Gastkommentar

Das Ohr beim Kunden und die Augen beim Lieferanten

16. Oktober 2019, 10:15 Uhr | Von Ulrich Ermel, Director New Business Development & Global Application Engineering bei Puls
Ulrich Ermel, Director New Business Development & Global Application Engineering bei Puls
© Bilder: Puls

Wie erlebt ein Hersteller von Hutschienen-Netzteilen die Obsoleszenz? Im Kommentar schildert Ulrich Ermel von Puls seine Beobachtungen und Erfahrungen.

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Aus meiner Perspektive war das letzte Jahr primär von temporärer Obsoleszenz (= Allokation) geprägt. Sofern man dieser Situation überhaupt etwas Gutes abgewinnen kann, sehe ich in puncto Obsoleszenzmanagement zwei positive Nebeneffekte. Nummer 1: Wegen der kurzfristigen Knappheit an Bauelementen haben viele Unternehmen massive Anstrengungen unternommen, um Second Sources zu qualifizieren. Der Einsatz von Second Sources ist im klassischen Obsoleszenzmanagement eine etablierte und proaktive Vorgehensweise, die oft aus Zeitmangel oder kurzen Time-To-Market-Intervallen etwas zu kurz kommt. Notgedrungen haben viele Unternehmen nun Second-Source-Komponenten in die Stücklisten aufgenommen. Auf den ersten Blick war dies ein massiver Aufwand. Im Falle einer erneuten Bauteile-Obsoleszenz kann es in einigen Jahren aber vielleicht als ein langfristiges Investment gesehen werden, um die Langzeit-Verfügbarkeit des Endproduktes zu sichern.

Der zweite positive Nebeneffekt ist, dass die Informationskette zwischen Bauteile-Anwender und -Hersteller transparenter geworden ist. Wegen der teilweise signifikanten Unterlieferungen haben zahlreiche Unternehmen Eskalationsprozesse angestoßen. Dadurch wurde eine Transparenz in der Kundenkette offenbart, die teilweise in dieser Tragweite noch nicht bekannt war. Auch diese Transparenz ist eine Maßnahme aus dem strategischen Obsoleszenzmanagement; haben alle Teilnehmer der Supply-Chain eine maximale Transparenz zur Endanwendung, so erübrigen sich häufige Planungsfehler oder Peitscheneffekte.

Der richtige Zeitpunkt für ein Redesign

Für den richtigen Zeitpunkt eines Redesigns gibt es keine allgemeingültige Aussage, aber eine enge Synchronisation mit Lieferanten und Kunden hilft. Redesigns in „Hau-Ruck-Methodik“, ohne die langfristigen Rahmenbedingungen ganzheitlich zu betrachten, sind aber in fast allen Fällen zu einem kommerziellen Scheitern verurteilt. Außerdem führen sie dazu, dass kostbare Entwicklungsressourcen kontinuierlich damit ausgelastet sind, die Produkte zu pflegen. Erfolgreiche Unternehmen nutzen ein Redesign in der Regel, um ein Produkt im Sinne des Endkunden und etwaiger neuer Industrienormen und Zulassungen zu verbessern.

Beim Obsoleszenzmanagement lassen sich im Wesentlichen mit zwei Ansätzen bereits ganz passable Ergebnisse erreichen: das Ohr beim Kunden und die Augen auf dem Markt bei den Lieferanten. Um dies zu bewerkstelligen, können Unternehmen auf sämtliche Werkzeuge und Datenbanken des Obsoleszenzmanagement-Werkzeugkastens zurückgreifen. Die Kunst besteht darin, individuell nach Ausgangslage des jeweiligen Unternehmens den richtigen Mix an Werkzeugen zu nutzen. Ein offensichtlicher Killer in diesem Kontext sind Silo-artige Unternehmensstrukturen, denn hier hat ein Obsoleszenzmanagement eigentlich keine realistische Chance auf Erfolg.

Brisant: Software-Obsoleszenz

Das Thema Software-Obsoleszenz sehe ich als hochkritisch. Insbesondere durch neue und dringend notwendige Regelungen im Bereich Cyber-Security steigen die Anforderungen an Software. Eine Applikation oder eine Firmware, die heute noch als sicher gilt, kann morgen bereits als unsicher eingestuft werden. Um diese ältere Software wieder sicher zu machen, sind in Zukunft massive Anstrengungen erforderlich. Diese führen vermutlich durch Software-Obsoleszenz – oder auch durch das Unterlassen der Software-Pflege gemäß neuer Rahmenbedingungen wie Cyber-Security – schneller als bei Hardware zu einem endgültigen KO der Applikation und einem komplettem Redesign.

Die wachsenden Anforderungen an Cyber-Security und eine hohe Dynamik in der Software-Welt bekommen Unternehmen nur in den Griff, wenn sie sich aktiv für diese Themen öffnen und diese selbst als Chance zur Verbesserung sehen. Je mehr Mitarbeiter sich mit dem Wissensaufbau in diesen Bereichen beschäftigen und sich aktiv in Arbeitskreisen engagieren, desto besser. Ohne eigenes Know-how besteht der einzige Ausweg in einer Partnerschaft mit spezialisierten Software-Partner-Unternehmen, die sich dem Thema „langfristige Verfügbarkeit“ verschrieben haben und über entsprechende Prozesse verfügen.


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