Europa-Lager: 11.000 Aufträge täglich

»Wir verstehen uns als Stocking-Distributor«

29. März 2022, 12:41 Uhr | Karin Zühlke
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Manuelle Lagerhaltung

Das Lager hier am Standort ist nicht voll‑­, sondern teilautomatisiert. Welche Vorteile bietet das?

Wir werden auch nicht voll automatisieren, denn wir sind der Ansicht, dass es für manche Produkte sehr schwierig ist, eine sinnvolle Automatisierung zu realisieren, etwa bei großen Terminals oder langen Schrumpfschläuchen. In solchen Fällen macht eine manuelle Lagerhaltung absolut Sinn. Wir glauben auch für die Zukunft an den Erfolg mit der Kombination von Automatisierung und manuellem Anteil.

Wir kombinieren zudem auch die unterschiedlichsten Lagerhaltungstechniken, um eine größtmögliche Ausgewogenheit und Flexibilität zu erreichen. Wir wissen schließlich nicht genau im Voraus, was wir im nächsten Jahr an Ware verkaufen; so sind wir für alles gewappnet: Wir haben ein Autostore-System mit 211.000 Kisten auf einer Bühne, übrigens das größte weltweit, ein Hochregallager für 30.000 Paletten, eine Fachbodenanlage für 30.000 Lagerplätze, 40 Lifte etc.

Welche Strategie steckt hinter der Erweiterung des Lagers – auch in Bezug auf die Standortpolitik TTIs in Bezug auf Europa bzw. Zentraleuropa?

Es ist ein klares Commitment zu diesem Standort. Damit sind wiederum automatisch Strategien vorgegeben. Denn wenn man im Raum München wachsen will, gibt es einige Engpässe. Das ist zum einen Land und zum anderen Mitarbeiter-Ressourcen.

Wir müssen also in Volumen denken und versuchen, die maximale Höhe der Gebäude zu nutzen. Zudem brauchen wir intelligentes und qualifiziertes Personal. Dafür ist der Standort unserer Ansicht nach sehr gut, wie sich gezeigt hat: Wir haben hier sehr engagierte Teams, sonst könnten wir diese Ergebnisse nicht erzielen. Beide Expansionsstufen, 2018/19 und 2021, haben wir realisiert, ohne dass ein Kunde etwas davon mitbekommen hat. Das ist eine tolle Leistung und so etwas geht nur in guten Teams.

Das AutoStore-System, das TTI hier einsetzt, dürfte zu den modernsten am Markt zählen. Worin liegen genau die Vorteile?

Der Vorteil liegt in der maximalen Raumnutzung, da sie keinerlei Gänge benötigen, anders etwa als ein Shuttle-System. Sie können flexibel auf die lokalen Gegebenheiten eingehen. Ein einfaches Beispiel: Jede Halle hat Stützen. Ein AutoStore-System lässt sich einfach drum herum bauen. Hinzu kommt die Redundanz. Wenn ein Roboter ausfällt, läuft das System weiter. Wir haben 100 Roboter im System; selbst wenn zehn davon ausfallen würden, würde das System problemlos weiter funktionieren. Außerdem lässt sich das AutoStore-System fast schon modular erweitern. Da wir im Hinterkopf immer das weitere Wachstum haben, ist das natürlich auch ein wichtiges Kriterium.

Durch welche technischen Assistenzsysteme bzw. Smart Systems wird dem Ergonomie-Aspekt für die Beschäftigten Rechnung getragen?

Unsere Lager-Arbeitsplätze sind weitmöglichst ergonomisch ausgestaltet. So haben wir in hohem Maße das Prinzip »Ware zum Menschen« umgesetzt. Diese Arbeitsplätze haben wir mit den Teams gemeinsam definiert, sowohl für den Versand als auch den Kommissionier-Bereich. Wir haben außerdem als eines der ersten Unternehmen Handrücken-Scanner eingesetzt. Diese Art von Scanner bieten den großen Vorteil, dass die Beschäftigten beide Hände frei haben. Darüber hinaus setzen wir auf automatische Shuttles anstatt einer manuellen Konsolidierung und haben Laufwege weitestgehend eliminiert. Dazu wurden etwa 2,5 Kilometer Fördertechnik verbaut. Zusätzlich und insbesondere seit 2021 setzen wir auf selbstfahrende Systeme, die Ware bzw. Aufträge von A nach B bringen. Zum Einsatz kommen diese Geräte dort, wo wir sich wiederholende Laufwege haben. Außerdem nehmen selbstfahrende Stapler Paletten auf und stellen diese an Stationen bereit. Unlängst haben wir auf einen Mitarbeiter-Vorschlag hin Wannen durch Federbodenwagen ersetzt. D. h. in der Wanne befindet sich ein Federboden, der sich hebt oder senkt. Das ist deutlich rückenschonender, da die Ware nicht tief aus der Wanne herausgeholt werden muss, sondern sich je nach Inhalt in der Höhe anpasst. Die Mitarbeitermotivation und der Teamgeist sind grundsätzlich sehr wichtig für uns, und wir versuchen stets, ein angenehmes Arbeitsklima zu schaffen.

TTI
Der erste Mitarbeiter betritt um 4 Uhr morgens das Warehouse, und abends ist Schluss, wenn die letzte Auftragsposition versendet ist, die versendet werden muss. Das ist üblicherweise gegen 18:30 Uhr.
© TTI

Welche Aspekte der Logistik 4.0 sind im neuen Lager zu finden?

