Fit und gesund zu sein war schon immer ein Lifestyle. Doch inzwischen wollen die Menschein sämtlichen Lebensbereichen mehr für ihr Wohlbefinden tun, sogar im Auto. Wie Automobilhersteller auf diesen Wandel reagieren, lesen Sie in folgendem Beitrag.
Individuelles Wohlbefinden, körperliche, geistige und seelische Gesundheit sind laut Zukunftsinstitut zu gesellschaftlichen Grundwerten geworden. Sie prägen inzwischen alle Lebensbereiche: im Privaten wie im Beruflichen. Die allgemeinen Trends zeigen ein wachsendes Interesse an personalisierten Gesundheitsservices. Das spiegelt sich in der zunehmenden Nutzung von Gesundheits-Apps, Smart Watches und ähnlichen Technologien wider.
Marken, die ihren Kundinnen und Kunden Momente der Entspannung oder des Genusses schenken, fördern nicht nur ihr Wohlbefinden und letztlich ihre psychische Gesundheit - sie sorgen auch dafür, dass die Menschen die Marke lieben. Die Themen »Wohlbefinden« und »Gesundheit« bieten daher großes Potenzial für Marken, nicht nur für Gesundheits- und Pharmaunternehmen, Lebensmittel-, Körperpflege- und Sportartikelhersteller, sondern auch für die Automobilbranche. Das wachsende Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an personalisierten Gesundheitsservices wird dafür sorgen, dass diese Services auch für Fahrzeuge zunehmend entwickelt – und gekauft – werden.
Automobilhersteller reagieren auf diesen Wandel und erweitern ihre Produkte um den Aspekt des Wohlbefindens.
Umsichtige Autofahrerinnen und Autofahrer wissen: Wer sein Gefährt liebt, der pflegt es. Regelmäßige Wartung und liebevolle Fürsorge sichern den Werterhalt des Fahrzeugs. Zunehmend sorgen unsere Fahrzeuge aber auch für uns: Ergonomische Sitze, Massagesitze, Klimatisierung oder die Überwachung des Fahrers bzw. der Fahrerin durch Kameras, die etwa kontrollieren, ob die Augen geöffnet sind, sind heute Stand der Technik.
Automobilhersteller arbeiten an einer neuen Generation von Fahrzeugen, die mit Sensoren ausgestattet sind, die erkennen können, wenn Fahrerinnen und Fahrer nicht fahrtüchtig sind. Sie erkennen Herzinfarkte, epileptische Anfälle oder Übelkeit, aber auch Trunkenheit am Steuer. Menschliches Versagen ist für mehr als 90 Prozent aller Autounfälle verantwortlich, und die Einführung multimodaler Sensoren im Auto wird die Risiken für Fahrerinnen und Fahrer sowie für andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer weiter verringern.
Die zunehmende Überschneidung von Wellness und Mobilität führt zu immer neuen Funktionen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden des Fahrers oder der Fahrerin (physisch, emotional und mental) überwachen und positiv beeinflussen. Die bereits im Fahrzeug vorhandenen Basistechnologien, die zur Erfassung und Verarbeitung gesundheitsrelevanter Daten sowie zur Bereitstellung verschiedener Lösungen benötigt werden, müssen dazu um Wellness- und Gesundheitsfunktionen erweitert werden.
So werden Fahrzeuge beispielsweise mit Stresserkennungsprogrammen ausgestattet, die Echtzeitdaten nutzen, um Fahrerinnen und Fahrer auf der Grundlage des gemessenen Stressniveaus individuelle Entspannungsempfehlungen zu geben. Oder mit Sensoren, die die Vitaldaten des Fahrers oder der Fahrerin erfassen und die Fahrzeugbedingungen auf der Grundlage der erfassten Daten anpassen: Wird beispielsweise ein zu hoher oder gefährlicher CO2-Gehalt im Fahrzeuginneren festgestellt, kann das Fahrzeug die Fenster herunterfahren.
Bisher finden sich diese Services insbesondere bei Luxusfahrzeugen – einer Fahrzeugkategorie, in der Kundinnen und Kunden eher bereit sind, in die entsprechenden Funktionen zu investieren. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Technologien im Laufe der Zeit kostengünstiger werden und größere Verbreitung finden.
Enormes Potenzial bietet auch der Nutzfahrzeugbereich. Denn hier geht es um Arbeitsräume und damit um Arbeitsbedingungen. Arbeitgeber haben ein Interesse an der Sicherheit und dem Wohlergehen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und an Funktionen, die beides fördern.
