Mit der jüngsten Erweiterung hat TTI 2021 sein europäisches Zentrallager nicht nur vergrößert, sondern auch weiter automatisiert. Gleichzeitig betont Thomas Rolle, Vice President European Operations von TTI: »Das beste Automatisierungssystem ist nur so gut wie die Menschen, die es bedienen.«
Markt&Technik: Ein paar Fakten vorweg: Wie viele Herstellerlinien hat TTI aktuell auf der Linecard, wie hoch ist der Lagerwert in etwa und wie viele Mitarbeiter beschäftigt TTI im europäischen Zentrallager?
Thomas Rolle: Derzeit haben wir 83 Hersteller auf der Linecard. Unser Lagerwert liegt zum aktuellen Stand bei ca. 350 Millionen Euro. Etwa 350 Mitarbeiter arbeiten im Warehouse, davon 150 Inbound und 200 Outbound.
Und wie hoch ist der tägliche Durchsatz?
Im Schnitt gehen aus dem Zentrallager in Maisach-Gernlinden etwa 11.000 Auftragspositionen pro Tag an die Kunden. Das entspricht im Schnitt 4800 Kartons und etwa 120 Paletten.
In welchem Modus bzw. Schichtbetrieb wird gearbeitet und wie lange dauert es im Durchschnitt, bis eine Bestellung das Lager verlässt?
Wir arbeiten nicht im klassischen Schichtbetrieb, sondern streng nach Pull-Prinzip, so wie es am effizientesten machbar und erforderlich ist. Das heißt, wir teilen auf Basis des täglichen Auftrags-Batches bestmöglich ein, mit dem Ziel, einen optimalen Warenfluss umzusetzen.
Etwas anschaulicher formuliert: Eine hohe Leistung in einem Teilbereich ist sicher sehr effizient, aber gegebenenfalls ist der Warenfluss hierdurch nicht optimal. Daher besteht die tägliche Herausforderung darin, den bestmöglichen Mix zu finden, und auf dieser Grundlage werden die Teams eingeteilt.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Der erste Mitarbeiter betritt um 4 Uhr morgens das Warehouse und abends ist Schluss, wenn die letzte Auftragsposition versendet ist, die versendet werden muss. Das ist üblicherweise gegen 18:30 Uhr.
Wie genau definieren sie, ob eine Sendung am selben Tag noch versendet werden muss?
Wenn der Kunde uns einen Auftrag erteilt, bekommt er einen Liefertag bestätigt. Dieser Tag ist verbindlich, wird im Warenwirtschaftssystem hinterlegt und unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit an das Lagerverwaltungssystem übergeben. Hinzu kommen noch sogenannte MST-Aufträge; MST steht für »Must Ship Today«. Das sind in etwa 300 bis 400 Auftragspositionen täglich, die meist telefonisch platziert werden. Der Annahmeschluss für MST-Aufträge ist in der Regel um 15 Uhr am selben Tag; in sehr eiligen Ausnahmefällen aber auch 16 oder sogar 17 Uhr.
Der Kunde kann also seine Spontan-Bedarfe ad hoc bei TTI bestellen? In Zeiten, wo es überall knarzt in der Lieferkette, ist das eher ungewöhnlich.
Unser Ziel ist es, einen großen Teil des Lagerbestandes ATS – also Available to Sell – zu haben. Daher verfügen wir – wie eingangs schon gesagt – über einen sehr hohen Lagerwert. Wir sind ein Stocking-Distributor, um genau solche Anforderungen bedienen zu können. Das ist in diesen Tagen sicherlich herausfordernder, aber nichtsdestotrotz haben wir jeden Tag diese Fülle an Aufträgen und können diese auch bedienen.
Handelt es sich dabei um Rahmenaufträge?
Nein, die Masse sind spontane und ungeplante Bedarfe aus der Produktion.
Welche Regionen in Europa/EMEA versorgt das Lager in Maisach-Gernlinden?
Wir sind das Zentrallager für Europa und EMEA und bedienen die gesamte Region mit Ausnahme von Israel. Dort haben wir eine eigene Firma, an die wir teilweise Ware liefern und die den dortigen Markt eigenständig bedient.
Wir liefern aber neben EMEA auch in andere Weltregionen wie Asien oder USA. In solchen Fällen ist der Kundenwunsch der Treiber. Etwa, wenn der Kunde global aufgestellt ist, aber seinen Zentraleinkauf in Europa hat und möchte, dass wir ihn zentral aus Europa heraus beliefern. Ein solches Modell setzen wir bereits für zahlreiche Kunden um.
Konnten Sie die Geschwindigkeit des Warendurchsatzes durch die Neuerungen bzw. Erweiterung 2021 im Vergleich zu vorher erhöhen?
Seit der Inbetriebnahme der ersten Expansion 2018/2019 haben wir die Produktivität um 20 Prozent erhöht.
In Bezug auf die Durchlaufzeit muss ich wie vorhin schon erläutert darauf verweisen, dass wir Batches bilden. Dadurch hat man nicht die minimale Durchlaufzeit, dafür aber die höchste Effizienz. Die minimale Durchlaufzeit beträgt 10 bis 15 Minuten, aber aufgrund des Batchings sind die meisten Aufträge ein bis zwei Stunden im Lager unterwegs.
Selbst die eiligen Aufträge, die über den Tag platziert werden, werden in Batches zusammengefasst, z. B. um 14 und 15 Uhr. Würde ich jeden Mitarbeiter für jeden Auftrag losschicken, dann hätte man sehr lange Wege. Das Thema »Effizienz versus Flow«, das zieht sich durch jede Lager-Organisation hindurch.
Wir arbeiten außerdem mit der zweistufigen Kommissionierung. Das heißt, jeder Mitarbeiter kommissioniert zunächst eine Position, dann gibt es einen zweiten Arbeitsschritt, in dem die Positionen zu Aufträgen zusammengefasst werden. Das wurde früher manuell gemacht; inzwischen wickeln wir dies vollautomatisch ab. Durch diesen Automatismus haben wir an Produktivität und Durchlaufzeiten gewonnen, und auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirkt sich das positiv aus. Denn die Tätigkeit der Konsolidierung war sehr laufintensiv und daher teils sehr anstrengend für die dort eingesetzten Kolleginnen und Kollegen. Diese Ressourcen können wir nun anderweitig einsetzen.
Wie kann ich mir das Procedere der Einteilung für diese Batches vorstellen?
Ein Teil wird vom System generiert, ergänzt durch die Intelligenz des Menschen. Wir setzen hier auch sehr viel Automatisierung ein, aber das beste Automatisierungssystem ist nur so gut wie die Menschen, die es bedienen. So ist es beim Batching auch. Es gibt Effekte, welche die verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen besser einkalkulieren können als das System. Stand heute vertrauen wir also weiterhin stark auf den Faktor Mensch. Inwieweit in einigen Jahren hier ein KI-System weiterführende Aufgaben übernehmen kann, bleibt abzuwarten.