Ist aus Ihrer Sicht der persönliche Kundenkontakt etwas obsolet geworden? Provokativ gefragt: Übernimmt das Internet künftig die Rolle des Field Application Engineers (FAE)?
Bei uns nicht. Diese Debatte gab es schon bei der Einführung des Fax-Gerätes. Dann beim Aufkommen des Internets. Und nochmal bei der Transformation der Kataloge in die Online Shops. Jetzt wird es wieder diskutiert. Auch, ob man den Außendienst überhaupt noch braucht, ob die Gehälter und Autos noch zu rechtfertigen sind und so weiter. So lange es Menschen gibt, wird der persönliche Kontakt wichtig bleiben. Neulich war in der FAZ von einer aktuellen Studie aus Harvard zu lesen, die klar belegt, dass der persönliche Wissensaustausch – also das tägliche Lernen voneinander – ganz maßgeblich zur Effizienz des gesamten Systems beiträgt. Natürlich ist die Informationsquelle Internet immens wichtig geworden. Natürlich braucht man nicht für alle Produkte und Geschäfte einen FAE. Oft können sich die hocheffizienten Volumendistributoren den auch gar nicht mehr für alles leisten. Bei Aldi gibt es ja auch nicht an jedem Regal einen Produktspezialisten, und das Geschäftsmodell funktioniert trotzdem gut. Bei uns ist und bleibt das technische Know-how jedoch wichtig. Wir verstehen uns mehr als Delikatessengeschäft mit hervorragender persönlicher Unterstützung und Beratung.
Inwieweit wird der Online-Vertriebsweg künftig bei Glyn eine Rolle spielen – oder eben keine?
Keine große. Wir haben einen Online Shop, aber die Bestellungen darüber halten sich in Grenzen. Man kann dort auch mal außerhalb der Arbeitszeit ein Entwicklungs-Board oder Muster bestellen. Internationale Interessenten können Lagerbestände checken und sichern. Das ist der Sinn unseres Onlineshops – nicht mehr und nicht weniger. Fragen Sie mal jemanden, wie viele Online-Buchhändler er kennt. Vermutlich nennt er sofort: „Amazon!“. Danach wird es bei den meisten schon eng. Vielleicht kommen noch ein, zwei weitere, das wars. Es gibt aber Hunderte davon. Genauso ist es in der Elektronik. Ein Bauelemente-Shop fällt einem sofort ein, weil er immer Bälle und Schwimmnudeln auf den Messen verteilt. Dann noch ein paar wenige andere. Wie groß ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass dort der Glyn-Shop genannt würde? Nahe null. Es gibt tolle Online-Distributoren, die ihre ganze Zeit und Energie in dieses Geschäftsmodell stecken. Das können wir nebenbei nie leisten. Deshalb sind auch die vielen Versuche, im Terrain der jeweils anderen zu wildern, meist nicht sehr erfolgreich. Volumen-, Katalog- und Spezialdistributoren sind alles Distributoren elektronischer Komponenten, deshalb glaubt man, alle würden das Gleiche tun. Tatsächlich sind dazwischen jedoch mittlerweile Glaswände, die man zwar nicht so leicht sieht, die aber da sind. Die Spezialisierung, um die Gesamteffizienz der Branche zu steigern, nimmt stetig zu und man kann nicht so leicht zwischen den Modellen hin und her wechseln. Wir sind ein Spezialdistributor. Auf diese Stärke konzentrieren wir uns. In dieses Geschäftsmodell investieren wir alles, was wir aufbringen können. Deshalb sind wir darin auch besonders gut und erfolgreich.
Glyn hat sich sehr stark auf den DACH-Markt konzentriert. Wird das auch künftig so bleiben?
Glyn ist in DACH, Skandinavien und Osteuropa mit Vertriebsbüros präsent. Das wird vermutlich vorerst so bleiben. Statt in zusätzliche Regionen zu expandieren, werden wir zunächst unsere Aktivitäten in diesen wichtigen Ländern weiter ausbauen.
Eher drei ausreichend große Haifischbecken
Der Distributionsmarkt war auch schon vor der Pandemie stark umkämpft und oft auch ein sprichwörtliches Haifischbecken. Welche Konsequenzen könnten die wirtschaftlichen Pandemiefolgen auf die KMUs in der Distribution haben? Positiv – oder auch negativer Natur?
