Rechnen Sie damit, dass noch neue Player in die Katalogdistribution eintreten?
Holger Ruban: Das kommt darauf an. Für einen kleinen No-Name, der sein Geschäft aufbauen möchte, ist die Eintrittshürde jedenfalls sehr hoch. Es sei denn, er spezialisiert sich auf eine kleine Nische. Ansonsten müsste er ein sehr hohes Investment tätigen.
Könnte Amazon zur Bedrohung für die Katalogdistribution im Elektronik-Sektor werden?
Holger Ruban: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Amazon in den nächsten Jahren in diesen Bereich eintreten wird. Wir sehen es an uns selbst, dass man extrem schnell lernen kann. Mit entsprechendem Investment ist einiges möglich.
Stefan Fuchs: Amazon ist gut bei den Prozessen im B2C-Geschäft. Ob das letztlich reichen würde, auch Key Accounts im B2B-Bereich zu gewinnen, steht auf einem anderen Blatt.
Welche Mittel hat die Katalogdistribution, um sich gegen solche Player zur Wehr zu setzen?
Holger Ruban: Es ist die Frage, wie man sich differenzieren kann, und das wird in der Tat immer schwieriger. Viele Mittel sind ausgereizt. Natürlich haben wir, wie auch andere, tolle Service-Angebote, wie etwa den Schablonen- und PCB-Service, eine kostenlose CAD-Software zum Herunterladen etc. Aber im Kern des Geschäfts wird ein Katalogdistributor gemessen an der absoluten Qualität des Prozesses und der Logistik. Extra-Services sind wichtig und bei einigen Kunden sehr willkommen. Aber für alle Kunden gilt: Der Kunde will die Ware zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge und Qualität, zum richtigen Preis am richtigen Ort bekommen. Hier liegt aus meiner Sicht ein entscheidendes Unterscheidungs-Merkmal. Der Distributor, der als erster diese Prozesse absolut exzellent ausführen kann, wird sich einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Marktbegleitern erarbeiten. Die Service-Exzellenz ist der Schlüssel zum Erfolg.
Das heißt, Sie nehmen derzeit auch für Conrad Business Supplies noch nicht in Anspruch, exzellent zu sein?
Holger Ruban: Wir lernen, wir sind gut, aber als exzellent würde ich derzeit keinen Katalogdistributor bezeichnen. Damit wir uns richtig verstehen: Wir sprechen nicht von riesen Sprüngen, die fehlen, sondern von Quäntchen: ein Quäntchen bessere Lagerverfügbarkeit, weniger Fehler in der Logistik und Verpackung und weniger Ausfälle. Wenn das alles zusammenkommt, wird aus diesen kleinen Elementen etwas Großes. Das sieht der Kunde nicht sofort unmittelbar, aber große Kunden können auch das durchaus messbar machen und sehen, dass sie durch exzellente Prozesse einiges an Zeit sparen. Wenn Sie uns also fragen, wo wir uns differenzieren wollen, dann lautet die Antwort: Wir wollen gerade in diesem Bereich mit Abstand der Beste werden. Wir haben eine sehr steile Lernkurve in diesen Dingen und arbeiten sehr hart daran, das sehr schnell umzusetzen. Das schließt die anderen Services, wie gesagt, nicht aus, aber sie sind die Kirsche auf dem Kuchen und nicht der Kuchen selbst.
Kommen wir nochmal zurück auf das Sortiment – wo haben Sie noch Lücken identifiziert?
Stefan Fuchs: Lassen Sie mich hier etwas ausholen: Wir hatten im Januar 2012 200.000 Artikel. Im Jahr 2012 und 2013 haben wir jeden Monat 10.000 Artikel aufgenommen. 2014 haben wir monatlich etwa 20.000 neue Artikel aufgenommen und sind heute bei etwa 600.000 Artikeln. Wir hatten bei Halbleitern große Defizite, das ist kein Geheimnis. Hier haben wir inzwischen schon viel erreicht und konnten wichtige Player an Bord holen. Aber es gibt noch einigen Erweiterungsbedarf, und wir sprechen gerade mit weiteren großen Halbleiter-Herstellern, um diese Lücken zu schließen. Aktuell kann ich noch keine Namen nennen, aber in Kürze wird es dazu ein Announcement geben. Auch im Bereich Entwicklungskits sind wir noch nicht am Horizont angelangt. Hier wird es in nächster Zeit ebenfalls weitere Ergänzungen geben. Auch im passiven Bereich haben wir wichtige neue Partnerschaften geknüpft, zum Beispiel 40.000 Teile von WIMA ins Programm aufgenommen. Das ist branchenweit einzigartig. Oder auch ein großes Sortiment von Bourns und Würth Elektronik. In Kürze werden wir auch eine weitere bedeutende Franchise im Passiv-Segment verkünden können.