Ich bin der Ansicht, das, was wir heute alles umsetzen, entspricht in hohem Maße der Logistik 4.0. Wir haben, wie vorhin beschrieben, vernetzte Systeme, selbstfahrende Stapler und Fördertechnik, die über Sensoren intelligent stoppt und weiterfährt. Wir verfügen über vollautomatische Konsolidierungssysteme, um nur einige Beispiele zu nennen. Das sind alles Kriterien einer intelligenten Logistik und vernetzten Arbeitens.

Und wie tragen Sie der zunehmenden Forderung nach Nachhaltigkeit und Energieeinsparung im Warehouse Rechnung?

Wir haben in allen Bereichen Luftreinigungssysteme installiert. Das AutoStore-System ist aus meiner Sicht eine der energiesparendsten Möglichkeiten, eine derartige Logistik, wie wir sie haben, zu betreiben. Laut Unterlagen von Autostore verbrauchen fünf der Roboter so viel Strom wie ein Staubsauger. Das ist im Vergleich zu anderen automatisierten Systemen wenig.

Unsere Fördertechnik stoppt, wenn gerade keine Ware den Bereich passiert, und auch unsere automatische Packstraße trägt einen großen Anteil zur Nachhaltigkeit bei. Dort werden Kartons auf die minimale Höhe getrimmt, um das kleinstmögliche Volumen zu versenden. Gleichzeitig arbeiten wir ausschließlich mit Kartonagen und ohne anderes Verpackungsmaterial. Wir setzen nur zwei Grundmaße an Kartons ein, sodass die Stapelbarkeit optimal gegeben ist und die LKW-Ladeflächen maximal genutzt werden können.

Zudem haben wir auch die Beleuchtung energieeffizient ausgestattet. Solartechnik werden wir ebenfalls noch in diesem Jahr installieren bzw. einsetzen.

Welche Standards bzw. Zertifizierungen kann das Warehouse vorweisen?

TTI verfügt über ISO 9001, 9120, 9100, 14001, 27001, IECQ CECC sowie den AEO, den bekannten Versender und C-TPAT.

Und wie lange wird die aktuelle Fläche prognostisch ausreichen? Wird es in Zukunft noch weitere Vergrößerungen des Lagers in Maisach-Gernlinden geben?

Wir planen mit 10 Prozent Steigerung pro Jahr, und wenn man das so rechnet, dann gelangen wir 2026/27 an den Punkt, wo es schwer werden wird, noch auf bestehende Lösungen zurückzugreifen. Also: Die Strategie ist ganz klar, an diesem Standort weiter zu wachsen. Wir versuchen weiterhin intelligent zu automatisieren und das Volumen maximal zu nutzen, das uns zur Verfügung steht. Wir sind auch schon dabei, die nächsten Flächen-Erweiterungen zu klären. Gleichzeitig sind wir hierzu bereits am Beginn der internen Lagerplanung und überlegen in Workshops, wie die Warenflüsse in Zukunft aussehen können und welche Technologie wir einsetzen wollen.

Welche Rolle spielt die Funktionsweise Ihres Lagers für Ihre Supply Chain insgesamt? Dahinter steckt die Frage, ob und wieweit sich ein optimal eingetaktetes Lager im Idealfall auch positiv auf die Lieferzeiten auswirkt.

Wenn man über Lieferzeiten von über 50 Wochen spricht, wage ich zu bezweifeln, ob einige Stunden, die man im Lager beschleunigen kann, wirklich eine Rolle spielen.

Für uns ist die Lagerhaltung an sich entscheidend, da wir damit unser Dasein als Stocking-Distributor untermauern. In unserem Spezialbereich »Passive+Stecker« effizient zu agieren ist noch mal eine größere Herausforderung
als beim Gesamtportfolio eines Broadliners. Ich sehe den Nutzen darin, dass wir diesem Anspruch gerecht werden, indem wir zuverlässig sind und unser Lager funktioniert, dass die Ware pünktlich unser Lager verlässt und wir eine hohe On-Time fahren. Wir haben in Europa etwa 900 Kunden in Logistik-Programmen mit kurzer – sprich: eine Woche – Lieferzeit. Wir wickeln hier 100.000 Kundenteilenummern ab, die über solche Short-Lead-Time-Programme wie JIT oder Kanban laufen. Und dabei spielt ein funktionierendes Lager natürlich eine tragende Rolle.

Jenseits aller praktischen und technologischen Vorzüge, die das europäische Zentrallager bietet: Was macht das neue Warehouse aus Ihrer persönlichen Sicht einzigartig?

Für uns war die Lagererweiterung ein großer Schritt. Wir sind bei TTI in Europa das »State of the Art«-Lager. Das Lager in den USA ist zwar größer, aber weit nicht so automatisiert wie unser Standort. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir das gesamte Projekt intern geplant und konzipiert haben und nicht mithilfe von externen Beratungsunternehmen. Situativ holen wir uns natürlich Expertenmeinungen von außen ein, etwa wenn es um spezielle Aufgabenstellungen oder Spezialmaschinen geht. Wir sind sehr flach organisiert, jeder im Management kann jede Tätigkeit im Lager übernehmen. Auch in Pandemiezeiten sind wir hier vor Ort und nicht im Homeoffice, damit wir unserem Team zeigen, dass wir uns wirklich als Team verstehen. Ich denke, wir tun eine ganze Menge für den Teamgeist und bekommen auch eine Menge zurückgezahlt.


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