Wertschöpfung mit MES direkt am Shop Floor
An dieser Stelle kommen auch unternehmenskulturelle Unterschiede wie Primärzielgruppen von ERP- und MES-Systemen ins Spiel. So haben wir auf der einen Seite die ERP-Nutzer im mehr betriebswirtschaftlichen Teil des Unternehmens mit Geschäftsführung, Finanzbuchhaltung, Controlling und anderen finanztechnischen Anwendungen. Alle diese Anforderungen werden von einem ERP sehr gut abgedeckt. Auf der anderen Seite hat man die Welt der Fertigung mit ihren spezifischen und hier zum Teil schon beschrieben Anforderungen an eine Planungs- und Fertigungslösung auf Basis moderner MES-Systeme. Will man nun als IT-Dienstleister eine Lösung sowohl für den Controlling-Leiter als auch für den Fertigungsleiter entwickeln, wird man scheitern oder eine nur schlecht funktionierende Software präsentieren können. Der Fokus von MES-Lösungen liegt daher ganz klar auf der Fertigung, während sich ERP-Systeme auf die betriebswirtschaftliche Seite des Unternehmens konzentrieren. Dass beide Systeme sich verstehen und miteinander kommunizieren müssen, steht dabei außer Frage.
Unabhängig davon sieht sich ein MES-System immer mit der Notwendigkeit konfrontiert, sehr rasch auf geänderte Bedingungen im Fertigungsumfeld reagieren zu müssen. Denn die Fertigung ist ein extrem dynamischer Bereich. Unternehmen schaffen fast im Halbjahreszyklus neue Maschinen an und verändern Personalkapazitäten – all das muss ein MES-System schnell und flexibel aufnehmen, umsetzen und abbilden können. Doch diese große Bandbreite und hohe Geschwindigkeit sind in ERP-Systemen normalerweise nicht gegeben und auch nicht unbedingt notwendig, weil die dort abgebildeten Prozesse erfahrungsgemäß von längerer Dauer sind.
Man sollte hier aber nicht von einer Schwachstelle des ERP-Systems sprechen, da der Fokus ganz klar in einer anderen Richtung liegt. Denn ob ein Produkt mit einem Prozess A oder B an der Maschine C oder D hergestellt wird, ist dem Finanzbuchhalter oder dem Verkäufer völlig egal. Was zählt, ist das fertige Produkt. In der Fertigung hingegen macht es je nach Situation einen ganz großen Unterschied. Genau dort muss das MES-System reagieren und die Flexibilität bieten, Änderungen rasch abzubilden und optimal zu unterstützen. Pointiert könnte man auch sagen, dass die eigentliche Wertschöpfung direkt am Shop Floor passiert.
Fertigung in Industrie 4.0 fordert Veränderungen
Blickt man nun in Richtung Industrie 4.0 und in die Zukunft der Produktion, wird schnell klar, dass sich beide Systeme ändern müssen - allerdings mit verschiedenen Anforderungen. Industrie 4.0 ist ein breites Thema, bei dem automatisierungstechnisch getrieben neue Möglichkeiten in der Produktion entstehen, die wiederum neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Und genau diese neuen Geschäftsmodelle müssen natürlich auch von einem führenden System wie ERP unterstützt werden. Was nun die MES-Systeme anbelangt, wird Industrie 4.0 auch hier zu Veränderungen führen – wenn nicht in Richtung einer Produktion mit Losgröße 1, dann zumindest in Richtung Unterstützung kleinerer Losgrößen. Dies wird sicher für Serienfertiger im ersten Schritt noch nicht so relevant sein, für Kleinserienfertiger hingegen schon.
Das alles führt zu einer viel feineren Erfassung von Daten des einzelnen Werkstücks, des einzelnen Produkts - also wieder direkt am Shop Floor. Auf dieser Basis kann man die Fertigung flexibilisieren und damit auch die Wertschöpfung weiter optimieren – vielleicht kann man sogar Rüstzeiten mit anderen Methoden verringern oder sie erst gar nicht entstehen lassen. Das sind sicherlich Dinge, die im Zusammenspiel von MES und Automatisierungstechnik mit der Maschine passieren werden. In einem zweiten Schritt können dann Ideen entstehen, das vorhandene Kapital an Daten auch firmenübergreifend und für neue Geschäftsmodelle zu nutzen.
Welche Geschäftsmodelle das sein werden und welcher Dynamik sie unterliegen, lässt sich vielleicht mit einem Blick in den Consumer-Bereich erahnen: Wenn man nun an ähnliche Umbrüche auch im Business-to-Business-Bereich denkt, an neue Geschäftsmodelle von kreativen Köpfen, dann ist auch ein ERP-System gefragt, das hier Unterstützung liefert. Das immense Kapital an Daten aus dem MES im Industrie-4.0-Umfeld wird auch in den ERP-Systemen zwangsläufig zu Umbrüchen führen, sodass die damit verbundenen Möglichkeiten abgebildet werden können. So gesehen sollten MES und ERP wachen Auges und gemeinsam den Weg in Richtung Industrie 4.0 gehen, wollen sie auch hier wieder ihre wahren Stärken im Zusammenspiel entfalten.