Im MRO-Segment war Conrad von jeher stark. Wird es auch hier noch Erweiterungen geben?
Holger Ruban: Die Vielseitigkeit des MRO-Sortiments inklusive Messtechnik und Werkzeuge ist sicher derzeit herausragend bei uns. Wir haben heute zum Beispiel 40.000 verschiedene Kabel von der kleinsten Litze bis hin zu Massekabeln fürs Auto, Computerkabel usw. Um diese Vielfalt beneidet uns so mancher Elektrogroßhandel. Der Kunde erhält über den Kabelmeterservice zusätzlich genau die Kabellänge, die er braucht. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wir werden MRO nicht vernachlässigen und uns auch hier kontinuierlich weiterentwickeln.
Conrad ist, anders als andere Katalogdistributoren, weiterhin bereichsübergreifend auch für private Kunden da?
Stefan Fuchs: Ja genau. Über den B2C-Bereich können bei uns grundsätzlich auch Privatleute fast das komplette Sortiment bestellen. Es gibt hier kaum Restriktionen. Im Gegenteil, das hilft uns, denn wir bekommen dadurch Synergien, weil der Ingenieur ja nach Feierabend auch zum Privatkunden wird. Und Studenten oder junge Kunden, die heute noch privat bei uns kaufen, können in ein paar Jahren professionelle Firmenkunden sein.
Ein interessanter Aspekt, um sich in punkto Portfolio zu unterscheiden, ist die Conrad-Strategie, Start-ups ins Programm aufzunehmen. Wie unterfüttern Sie diese Strategie?
Holger Ruban: Primär stellen wir unsere Vertriebsorganisation zur Verfügung, machen aber nicht unbedingt das Funding. Wie weit wir unterstützen, ist von Start-up zu Start-up unterschiedlich und hängt davon ab, wo der Start-up Support benötigt. Denkbar ist zum Beispiel Entwicklungssupport wie beim WunderBar. Natürlich müssen wir eine hohe Wahrscheinlichkeit für den kommerziellen Erfolg sehen. Wenn es eine Idee ist, an die wir glauben, können wir viel ermöglichen, aber es ist nicht so, dass wir inflationär Start-ups an den Markt bringen wollen. Wir haben den Marktzugang zum Consumer- als auch zum B2B Markt, das bringt gerade im Bereich der Open-Source-Hardware Vorteile. Zudem ist unser Portfolio an Leistungen für Start-ups nahezu einzigartig in Deutschland und erstreckt sich vom Vertrieb über Einkauf und Installationsservice hin zur Verbindung nach Asien – siehe dazu auch unsere startup.conrad.de Website.
Ihr CEO Jörn Werner sagte vor eineinhalb Jahren im Markt&Technik-Interview: Wir wollen ein online-zentrierter Multichannel Player werden. Ist das gelungen?
Holger Ruban: Absolut. Man könnte sogar sagen, wir sind omnichannel, weil wir durch das Filialgeschäft alle Kanäle bedienen, die es gibt. Wir sind sehr stark im eProcurement, das sieht man an den Firmen-Accounts, die wir gewonnen haben, die maßgeblich eProcurement wollen. Hier haben wir eine starke Kernkompetenz. Es geht weiter über den klassischen eCommerce, den klassischen Außendienst bis hin zu den Outbound Centers, die Anrufe entgegennehmen. Wir haben alle Kanäle offen. Das Hauptstandbein liegt aber sicherlich bei den Online Channels.
eProcurement-Anbindungen sind offenbar branchenweit zum Teil noch problematisch.
Stefan Fuchs: Die Herausforderung ist, dass es häufig keine Standards gibt, insbesondere dann, wenn der Kunde eine individuelle Lösung haben will.
Holger Ruban: Wobei 80 Prozent der Kunden größere Lösungen suchen. Die Schwierigkeit sind die 20 Prozent der Kunden, die sich eine exotische Lösung suchen oder eine selbst programmierte Lösung einsetzen. Das beschäftigt aber die gesamte Industrie.
Wie verteilt sich das Business-Supplies-Geschäft auf online und Katalog?
Stefan Fuchs: Wenn wir nach den nackten Zahlen gehen, dann verteilt sich das Geschäft, jetzt für Deutschland gesprochen, auf 2/3 online und 1/3 offline. Das ist aber nur die Erhebung nach dem Bestellkanal. Korrekterweise muss man auch immer den Bestellauslöser mit einbeziehen: Kam der Auslöser durch die Webseite, den Newsletter oder den Katalog? Das lässt sich kaum messen. Es kann sich jemand offline etwas ausgesucht haben, das er dann von einem Kollegen online bestellen lässt.
