»Distributoren spielen eine aktive Rolle in einer flexiblen, reaktionsschnellen Lieferkette und müssen deshalb mehr sein als klassische Lagerhalter«, sagt Susanne Ertl, Vice President Sales Distribution Europe, TDK.
Markt&Technik hat sie gemeinsam mit Dietmar Jäger, Leiter Vertrieb Distribution, TDK, zum Interview getroffen. Gemeinsam werfen sie einen Blick auf Neuerungen, aktuelle Herausforderungen und das Marktgeschehen.
Markt&Technik: Europa steckt wirtschaftlich in einer schwierigen Phase, während die USA und Asien aktuell besser abschneiden. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf TDKs Distributionsstrategie in den jeweiligen Regionen aus?
Dietmar Jäger: TDK verfolgt eine differenzierte Distributionsstrategie, die auf die Anforderungen jeder Region abgestimmt ist. In Europa konzentrieren wir uns verstärkt auf Flexibilität und Partnerschaften mit Distributoren, um die schwankende Nachfrage abzufangen und unsere Marktanteile weiter auszubauen.
Hat sich durch die wirtschaftliche Abkühlung in Europa das Verhältnis zwischen Direktvertrieb und Distribution bei TDK verändert?
Susanne Ertl: Wir setzen auch weiterhin auf eine Kombination aus Direktvertrieb und Distribution. Unsere Strategie umfasst eine enge Zusammenarbeit mit Distributionspartnern, um vor allem Agilität und Liefersicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig investieren wir in digitale Tools, um Marktveränderungen frühzeitig zu erkennen und darauf reagieren zu können, zum anderen aber auch, um unsere Service Proposition in Richtung unserer Partner und zum Vorteil unserer gemeinsamen Kunden stetig zu verbessern.
Welche Rolle spielt China in Ihrer globalen Vertriebsstrategie, insbesondere angesichts der jüngsten geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen?
Jäger: China ist für die Distribution bei TDK mit circa 50 Prozent Umsatzanteil weiterhin der wichtigste Markt. TDK ist einer der größten Hersteller für passive Bauelemente in China, wir setzen hier überwiegend auf das Geschäft mit lokalen Kunden.
Sie haben bereits 2024 im Interview über die große Bedeutung der Distribution für TDK gesprochen. Welche Entwicklungen oder Anpassungen gab es seither im Distributionsnetzwerk, um sich an veränderte Marktbedingungen anzupassen?
Ertl: Wir wollen unser Distributionsnetzwerk kontinuierlich weiterentwickeln, um neuen Marktanforderungen bestmöglich gerecht zu werden. Seit 2023 haben wir unser Netzwerk optimiert, indem wir Partnerschaften vertieft und ausgebaut haben. Gleichzeitig haben wir uns von einigen Partnern getrennt, um sicherzustellen, dass unsere Distributionsstrategie langfristig effizient, flexibel und marktorientiert bleibt. Unser Fokus liegt darauf, mit Partnern zusammenzuarbeiten, die unsere Wachstumsziele teilen und die steigenden Anforderungen an Lieferfähigkeit, technische Kompetenz und digitale Prozesse optimal unterstützen.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Distributoren in Bezug auf Flexibilität und Lagerhaltung entwickelt? Gibt es neue Anforderungen an Ihre Partner?
Ertl: Die Zusammenarbeit mit unseren Distributionspartnern hat sich in den vergangenen Jahren intensiviert, insbesondere im Hinblick auf Flexibilität und Lagerstrategien. Da TDK auftragsbezogen fertigt, haben die Marktvolatilität und die steigenden Anforderungen an schnelle Verfügbarkeit dazu geführt, dass wir uns noch enger mit unseren Partnern abstimmen.
Wir legen besonderen Wert darauf, dass sich unsere Distributionspartner schnell an kurzfristige Nachfrageschwankungen anpassen können. Daher erwarten wir, dass unsere Partner logistisch effizient arbeiten und verstärkt auf dynamische Bestandsstrategien setzen.
