CEO Bo Lybaek und COO Thomas Kaiser von GPV reflektieren das Rekordwachstum des Unternehmens im Jahr 2023, das u. a. durch die Integration von Enics forciert wurde. Sie geben Einblicke in die aktuellen globalen Marktveränderungen und die zunehmende Bedeutung regionaler Produktion.
Für die Zukunft sieht GPV einen zunehmend positiven Trend in der BuildingTech- als auch in der Halbleiterindustrie.
Markt&Technik: Welche Faktoren trugen zu GPVs Rekordumsatz im Jahr 2023 bei?
Bo Lybaek: Der Hauptgrund für den Umsatzanstieg von 5,9 Milliarden DKK im Jahr 2022 auf 10,4 Milliarden DKK im Jahr 2023 ist, dass Enics im gesamten Jahr 2023 und nicht nur im vierten Quartal wie 2022 einbezogen wurde. Neben einem positiven Aktivitätsniveau wurde der Umsatzanstieg auch durch höhere Materialpreise und PPVs beeinflusst, die den Umsatz positiv und die Margen negativ beeinflussten. Außerdem begannen wir das Jahr 2023 mit einem überfälligen Auftragsbestand in den ehemaligen Enics-Standorten, verursacht durch einen Mangel an Komponenten und eine generell hohe Nachfrage der Kunden nach der Coronavirus-Krise.
Wie fiel das operative Ergebnis von GPV im Jahr 2023 aus und wie viel Prozent betrug der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr?
Lybaek: Das gemeldete EBITDA für 2023 betrug 743 Millionen DKK, was einem natürlichen Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zu 2022 entspricht, als Enics nur im vierten Quartal 2022 einbezogen wurde.
Kommen wir zu 2024: Welche Veränderungen gibt es in der Organisation von GPV?
Lybaek: Im Juni 2023 haben wir eine neue kombinierte Organisation auf Basis von vier Prinzipien eingeführt, nämlich Klarheit und Einfachheit, Kundenanbindung, lokale Verantwortlichkeit der Standorte und globale Stärke nutzen. Unsere neue Organisationsstruktur hat sich als funktional erwiesen, auch wenn es wahrscheinlich noch Bereiche gibt, die wir weiter vereinfachen und aufeinander abstimmen könnten. Unsere Governance-Struktur wurde um dieses neue Organisationsmodell herum aufgebaut.
Wie ordnen Sie die aktuelle Situation der Materialverfügbarkeit ein?
Thomas Kaiser: Sie hat sich entspannt und im Allgemeinen normalisiert. Bei einigen spezifischen Chips sehen wir jedoch weiterhin lange Lieferzeiten. Auch bei den Kosten sehen wir in den meisten Kategorien Verbesserungen.
Der Auftragsbestand in der Elektronikindustrie ist zurückgegangen. Wie ist die aktuelle Marktsituation für GPV?
Lybaek: Der Markt gleicht sich eindeutig aus, was prinzipiell positiv ist, aber natürlich eine klare Steuerung erfordert. Unsere Kunden bauen ihre Lagerbestände ab, die Lieferkette hat sich wie gesagt normalisiert, und der Auftragshorizont nähert sich ebenfalls wieder einem normalen Niveau an. Insgesamt hat dies zu einer weicheren Marktsituation geführt, auf die wir uns einstellen mussten.
Wann erwarten Sie, dass sich der Markt wieder erholen wird?
Lybaek: Wir hatten erwartet, dass die zweite Hälfte des Jahres 2024 eine Erholung zeigen würde, doch nun rechnen wir mit einem Wendepunkt und einer Marktbelebung im Laufe des Jahres 2025.
Welche regionalen Unterschiede haben Sie festgestellt, insbesondere in den USA, Südamerika, Asien und Europa?
Kaiser: Wir haben eindeutig einen stärkeren Markt in den USA erlebt, während Europa schwächer war. Bei unseren operativen Geschäftseinheiten haben wir festgestellt, dass die, die die Marktanpassung zuerst erlebt haben, sich leicht erholen, während wir bei den Einheiten, die die Anpassung später erlebt haben, noch auf die Erholung warten.
Experten bemängeln, dass Europa nicht vom KI-Boom profitieren kann, da es stark von der Industrie und der Automobilbranche abhängt. Wie bewerten Sie dies aus der Perspektive Ihrer Kundenbasis?
Kaiser: In Europa haben wir immer noch eine solide industrielle Basis, und die Automobilindustrie ist für einige Länder in Europa sehr wichtig, obwohl sie durch die Elektrifizierung vor Herausforderungen steht. Wir hoffen, dass sie die Wende schaffen und danach noch stärker dastehen, aber es ist eine Herausforderung.
