Reinecke wendet ein, das sein Kollege vor allem den globalen Bedarf, und die Entwicklung in Asien sehe, »in Europa und speziell in Deutschland, haben wir aber nach wie vor viele Industrieapplikationen, die größere Bauteiltypen benötigen, und dieser Bedarf wird dann vielleicht in Zukunft zunehmend von Nischenherstellern bedient«. Sperlichs Darstellung stimmt, »aber sie wird eben vor allem von den Bedarfen in Asien, und der Konsumer-Elektronik getrieben«. Reinecke ist sich aber sicher, »dass auch größere passive Bauelemente, solange ihr Bedarf nicht unter eine Minimalgrenze fällt, von Herstellern bedient werden wird, die sich auf diese Nischenapplikationen spezialisieren«. So macht auch Dr. Ebel klar, »das Abkündigungen durch TDK für uns als kleinen Spezialisten, immer wieder Chancen für Nischenapplikationen und –märkte bieten«.
Ein Fakt, den Sperlich gar nicht in Frage stellt, er weist aber auch darauf hin, »dass immer wieder zu beobachten ist, dass Hersteller, wenn sie dazu in der Lage sind, kleiner zu werden, diesen Schritt auch gehen, und größere Produkte dann einfach hinten runterfallen«. Bei Murata spräche man in diesem Fall von Legacy Produkten, und mache die Kunden darauf aufmerksam, »dass sie irgendwann ganz einfach nicht mehr verfügbar sein werden«.
Die Diskussion um kleiner werdende Bauteile, bringt die Runde auch zur jüngsten Akquisition von Murata – IPDiA. Mit herkömmlicher MLCC-Technik lassen sich nach Auskunft von Sperlich Kerkos mit Dicken von 300, 400 µm realisieren. »Es gibt aber Applikationen, etwa im Smartphone-Bereich, da werden Bauteildicken von 200 µm gefordert, das lässt sich dann am besten in Halbleitertechnologie realisieren«, wie er erläutert. Konkret geht es dabei darum, Kondensatoren unter den Halbleitern auf der Leiterplatte zu platzieren, aber auch das Thema Integration passiver Bauelemente in die Leiterplatte steht im Raum.
Nun sind in Siliziumtechnik realisierte Kondensatoren kein Zauberwerk der Gegenwart. Bei Siemens Matsushita beschäftigte man sich mit dem Thema schon Mitte der 1990er Jahr. »Das waren damals Kondensatoren mit 10 nF«, erinnert sich Sperlich, »und das konnten wir für die PLL im Handy gebrauchen«. Doch richtig was geworden ist daraus letztlich nicht. »Kapazitätswerte auf einer kleinen Siliziumfläche darzustellen, ist nothing special«, betont Sperlich, »das könnte jeder Halbleiterhersteller«.
Warum es dann bisher keiner der etablierten Halbleiterhersteller versucht hat, dürfte vor allem darin liegen, dass das Geschäft für sie fremd ist. »TSMC hat gar kein Interesse daran, sich da zu betätigen«, ist sich Lüthje sicher, »das wären lauter kundenspezifische Lösungen für Kunden aus einem Marktsegment, das ihnen bislang absolut fremd ist«. Bleibt abzuwarten, ob andere Spezialisten für passive Bauelemente dem Beispiel Murata folge, und sich in Zukunft, etwa durch Akquisition kleiner Foundries ebenfalls Zugang zu Halbleiterfertigungstechnik verschaffen.
Das Thema Halbleitertechnik brachte die Diskussionsrunde zu einem Thema, das in ihren Augen immer größere Bedeutung gewinnt, die immer größer werdende Wissenslücke auf Seiten der Entwickler beim Thema passive Bauelemente. »Wir sehen immer häufiger, das Entwickler heute passive Bauelemente auf das Ergebnis aus der Simulation reduzieren«, berichtet etwa Lüthje, »ganz zum Schluss, wenn dann aus der Simulation ein Board wird, muss da auch noch ein Elko drauf, aber die Leute wissen oft gar nicht, von welchen Parametern ein optimales Funktionieren dieser Bauelemente abhängt«.
»Wenn ich als Chemiker, und damit Exot in der Branche, einem Entwickler mal aus dem Inneren eines Kondensators das Äußere erkläre, gibt es da immer interessante Aha-Effekte«, berichtet Dr. Ebel, »dann verstehen sie mal, wie ein Kondensator funktioniert, den in ihrer Arbeit nehmen sie ihn oftmals nur als Ersatzschaltbild wahr«.
»Was in der Simulation gut läuft, muss in der Realität noch nicht zwangsläufig funktionieren«, pflichtet Bjørn bei, »vor diesem Hintergrund ist ja auch unser Capacitor Competence Center entstanden, eine Art Hotline für Notfälle, den der Leidensdruck da draußen ist hoch«!
Einer der Gründe dafür ist für ihn die Tatsache, dass der Elko kein Gegenstand ist, der an den Unis vertieft behandelt wird. »Dazu kommt, dass ältere Entwickler oftmals nicht unbedingt bereit sind, ihr Wissen zu teilen, da mag die Sicherung des eigenen Jobs eine Rolle spielen«. Unter dem Kostendruck der letzten Jahre seien zudem die Sicherheitspuffer geschwunden, wenn in der Applikation etwas Unvorhergesehens passiere, schlage dass oftmals anders als in der Vergangenheit, als mit großen Sicherheitspuffern gearbeitet wurde, eben voll durch.
»Es ist nach wie vor eine Vielzahl alter Designs im Umlauf, die ausgereizt werden«, erläutert Reinecke, »und an denen hängt hinten immer mehr dran«. Er konstatiert ganz eindeutig eine Wissenslücke bei Alu-Elkos und Kondensatoren. »Die MLCCs knabbern immer mehr von unten her an den Alu-Elkos, Tantal verschwindet langsam, dafür kommen zunehmend Polymer- und Hybrid-Kondensatoren auf den Markt«, schildert er, »da steckt eine Menge Technologie dahinter, die verarbeitet werden muss, und da tun sich einige Entwickler schon schwer«.
So tauche beispielsweise immer wieder die Frage auf, warum Wettbewerber in Designs mit drei Kondensatoren auskommen, während man selbst vier benötige. »Unser Tipp ist dann immer, die Spule in die Gesamtbetrachtung mit aufzunehmen, dann komme man häufig auch mit drei Kondensatoren aus«, berichtet Reinecke, »aber häufig werden Designs eben einfach 1 : 1 ausgetauscht, oder gewisse Teilaspekte eines Designs immer wieder übernommen«.