Gilles Beltran ist seit Januar 2021 President von Avnet Silica, und damit fiel sein Amtsantritt mitten in die Corona-Pandemie. Die Herausforderungen sind seinen Worten zufolge vielschichtig: von der Halbleiterknappheit über neue Arbeitswelt bis hin zu neuen Technologien.
Markt&Technik: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Gilles Beltran, Avnet Silica: Alles in allem werden wir meiner Meinung nach auch 2022 ein sehr herausforderndes Jahr auf dem Halbleitermarkt erleben. Viele Schlüsselparameter haben Einfluss auf die Gesamtsituation: Wir wissen, wie hoch die Produktionskapazitäten mehr oder weniger sein sollten, zumindest insgesamt, nicht die Details für jedes einzelne Produkt. Aber es gibt eine Menge Parameter, die die Sichtbarkeit erschweren. Nichts ist mehr regional, alles ist global und alles spielt zusammen. Wenn es also in einer Region Probleme gibt, dann hat das auch Auswirkungen anderswo: Beispielsweise haben die Lockdowns in China Auswirkungen auf die Produktion und die Fracht. Man muss klar sagen: Was heute aus irgendwelchen Gründen nicht produziert wird, kann auch nicht so einfach wieder aufgeholt werden. Das Gesamtvolumen und auch die Nachfrage sind weiterhin stark.
Was macht insbesondere die Halbleiter-Lieferketten so anfällig?
Im Durchschnitt besteht die Fertigung von Halbleiterkomponenten aus etwa 1000 Schritten in der gesamten Produktion. Ein Halbleiter ist eines der komplexesten Produkte. Und jeder Produktionsschritt birgt Unwägbarkeiten, in Abhängigkeit von den jeweiligen Parametern.
Und wann erwarten Sie eine Stabilisierung des Halbleiter-Marktes?
Das ist eine schwierige Frage. Ich kann Ihnen darauf keine klare Antwort geben. Wir können heute nicht genau vorhersehen, was morgen passiert, unabhängig davon, ob wir sagen, dass die Situation sich Mitte 2023 oder Anfang 2023 entspannen könnte.
Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass sich bei all den verschiedenen Parametern, die ich gerade genannt habe, alles wieder ändern kann; die Abriegelung in China ist ein Beispiel dafür oder die Situation in der Ukraine und ihre wirtschaftlichen Folgen. All diese Dinge werden einen gewissen Einfluss auf das Timing haben.
Eines ist klar: Die Nachfrage steigt und wird mittelfristig weiter deutlich zunehmen. Wir sehen viele große technologische Veränderungen, wie Elektrifizierung, Energieeffizienz und 5G sowie die entsprechende Infrastruktur dafür.
In diesen Bereichen werden eine Menge MOSFETs benötigt. Der Bedarf an Leistung wird sozusagen explodieren.
Um höhere Stückzahlen zu erreichen, müsste man die Produktion von 200-mm-Wafern auf 300-mm-Wafer umstellen. Derartige Upgrades auf größere Wafer sind bei analogen Produkten noch schwieriger als bei digitalen, da sie ein völlig neues Design von Grund auf erfordern, was vor allem bei neuen Produkten und nicht bei bestehenden Produkten der Fall wäre. Das ist auch einer der Gründe, warum es mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, die Kapazität hier zu erhöhen. Und das gilt nur für die Front-End-Produktion. Auch das Back End inklusive Test und Packaging muss in Bezug auf die Kapazitäten wachsen.
Wie Sie sehen, ist die Situation sehr komplex, wenn man die genauen Daten der Marktveränderungen wissen will. Und deshalb wird praktisch jeder falsch liegen, wenn er Ihnen genaue Daten nennt, wann die Dinge einfacher werden. Man kann ein Gefühl für die Situation haben, aber das ist und bleibt nur ein Gefühl und keine Tatsache.
Was bedeutet das für Avnet Silica – gern auch in konkreten Umsatzzahlen?
Wir befinden uns in der Quiet Period (Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt des Interviews), daher kann ich keine Zahlen bekannt geben. Aber um Ihnen einen Eindruck zu vermitteln: Wir steigern sowohl den Umsatz als auch unseren Netzwerkanteil bei unseren Hauptlieferanten. Wir sind 2021 mit allen von ihnen gewachsen.
Wenn wir von Wachstum sprechen, wird auch immer wieder die Frage nach Preiserhöhungen laut.
Die Preiserhöhung wirkt sich auf die Einnahmen aus, aber gleichzeitig stehen wir auch unter starkem Kostendruck.