Soweit ich das beurteilen kann, waren die meisten KMUs in der Distribution vor der Pandemie sehr gesund. Ich gehe davon aus, dass sie die Situation gut überstehen werden. Unternehmenskäufe in der Distribution sind auch seltener geworden. Entweder sind die Akteure schon so groß, dass sie sich gegenseitig nicht mehr kaufen dürfen. Oder die KMUs sind nicht interessant genug für die ganz Großen bzw. wollen, wie Glyn, unabhängig bleiben. Vielleicht sind es mittlerweile eben auch eher drei ausreichend große Haifischbecken und nicht mehr nur eines.
Gehen Sie davon aus, dass der Preis- und Margendruck weiter zunimmt?
Der Druck ist zweifellos da. Aber so viel geht da vermutlich gar nicht mehr. Wenn man als Volumendistributor 12 oder 13 Prozent Rohertrag und 8 bis 9 Prozent Kosten hat, kann man vielleicht noch versuchen, die um das ein oder andere Prozent herunterzudrücken. Dann ist aber vermutlich Schluss. Große Sprünge sind da nicht mehr möglich. Zudem muss man überlegen, wo diese Prozente noch herkommen sollen. Automatisiert und digitalisiert ist in der Distribution schon ziemlich viel. Bliebe der Abbau weiterer Dienstleistungen. Das müssten die Hersteller und die Kunden dann wieder jeder selbst übernehmen und bezahlen. Ob das jedoch insgesamt für alle günstiger organisiert wäre, wage ich zu bezweifeln.
Wie punkten Sie als Spezialdistributor im Vertriebsnetz großer Hersteller?
Wie gesagt, tendenziell weniger. Wir vertreten gar keine der ganz großen Top-10-Hersteller mehr. Und zuletzt haben einige davon ja sogar auch schon das Interesse an einzelnen Volumendistributoren verloren. In den letzten Jahren wurde da so einiges umsortiert. Alles unter der Prämisse Effizienzgewinn. Die Branche ist erwachsen. Die Startup-Jahre sind lange vorbei. Deshalb wird jedes Optimierungsquäntchen gesucht und genutzt. Hersteller und Kunden wollen im Wettbewerb nur noch die Dienstleistungen bezahlen, die sie wirklich benötigen. Viele spezielle Hersteller brauchen jedoch den aktiven Projektvertrieb durch technische Verkäufer und die FAEs ihrer Distributoren. Ich denke, die Hersteller wissen sehr genau, welchen Bedarf sie in ihrem Distributionsnetzwerk haben, und das kann im Mix total unterschiedlich sein. Wir bei Glyn können erklärungsbedürftige Produkte. Unsere Hersteller schätzen das und unsere Kunden auch, unabhängig davon wie groß sie jeweils sind.
Weiter profitabel wachsen
Wie sieht Ihre strategische Richtung für die nächsten Jahre aus, insbesondere in Bezug auf Fokusbereiche?
Die strategischen Schwerpunkte des Unternehmens liegen auf Displays, Embedded-Systemen, industriellen Speicherlösungen, Power, Sensoren, IoT, Wireless und weiteren Spezialprodukten. Vom Hersteller direkt oder auch mal international beschafft. Diese Bereiche sind sehr erfolgreich und haben noch viel Potenzial. Damit wollen und werden wir weiter profitabel wachsen.
Welche Pläne gibt es für die Zukunft – also die nächsten 40 Jahre?
Elektronik kommt immer häufiger in immer mehr Applikationen zum Einsatz. Zudem sind wir sehr professionell aufgestellt. Wir bieten besondere Produkte im aktiven technischen Vertrieb, hocheffizient mit automatisierten Prozessen, an. Das können viele Hersteller und Kunden gut gebrauchen. Deshalb blicke ich sehr optimistisch in die Zukunft. Es wollen ja immer alle ihren Umsatz verdoppeln. Ich denke, das können wir in den nächsten 40 Jahren auch locker schaffen. Vermutlich packen wir es sogar schon etwas früher.
Ihr Ausblick für 2020 bis Jahresende?
Corona wird uns weiter beschäftigen und wir bei Glyn werden – trotz allem – am Ende wieder ein gutes Geschäftsjahr haben.