Jäger: Mit unserer weltweit etablierten »Senten Manten«-Scorecard kommunizieren wir unsere Anforderungen an unsere Distributoren und bewerten deren Leistung entsprechend. Im Wesentlichen geht es hier um operative Performance, Geschäftsverlauf, Lagerhaltung und allgemeine Zusammenarbeit.
In einem Umfeld, in dem Kunden kürzere Lieferzeiten fordern, wird die Rolle von Distributoren noch wichtiger. Welche Maßnahmen ergreift TDK, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
Ertl: TDK stellt sich den steigenden Anforderungen an kürzere Lieferzeiten, indem wir unser Distributionsnetzwerk gezielt optimieren – und dabei auch höhere Anforderungen an unsere Partner stellen. Eine hohe Lieferfähigkeit erfordert eine proaktive Lagerhaltung und eine engere Abstimmung, um Bedarfsprognosen präziser umzusetzen und Bestände strategisch zu optimieren. Distributoren spielen eine aktive Rolle in einer flexiblen, reaktionsschnellen Lieferkette und müssen deshalb mehr sein als klassische Lagerhalter.
Die Digitalisierung verändert das Vertriebsmodell in vielen Industrien. Welche digitalen oder datengetriebenen Initiativen verfolgt TDK, um die Distribution effizienter zu gestalten?
Ertl: Wir setzen unter anderem auf die Nutzung KI-gestützter Systeme, die unsere Mitarbeitenden weltweit dabei unterstützen, Informationen effizienter zu verarbeiten und zielgerichteter zu agieren. Dafür haben wir auch eine eigene Inhouse-KI entwickelt. Darüber hinaus investieren wir in moderne CRM-Systeme, um unsere Zusammenarbeit mit Distributoren und Kunden noch transparenter, schneller und vorausschauender zu machen.
Welche Industrien und Kundensegmente in Europa zeigen aktuell eine stabile oder sogar wachsende Nachfrage? Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen?
Ertl: Wir sehen stabile bis wachsende Nachfrage vor allem im Bereich Industrie-Elektronik und bei Anwendungen im Bereich erneuerbare Energien. Herausfordernd bleibt weiterhin der klassische Consumer-Markt, aber auch Teile des Automotive-Bereichs – insbesondere dort, wo Investitionen aufgrund von konjunktureller Unsicherheit zurückgestellt werden.
Gibt es innerhalb des Automotive-Sektors Unterschiede zwischen traditionellen OEMs und neuen Playern, etwa aus dem Bereich E-Mobility? Wie passen Sie Ihre Channel-Strategie daran an?
Ertl: Ja, es gibt klare Unterschiede. Traditionelle OEMs setzen auf langfristige Planung und stabile Prozesse – hier arbeiten wir eng über den Direktvertrieb zusammen. Neue E-Mobility-Player hingegen agieren deutlich schneller und benötigen flexible Logistiklösungen. Für sie spielt die Distribution eine zentrale Rolle. Unsere Channel-Strategie ist darauf ausgerichtet, beiden Seiten gerecht zu werden.
Automotive war lange eine tragende Säule für die europäische Elektronikindustrie, steckt aber aktuell in einer schwierigen Phase. Wie wirkt sich das auf TDKs Geschäft und Ihre Distributionsstrategie aus?
Jäger: Die konjunkturelle Abschwächung im Automotive-Bereich spüren auch wir. Gerade deshalb wollen wir – mit einem ausgewogenen Mix aus Direktvertrieb und Distribution – flexibel bleiben. Diese Kombination ermöglicht es uns, Stabilität zu sichern und gleichzeitig anpassungsfähig zu bleiben.
Die globale Lieferkettensituation bleibt angespannt. Welche spezifischen Maßnahmen hat TDK ergriffen, um seine Lieferketten widerstandsfähiger zu machen?
Jäger: Wie bereits erwähnt setzen wir in Europa verstärkt auf Flexibilität und enge Partnerschaften mit Distributoren, um kurzfristige Marktschwankungen abzufangen.
