Wie entwickelt sich der Markt für kollaborative Roboter in der aktuellen Phase der Covid-19-Pandemie? Maya Xiao, leitende Analystin beim britischen Technologieanalyse-Unternehmen Interact Analysis, gibt Auskunft.
Wie hat sich die Pandemie auf die Nachfrage nach Cobots ausgewirkt?
Maya Xiao: Sie hat sich positiv ausgewirkt ... wenn man überhaupt von „positiven“ Auswirkungen des Virus sprechen kann. Es stimmt, dass 2020 das erste Jahr war, in dem der Cobot-Markt ein negatives Wachstum verzeichnete, aber 2021 gab es eine deutliche Erholung. Und unsere mittelfristigen Prognosen sind besser, als wir bisher vorausgesagt hatten. Wir gehen jetzt davon aus, dass sich ein Cobot in durchschnittlich zwei bis drei Jahren amortisiert statt in fünf Jahren.
Für diese Erholung gibt es mehrere Gründe. Der erste Grund ist, dass die Pandemie mehr Unternehmen ermutigt hat, die Automatisierung als Lösung für virusbedingte Unterbrechungen auszuprobieren. Und jetzt, wo wir allmählich aus Covid-19 herauskommen, haben wir einen anhaltenden Arbeitskräftemangel. Selbst Schwellenländer wie China und Mexiko bekommen die steigenden Arbeitskosten zu spüren.
Die wachsende Zahl von Beispielen aus der Praxis hat ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen. Wenn ein Unternehmen in Cobots investiert und sieht, dass die Lösung funktioniert, werden Wettbewerber folgen. Viele Pionierunternehmen haben bereits Cobots eingesetzt, und nun gibt es einen Dominoeffekt.
Und schließlich ist die Pandemie noch nicht verschwunden. Es herrscht also Unsicherheit. Das Jahr 2022 ist bisher mit neuen Pandemiewellen auf der ganzen Welt einhergegangen. Die Menschen wissen nicht, was noch kommen wird. Deshalb werden Cobots als eine Form der Zukunftssicherung eingesetzt. In dieser Hinsicht ist Covid-19 nicht nur ein kurzfristiger, sondern auch ein mittel- und sogar langfristiger Treiber.
Wie sehen also die langfristigen Aussichten für den Cobot-Markt aus?
Bis 2025 oder 2026 sind die Aussichten für Cobots weiterhin gut. Unsere endgültigen Zahlen stehen kurz vor der Veröffentlichung, und es sieht eindeutig danach aus, dass der Markt mittelfristig größer sein wird, als wir zuvor prognostiziert hatten. Ein interessanter Aspekt, der Cobots von Industrierobotern unterscheidet, ist die Tatsache, dass Cobots nicht mehr nur in der Fertigung, sondern auch im Dienstleistungssektor eingesetzt werden. Aus diesem Grund wird der Cobot-Markt in Zukunft enger mit der Entwicklung der Gesamtwirtschaft verbunden sein.
Was ist das Interessanteste, das Sie bei Ihrer Forschung über Cobots gelernt haben?
Es ist schwer, eine Sache herauszugreifen, aber ein interessantes Element hat mit dem Markt zu tun - besonders mit der Angebotsseite. Wie in allen Branchen haben die steigenden Rohstoff- und Energiepreise große Auswirkungen auf Cobots. Und Komponenten wie Halbleiter sind knapp. Hinzu kommen Verzögerungen bei der Auslieferung und damit verbundene hohe Frachtkosten. Eine gute Versorgung und gute Lieferzeiten sind für Roboterhersteller ein kritisches Problem. Die Nachfrage im Jahr 2022 ist kein Problem. Die offene Frage ist jedoch, wie lange das Angebot diese Nachfrage noch decken kann.
Welcher Teil des Cobot-Marktes ist derzeit am spannendsten?
Wir prognostizieren ein jährliches Wachstum des Cobot-Marktes von bis zu 20 Prozent und sogar bis zu 30 Prozent. Das ist ziemlich aufregend. Darüber hinaus finde ich es aber auch spannend, wie gut der Markt über Cobots informiert ist. Vor drei Jahren war das noch nicht der Fall, aber die Cobot-Unternehmen haben dies sehr erfolgreich geändert. Es ist vergleichbar mit der Diskussion über Elektrofahrzeuge, in der viele Leute nicht mehr fragen: „Soll ich ein Elektrofahrzeug kaufen?“ Sie fragen vielmehr: „Welches Elektrofahrzeug sollte ich kaufen?“
Aus der Marktperspektive betrachtet, verzeichnet die Lebensmittel- und Getränkeindustrie weltweit eine starke Cobot-Durchdringung. Cobots sind in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie attraktiv, weil sie sich gut für relevante Anwendungen wie Pick & Place oder Verpackung eignen. Außerdem können Cobots immer größere Nutzlasten handhaben, was sie in den Bereichen Lager und Logistik wettbewerbsfähig macht. Die Halbleiterfertigung ist ebenfalls ein sehr wachstumsstarker Bereich, und dann sind da noch die Dienstleistungsbranchen - zum Beispiel Hotels und Krankenhäuser, wo Cobots zunehmend für innovative Anwendungen wie die Temperaturmessung bei Patienten eingesetzt werden.
Inwieweit könnten Cobots uns Arbeitsplätze wegnehmen?
Cobots nehmen keine Arbeitsplätze weg, sondern füllen Lücken auf dem Arbeitsmarkt, die durch den Arbeitskräftemangel entstanden sind. Cobots können normalerweise ohnehin nicht ohne menschliche Arbeitskräfte arbeiten - deshalb werden sie als kollaborative Roboter bezeichnet. Und sie werden eingesetzt, um die Leistung vorhandener Arbeitskräfte zu erhöhen, als Lösung für den Arbeitskräftemangel, der dazu führt, dass keine Menschen eingestellt werden können, und nicht, um Menschen zu ersetzen.