Was die KI betrifft, sehen wir, dass Europa viel profitieren kann, allerdings war die Meinung der vorherigen EU-Kommission, dass Regulierung das primäre Werkzeug zur Steuerung dieser Entwicklung sein könnte. Als kleinere Länder – Dänemark und Schweiz – glauben wir, dass wir neue Technologien wie KI stärker annehmen und testen sollten, um Vorteile daraus zu ziehen, anstatt Angst davor zu haben.
Welche Märkte laufen Ihrer Meinung nach derzeit gut und welche weniger?
Lybaek: Schon 2023 haben wir gesehen, dass Smart-Building-Produkte im Bereich BuildingTech zurückgingen, aber dort sehen wir nun eine leichte Erholung. Unsere industriellen Segmente sind rückläufig, ebenso wie MedTech. Bei Geschäften im Zusammenhang mit der Halbleiterindustrie erwarten wir einen schnelleren Start der Erholung.
Kaiser: GPV ist nicht im CCC-Geschäft tätig (Anm. d. Redaktion: CCC = Consumer, Communication and Computing) und auch nicht direkt in der Automobilbranche. GPV ist jedoch gut positioniert bei Produkten rund um das Auto. GPV sieht einen zunehmend positiven Trend sowohl in der BuildingTech- als auch in der Halbleiterindustrie, während MedTech weiterhin in einer Schwächephase steckt.
Wie reagiert GPV auf die aktuellen Veränderungen auf dem globalen Elektronikmarkt?
Lybaek: Wie erwartet haben steigende globale Zinssätze und eine Marktanpassung zu einem niedrigeren Aktivitätsniveau in der Elektronikindustrie geführt. Gleichzeitig sind die Marktbedingungen aufgrund geopolitischer Entwicklungen weitaus komplexer geworden. Insgesamt haben der US-amerikanische Ansatz, sich von China abzuwenden, und die daraus resultierenden Markteffekte einen erheblichen Einfluss auf den globalen Handel. Wir reagieren bereits auf die regionalisierte Globalisierungstendenz. Daher befindet sich die Industrie derzeit in einer Anpassungsphase, die zusammen mit einer fortgesetzten Auslagerung spannende neue Möglichkeiten bietet.
Mexiko gilt derzeit als einer der am schnellsten wachsenden Märkte. Wie wichtig ist Mexiko für GPV?
Lybaek: Ein Großteil der Nachfrage im bedeutenden amerikanischen Markt verlagert sich nach Mexiko. Folglich verdoppelt GPV 2024 die Produktionsfläche dort, wobei das endgültige Gebäude voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2025 abgeschlossen wird. Die Produktionskapazität ist nicht neu, sondern wird aus Regionen mit geringerer Nachfrage verlagert.
Einige EMS-Unternehmen sagen, dass das Prinzip der »lokalen Produktion für lokale Märkte« wieder im Mittelpunkt steht. Wie beurteilen Sie das?
Kaiser: Wir sehen ein gemischtes Bild und sprechen heute von regionaler Globalisierung. Viele unserer Kunden verfolgen eine nachhaltigkeitsgetriebene Agenda, die eine Lokalisierung in nahegelegene Regionen erfordert. Dies betrifft nicht nur die Herstellung der Geräte, sondern beginnt bereits in der Entwurfsphase mit der Auswahl der Komponenten. Dennoch bleibt es in den meisten Fällen ein TCO-Ansatz, bei dem wir so agil wie möglich reagieren müssen.
Was sind die Prognosen von GPV für Umsatz und Betriebsergebnis im Jahr 2024?
Lybaek: Aufgrund des verschobenen Aufschwungs auf dem globalen Markt hat GPV seine Erwartungen für das Gesamtjahr kürzlich nach unten korrigiert. Die Umsatzprognose liegt im Bereich von 8,9 bis 9,3 Milliarden DKK, und die Ergebnisprognose – EBITDA – liegt im Bereich von 610 bis 660 Millionen DKK. Als Teil der Fusion mit Enics haben wir einen internen Geschäftsplan erstellt, und wir werden 2024 immer noch deutlich vor diesem Plan liegen.
Welche Herausforderungen und Chancen bietet der EMS-Markt Ihrer Meinung nach mittelfristig?
Lybaek: Nach der Bewältigung der Mangelsituation in den letzten Jahren haben unsere Kunden wieder begonnen, sich stärker auf die kommerziellen Bedingungen zu konzentrieren. Wir sind fest davon überzeugt, dass Größe zählt, und hoffen, von unserem neuen Setup nach der erfolgreichen Integration positiv zu profitieren.
Kaiser: Darüber hinaus stellt die Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards eine große Herausforderung für die EMS-Industrie dar und muss auf möglichst strukturierte Weise implementiert werden. Wir bei GPV folgen einem ausgewählten Programm und sind auf dem Weg, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CS3D – zu erfüllen. Ein erster Schritt wird darin bestehen, 2025 auf unsere umgesetzten Maßnahmen zu CS3D geprüft zu werden.