Holger Ruban: Der Anteil zwischen online und Katalog variiert von Land zu Land. Über die Gruppe betrachtet, verschiebt sich das Verhältnis auf etwa 80 : 20. Wir haben in Europa einige Länder, die sehr Web-affin sind, wie Niederlande und Skandinavien.
80 : 20 ist natürlich deutlich. Gibt es trotzdem wieder einen Katalog?
Holger Ruban: Ja, im September wird der neue Katalog herauskommen und auch wieder in unterschiedlichen Sprachen. Natürlich kann der Katalog längst nicht mehr das komplette Sortiment abbilden. Es wird immer mehr der Auszug des Sortiments sein. Aber in der Instandhaltung und anderen Bereichen wird der Katalog durchaus geschätzt. Darüber hinaus, wie ja eben schon erwähnt, ist es für uns schlecht messbar, inwieweit der Katalog als Bestellauslöser fungiert. Eine Entscheidung nur anhand des Bestellkanals würde zu kurz greifen. Die Resonanz der Kunden ist dahingehend, dass der Katalog weiterhin ein wichtiges Medium ist, und deshalb legen wir den Katalog auch weiterhin auf.
Es gibt bekanntlich einen harten Preiskampf in der Katalogdistribution bis hin zu der Tatsache, dass einige Marktbegleiter ins Volumengeschäft eingestiegen sind. Wie ist das bei Ihnen?
Stefan Fuchs: Der Margendruck ist natürlich auch bei uns gegeben und trifft uns genauso wie die anderen Marktbegleiter. Aber wie ich ja schon bei Ihrem Round Table im Mai erklärt habe: Wir haben die Kernkompetenz der Kleinmengendistribution, und darauf werden wir uns auch in Zukunft konzentrieren. Natürlich liefern wir auch gerne eine Verpackungseinheit für den Bestücker, wenn ihm eine Lieferung ausgefallen ist oder er einen Serienanlauf aufbauen möchte. Aber das ist Stand heute nicht unser Kernfokus und nicht unsere Strategie, auch wenn sich derzeit die komplette Katalogdistribution darauf zu konzentrieren scheint.
Holger Ruban: Wir sind hier also sehr klar positioniert. Wenn es darüber hinausgeht, dann verweisen wir auf unsere Tochter SOS electronic. Sie ist spezialisiert auf das Kundensegment der Bestücker und ergänzt somit das Kerngeschäft von Conrad. SOS hat eine eigene Logistik, die auf die außergewöhnlich hohen Anforderungen dieser Klientel zugeschnitten ist.
SOS ist also weitgehend unabhängig?
Holger Ruban: SOS electronic ist eine eigene Unternehmensgruppe mit eigener Unternehmensführung. Sie ist insbesondere in Osteuropa, aber auch in Deutschland tätig ist und Spezialist für mittlere und Großmengen.
SOS wurde 2013 übernommen. Sind weitere Übernahmen geplant?
Holger Ruban: Ausgeschlossen ist das grundsätzlich nicht. Wir führen immer wieder Akquise-Gespräche, aber wir kaufen nicht, um zu kaufen, sondern nur, wenn es Sinn macht, weil wir dadurch zum Beispiel Kernkompetenzen hinzugewinnen, die aufzubauen sehr lange dauern würde, oder wenn wir uns dadurch geografisch verstärken können, wie im Fall der britischen Rapid electronics. Rapid war eine Mischung aus Non-Franchise-Distributor und Kataloghaus und ist mittlerweile ein reiner Katalogdistributor und der Business-Supplies-Bereich, mit dem wir in England am Markt sind. Wir wachsen sehr schön mit Rapid, obwohl der dortige Markt derzeit sehr schwierig ist.
Last but not least: Wie lautet Ihr Ausblick für die nächsten Monate?
Holger Ruban: Unser Ziel war, bis zur electronica auf Augenhöhe mit unseren Mitbewerbern zu sein. Das ist uns gut gelungen. Bis zur electronica haben wir ein sehr vernünftiges Portfolio aufgebaut und müssen uns nicht verstecken. Damit soll aber noch nicht Schluss sein. Wir werden weiter Lücken schließen, aber auch in die Phase gehen, wo wir Bereiche aufbauen, die Mitbewerber nicht haben.
Zum Beispiel?
Holger Ruban: Hier ist vieles denkbar. Zum Beispiel werden wir in den nächsten Monaten im Bereich der Evaluation Boards unsere Kernkompetenz noch erweitern und exklusive Produkte launchen, die wir in Zusammenarbeit mit den Herstellern erarbeitet haben.
Das Interview führte Karin Zühlke