Zölle, Lieferengpässe und volatile Märkte fordern die Elektronikdistribution heraus. DigiKey setzt dabei auf Lehren aus der Pandemie: Lieferfähigkeit hat oberste Priorität – und entscheidet darüber, wer bei Designprojekten der nächsten Generation noch eine Rolle spielt.
Details von Tim Carroll, VP Digitalgeschäft bei DigiKey.
Markt&Technik: Derzeit ist der Markt von Unsicherheiten und neuen Zöllen geprägt. Viele Unternehmen fühlen sich an das Chaos in der Pandemie erinnert. Wie nehmen Sie die Lage wahr?
Da kann ich nur zustimmen. Die heutige Situation – insbesondere die Schwankungen bei Zöllen und die wirtschaftliche Unsicherheit – erinnert in vielerlei Hinsicht an die Herausforderungen während der Pandemie. Genau deshalb lohnt es sich, die damaligen Lehren jetzt gezielt einzusetzen. Bei DigiKey tun wir das aktiv. Wir haben in den vergangenen Jahren wertvolle Erfahrungen gesammelt, die uns heute helfen, besser auf diese neuen Turbulenzen zu reagieren.
Was konkret hat DigiKey aus dieser Phase gelernt?
Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, wie stark Unsicherheiten in der Lieferkette die Kaufentscheidungen beeinflussen. Während der Pandemie haben wir gesehen, dass Kunden plötzlich nicht mehr unbedingt nach dem technisch besten Bauteil gesucht haben, sondern nach Komponenten, die überhaupt verfügbar und zu stabilen Preisen lieferbar waren. Dieser Trend hat sich bis heute gehalten.
Das heißt, die Verfügbarkeit ist »Key«?
Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass Entwicklungsabteilungen gezielt unsere Website nach lagerhaltigen Bauteilen durchsucht haben – und ihre Designs dann um diese Verfügbarkeit herum gebaut haben.
Hinzu kommt: Mehr als die Hälfte unserer Website-Kunden kaufen heute ohne konkrete Präferenz für bestimmte Teile oder Anbieter. Sie priorisieren Verfügbarkeit und Preis über technische Spezifikationen oder Marken.
Was bedeutet das für die Lieferanten?
Vor allem auf dem heutigen schnelllebigen und hart umkämpften globalen Markt ist es für Anbieter von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass ihre Produkte wann immer möglich zollfrei sind und zum Versand bereitstehen. Wird dies versäumt, gefährdet dies nicht nur den unmittelbaren Absatz, sondern kann auch dazu führen, dass man von dem entscheidenden 12- bis 18-monatigen Designzyklus ausgeschlossen wird, auf den sich viele OEMs und Entwicklungsteams bei der Auswahl von Komponenten für die kommende Produktentwicklung verlassen. Sobald sich dieses Fenster schließt, wird es schwieriger, wieder Fuß zu fassen, da Ingenieure und Beschaffungsteams in der Regel bei den Komponenten bleiben, die sie bereits validiert und in ihre Systeme eingebaut haben.
Das klingt nach einem strukturellen Risiko.
Ja, in der Tat. Rückblickend haben wir von einigen unserer Anbieter gehört, dass sie nicht in der Lage – oder in einigen Fällen nicht willens – waren, während dieser Zeit angemessene Lagerbestände zu halten oder eine zuverlässige Logistik zu gewährleisten. Infolgedessen wurden sie zugunsten von Wettbewerbern übergangen, die die Nachfrage und die Fristen einhalten konnten, was zum Verlust einer ganzen Generation von Entwicklungsaktivitäten führte, was wiederum langfristige Marktanteilsverluste zur Folge hatte. Selbst nachdem sich die Lieferketten stabilisiert hatten, war es für diese Unternehmen nicht einfach, sich in den Design-Pipelines wieder zu etablieren, die ohne sie weitergelaufen waren. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie wichtig Lieferkontinuität und strategische Voraussicht für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit auf dem Elektronik- und Komponentenmarkt sind.
Wie unterstützt DigiKey in diesem Umfeld die Kunden?
Wir haben verschiedene Maßnahmen ergriffen. Zum einen haben wir in unserer Website einen speziellen Filter eingeführt, der es Kunden erlaubt, gezielt zwischen zollpflichtigen und zollfreien Produkten zu wählen. Dadurch können sie unnötige Zollkosten vermeiden.
Darüber hinaus setzen wir auf strategische Logistiklösungen: Seit 2020 betreiben wir die größte Freihandelszone – Foreign Trade Zone, kurz: FTZ – in den USA. Durch die Partnerschaft mit dem FTZ-Programm von DigiKey wird DigiKey zum registrierten Importeur und übernimmt die Abwicklung der Formalitäten, Zollanmeldungen und das Zollmanagement, was zu geringeren Kosten und niedrigeren Preisen führt.
Ein Produkt, das in unser Lager kommt und dann direkt international verschickt wird, gilt rechtlich nicht als in die USA eingeführt. Dadurch umgehen wir in vielen Fällen Zollabgaben und können wettbewerbsfähigere Preise anbieten.
Nutzen Sie noch weitere Instrumente?
Für Produkte, die zwar importiert, aber nicht in den USA verbraucht und später wieder ausgeführt werden, erhalten wir die gezahlten Zölle zurück. Außerdem haben wir unseren DigiKey-Marktplatz etabliert, auf dem Hersteller und Distributoren ihre Produkte direkt anbieten und international versenden können. Auch das hilft, Zusatzsteuern und Zollkosten für die Kunden zu begrenzen und die Effizienz zu erhöhen.
Wie binden Sie Ihre Zulieferer in diese Strategien ein?
Wir pflegen enge Partnerschaften mit unseren Lieferanten. Wir ermutigen sie aktiv, sich an unseren FTZ-, Zollrückerstattungs- und Marktplatzprogrammen zu beteiligen. Es geht darum, gemeinsam die besten Import- und Exportlösungen zu finden, damit wir unseren Kunden stets attraktive Preise und zuverlässige Verfügbarkeit bieten können.
Letztlich profitieren beide Seiten davon: Unsere Lieferanten bleiben in den Designzyklen präsent und verlieren keine Marktanteile, unsere Kunden können ihre Produkte ohne Verzögerungen und zusätzliche Kosten entwickeln.
Wie entwickelt sich Ihr Geschäft momentan?
Sehr positiv. Trotz der Unsicherheiten verzeichnen wir derzeit eine starke Kundennachfrage. Die Kundenaktivität liegt auf historischem Höchststand – sei es bei Versandvolumen, Lagerentnahmen oder direkter Kommunikation.
Unsere digitalen Fähigkeiten entwickeln sich dynamisch weiter. Im ersten Quartal 2025 haben wir fast 100.000 neue Produkte eingeführt und über 100 neue Anbieter integriert. Wir investieren gezielt in Technologien der nächsten Generation und in die weitere Optimierung unserer digitalen Plattformen.
Wie optimistisch sind Sie für die nähere Zukunft?
Wir sind zuversichtlich. Natürlich beobachten wir die laufenden Zolländerungen sehr genau und passen uns flexibel an. Aber die Nachfrage ist stark, unser Service ist robust aufgestellt, und unsere Partnerschaften funktionieren gut. Mit den richtigen Strategien, die wir auch aus den Pandemie-Erfahrungen abgeleitet haben, sehen wir gute Chancen, auch in diesem schwierigen Umfeld weiter zu wachsen.