmen zum Beispiel dabei, selbsterzeugten Strom, etwa aus Photovoltaikanlagen sowie Niedrigpreis-Zeitfenster optimal auszunutzen und die Energieeffizienz in der Produktion zu steigern«, erklärt Vincent Kalchschmid, Experte für nachhaltige Produktionssysteme am Fraunhofer IGCV. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus der Industrie, bei dem ein Unternehmen mehrere Wärmebehandlungsöfen zur Metallverarbeitung betreibt. Die Firma stand vor der Herausforderung, ineffiziente Belegungspläne zu optimieren, die zu unnötigen Aufheiz- und Abkühlzeiten führten. Durch eine gezielte Analyse der Produktionsabläufe konnte das Unternehmen eine energie-optimierte Belegungsplanung umsetzen. »Wir haben die Belegung der Öfen so angepasst, dass die Maschinen konzentrierter und unterbrechungsfreier ausgelastet sind und unnötige Warmhaltezeiten zwischen den Chargen minimiert wurden. Dafür brauchte es zwar in kürzeren Zeitabschnitten mehr Personal und eine entsprechende Logistik, um das verarbeitete Material zwischenzulagern«. Aber dank dieser Anpassungen konnte der Energieverbrauch stark reduziert werden!
Ein Hauptaugenmerk bei der Steigerung der ökologischen Nachhaltigkeit von Produktionssystemen liegt auf der Gestaltung der Energieversorgung. »Durch die Nutzung von eigen-erzeugtem Strom, beispielsweise aus Photovoltaikanlagen, und der Integration von Energiespeichern können Unternehmen ihre Versorgungssicherheit und Energiepreisstabilität in Teilen selbst sicherstellen«, betont der Fraunhofer-Experte. Um die Entscheidung für eine entsprechende Investition fundiert und unter Abwägung der wirtschaftlichen Randbedingungen zu treffen, bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung. Daher analysieren Kalchschmid und sein Team im ersten Schritt alle bestehenden Energieströme eines Unternehmens. So lassen sich energetische Zusammenhänge im Unternehmen besser verstehen und passende Maßnahmen ableiten. Woher kommt die Energie? Wann wird sie wofür genutzt? Wo wird Energie verloren? Wie sollte Energie gespeichert werden? »Durch den Einsatz von Softwaretools können wir individuelle Szenarien entwickeln, diese simulieren und so sicherstellen, dass sich strukturelle Anpassungen am Energiesystem auch wirtschaftlich lohnen«, sagt der Wissenschaftler. »Nicht jedes Unternehmen hat die gleichen Voraussetzungen. Je nach Standort und Gebäude bieten sich verschiedene erneuerbare Energieträger an. Aber auch die Produktionsumgebung und Produktionszeiten setzen einen festen Rahmen, in dem wir uns bewegen müssen.«
Neben einer nachhaltigen Energieversorgung setzt das Team am Fraunhofer IGCV auch ein Augenmerk auf die Ressourceneffizienz. »In vielen Branchen ist es möglich, die Materialeffizienz durch organisatorische Maßnahmen zu verbessern. Wir beraten Unternehmen, wie sie ihren Materialeinsatz optimieren und Abfälle vermeiden können.«
In einem aktuellen Projekt untersuchen Kalchschmid und sein Team beispielsweise, wie die Fertigung von Flugzeugrümpfen so gestaltet werden kann, dass Restmaterialien wiederverwendet werden können. »Bisher fielen bei der Produktion signifikante Mengen von Composite-Abfällen an. Eigentlich neuwertiges Material, das schlichtweg entsorgt wurde«, gibt der Experte zu bedenken. Um dem entgegenzuwirken, untersuchen die Experten neue Prozessketten, in denen diese Reste für die Herstellung von Sekundärbauteilen verwendet werden. Eine simulationsgestützte Auslegung der Prozessketten stellt dabei eine Verarbeitung vor Ablauf der Resthaltbarkeit des Materialabfalls sicher. »Durch unsere Anpassungen könnten wir große Mengen an Abfall vermeiden und damit den gesamten Produktionsprozess ressourcenschonender auslegen. On top könnte das Unternehmen Materialkosten einsparen. Eine Win-Win-Situation und ein großartiges Beispiel für eine gelungene Kreislaufwirtschaft.«
Um die Unternehmen bei dieser Transformation zu unterstützen, ist es entscheidend, dass sie über die nötigen Daten und Transparenz verfügen. »Daten sind der Schlüssel zur effektiven Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen«, sagt der Fachmann. Möglich sei das mithilfe gezielter Energiemonitoring-Systeme, mit denen Unternehmen in der Lage sind, ihren Verbrauch genau zu tracken und zu optimieren. »Neben fehlenden Daten zeigt unsere Erfahrung, dass es auch an niederschwelligen Möglichkeiten für Unternehmen fehlt, innovative Technologien zu erkunden und auszuprobieren.« Dem Ingenieur zur Folge könnten öffentlich geförderte Projekte der erste Schritt zu dauerhaften Veränderungen sein, insbesondere in wirtschaftlich unsicheren Zeiten.