Inwiefern setzt TDK auf Nearshoring oder andere Strategien, um Abhängigkeiten von einzelnen Produktionsstandorten oder Regionen zu reduzieren?
Jäger: Mit unseren Werken weltweit sind wir bei TDK gut aufgestellt. Dadurch haben wir, wie im bereits genannten Beispiel von China, schon jetzt meist die Möglichkeit, lokal zu liefern. Hierbei versuchen wir immer, die lokalen Anforderungen im Produktspektrum der einzelnen Werke abzubilden.
Wie stellen Sie sicher, dass TDKs Distributoren in Krisenzeiten lieferfähig bleiben, insbesondere bei Engpässen oder geopolitischen Risiken?
Jäger: Wir stellen die Lieferfähigkeit unserer Distributoren in Krisenzeiten durch eine weltweite Produktionspräsenz sicher, die Engpässe einzelner Werke ausgleichen kann. Wenn es in der Vergangenheit zu Engpässen kam, haben wir gezielt darauf reagiert – Beispiele dafür sind die Eröffnung eines weiteren MLCC-Werks sowie einer neuen Sensorenfertigung, um die Kapazitäten zu erhöhen und Lieferengpässe zu reduzieren.
Um flexibel auf Nachfrageschwankungen zu reagieren, setzen wir zudem auf eine vorausschauende Bestandsplanung und enge Abstimmung mit unseren Partnern.
Darüber hinaus hilft eine Multi-Sourcing-Strategie, geopolitische Risiken zu minimieren.
Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema in der Elektronikbranche. (Wie) unterstützt TDK seine Distributoren dabei, umweltfreundlichere Prozesse in der Lieferkette umzusetzen?
Jäger: TDK verfolgt klare Klimaziele und bezieht dabei auch seine Lieferanten mit ein. Mit dem Ziel einer durchgehend umweltfreundlicheren Lieferkette ermutigen wir unsere Partner, sich ebenfalls klare Reduktionsziele zu setzen, und begleiten sie auf dem Weg zu nachhaltigeren Prozessen.
TDK hat sich selbst ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Gibt es neue Entwicklungen oder Initiativen, die über die bisher kommunizierten Maßnahmen hinausgehen?
Ertl: Ja. Bereits heute stammen mehr als 90 Prozent unseres zugekauften Stroms aus erneuerbaren Energien. Unseren Weg in Richtung CO2-neutrale Produktion und Klimaneutralität setzen wir kontinuierlich fort. Dazu setzen wir auf energieeffiziente Prozesse, auf Solarstrom aus Photovoltaik-Anlagen, den Ersatz fossiler Energieträger sowie Kompensationsprojekte für nicht vermeidbare Emissionen.
Wie sieht Ihr Fahrplan für die nächsten Jahre aus? Gibt es bestimmte Technologien oder Märkte, die Sie in der Distribution besonders ausbauen möchten?
Jäger: Wir setzen auf eine langfristige Planung und Investitionen in innovative Produkte, um Kunden auch in Zukunft eine gewohnt hohe Qualität zu bieten. Durch interne Entwicklungen, aber auch das Zusammenspiel von Technologien erweitert TDK sein Produktportfolio kontinuierlich, um den sich ändernden Marktanforderungen gerecht zu werden.
Welche großen Trends sehen Sie in der Distributionslandschaft der Elektronikbranche in den nächsten drei bis fünf Jahren?
Jäger: Wir sehen bereits seit Jahren, dass das Thema Nachhaltigkeit weiter an Bedeutung gewinnt. Hersteller und Distributoren müssen daher verstärkt investieren, um CO₂-Emissionen weiter zu senken und Produktions- und Logistikprozesse noch nachhaltiger zu gestalten.
Ertl: Als weiteren Trend erkennen wir, dass einige Distributoren neben ihrer etablierten Rolle als digitale, flexible und wertschöpfende Partner in der Lieferkette verstärkt zur klassischen Distributionsfunktion zurückkehren, mit einem klaren Fokus auf Logistik und effiziente Warenverfügbarkeit.