Da die Themen Wellness und Gesundheit gesellschaftlich immer mehr an Bedeutung gewinnen, positionieren sich Marken, die diesen Trend frühzeitig erkennen und bedienen, zukunftsorientiert und nachhaltig. Und sie profitieren gleich mehrfach:
Für die Monetarisierung der Services gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen können On-Demand-Modelle genutzt werden, bei denen Funktionen auf Abruf bereits im Fahrzeug vorhanden sind und von Kundinnen und Kunden erworben werden können. Eine weitere Option sind digitale Dienste, die über Sensoren hinausgehen und Kundinnen und Kunden eine App oder einen umfassenderen Dienst zur Interpretation der Daten anbieten.
Hier könnte ein Abonnementmodell ähnlich dem für Gesundheitsüberwachungs-Apps zum Einsatz kommen: Die Basisversion ist kostenlos, zusätzliche Funktionen wie erweiterte Gesundheitsstatistiken, Schlafscore mit detaillierter Analyse, Stressmanagement-Tools, Coaching-Sessions oder die Teilnahme an Challenges können gegen ein monatliches oder jährliches Abonnement hinzugebucht werden.
Denkbar ist auch der Verkauf von Gesundheitsprodukten in Zusammenarbeit mit einem Partner, der die Fahrzeugdaten nutzt, um umfassendere Gesundheitsdienste anzubieten. Auch eine Monetarisierung der Daten selbst ist möglich, wobei jedoch die Sensibilität der Daten berücksichtigt und eine Anonymisierung vorgenommen werden muss. Die Daten könnten jedoch für Versicherungen und Gesundheitseinrichtungen von Nutzen sein.
Entscheidend für eine erfolgreiche Monetarisierung ist, dass die Kundinnen und Kunden kontinuierlich Dienstleistungen erwerben. Das kann durch Abonnements oder die Bereitstellung kontinuierlicher Gesundheitsdienste gewährleistet werden.
Die zunehmende Bedeutung von Gesundheit und Wohlbefinden im Automobilbereich bringt auch Herausforderungen im Bereich der Cybersicherheit mit sich.Schließlich werden für Gesundheitsservices immer mehr sensible Daten erhoben und verarbeitet.
Geeignete Cybersicherheitsmaßnahmen sind daher ein wichtiger Bestandteil einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Entwicklung von Fahrzeugen mit Wellness- und Gesundheitsfunktionen. Mit dem richtigen Ansatz sind Autos in dieser Hinsicht jedoch mindestens so sicher wie seriöse Gesundheits-Apps auf dem Smartphone.
Der kulturelle Wandel, dem sich Automobilhersteller stellen müssen, ist bereits in vollem Gange: Anstatt Autos als abgeschlossene Projekte zu betrachten, wird der Trend immer deutlicher, sie als Produkte zu sehen, die während ihres Lebenszyklus aktualisiert werden müssen. Das erfordert von Herstellern eine Verlagerung vom reinen Entwickeln neuer Modelle hin zum Produktmanagement.
Lücken und Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Komfort- und Gesundheitsdienste müssen identifiziert werden, um sich von der Konkurrenz abzuheben und die richtige strategische Lösung zu finden. Um diesen Wandel voranzutreiben, müssen Automobilhersteller ein digitales Geschäftsmodell aufbauen und dafür einen strategischen Partner wählen, der Erfahrung in der Entwicklung von Fahrzeugservices hat und dabei helfen kann, innovative digitale Services und Geschäftsmodelle zu entwickeln.
In zehn bis fünfzehn Jahren werden Fahrzeuge weitgehend hochautomatisiert und autonom sein - zwei unterschiedliche Konzepte, die beide große Chancen bieten. Heute erfordert das Autofahren noch unsere volle Aufmerksamkeit, mit den Augen auf der Straße und den Händen am Lenkrad. Wenn Fahrzeuge aber autonomer werden und zum Beispiel erkennen, wenn der Fahrer oder die Fahrerin Probleme hat und selbstständig übernehmen, führt das nicht nur zu mehr Sicherheit. Es eröffnet auch deutlich erweiterte Möglichkeiten im Gesundheitsbereich: Menschen können im Auto mehr tun, auch für ihr Wohlbefinden. Bei über 65 Millionen Fahrzeugen, die jährlich weltweit verkauft werden, ist die Verbindung von Sicherheit und Gesundheit beim Fahren eine vielversprechende Perspektive.
Peter Ivanov
ist Managing Director der Global Service Line Mobility bei Valtech. Zuvor war er Geschäftsführer des auf Connected Cars spezialisierten Unternehmens Valtech Mobility. Zudem arbeitete Ivanov intern bei Audi, wo er eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Dienstleistungen im Bereich E-Mobility für den Audi e-tron sowie bei der Entwicklung von digitalen Diensten und ECUs für zahlreiche Fahrzeuge des VW-Konzerns spielte.