Stemmer Imaging liefert alle nötigen Komponenten für industrielle Bildverarbeitungssysteme und bietet Applikationsberatung, Schulungen, Service und Support an. Warum haben Sie sich dann nicht dazu entschlossen, auch schlüsselfertige Bildverarbeitungssysteme für Kunden zu realisieren? Hierzu wäre es ja eigentlich kein großer Schritt mehr …
Christof Zollitsch: Der Schritt zum Systemintegrator wäre tatsächlich nicht allzu groß. Weil aber die Systemintegratoren zu unserem Kundenkreis gehören, stünden wir dann zu einem erheblichen Teil unserer Kunden im Wettbewerb, was unser gesamtes Geschäftsmodell in Frage stellen würde. Unsere Strategie setzt daher sowohl auf Systemintegratoren als auch auf Endkunden: Wir helfen den Endkunden, die Bildverarbeitung als strategisches Anliegen zu betrachten und selbst die Systemintegration durchzuführen. Viele Endkunden sind dazu übergegangen, schwierige Anwendungen vom Systemintegrator installieren zu lassen und einfachere selbst zu installieren. Nicht von ungefähr haben sich die Systemintegratoren auf komplexere Applikationen ausgerichtet.
Die Schulungen, die wir schon seit langem anbieten, passen zu unserer Strategie, auf die Endkunden zu setzen. Sie sollen die Endkunden dazu befähigen, selbst Systeme aufzubauen. Seit etwa dem Jahr 2000 kommen immer Kunden für Schulungen zu uns ins Haus. Mittlerweile haben wir etwa zehn bis zwölf Schulungstage im Monat. Früher waren die Schulungen eher auf Systemintegratoren ausgerichtet, heute sind sie eher für Endkunden gedacht. Die Systemintegratoren schicken neue Mitarbeiter aber immer noch zu uns und nutzen generell unsere Software-Schulungen.
Unsere Strategie ist es also, sowohl mit Endkunden als auch mit Systemintegratoren im Geschäft zu sein, ohne die eine Seite gegen die andere auszuspielen. Wir bezeichnen uns deshalb selbst als »Technologielieferant«. Als unsere Kernkompetenz betrachten wir die unabhängige, technologisch orientierte Beratung.
In den Jahren 2004 und 2005 haben Sie Ihr Unternehmen europäisiert, indem Sie Niederlassungen in Frankreich, Großbritannien und der Schweiz gegründet haben. Sind hier weitere Schritte geplant?
Wilhelm Stemmer: Die Niederlassungen aufzubauen und zu integrieren, war damals eine reife Leistung. Momentan wären wir zu weiteren Schritten in der Lage. Tatsächlich gibt es immer wieder Interessenten, die sich gerne in unser Konzept integrieren würden. Wir haben hier gute Kontakte zu vielen geeigneten Firmen in Europa, und wenn die Zeit reif ist, werden wir die Ausweitung in andere europäische Länder angehen.
Was sind Ihre nächsten Vorhaben für die Zukunft? Beabsichtigen Sie, das Geschäftsmodell des Unternehmens zu ändern?
Wilhelm Stemmer: Ein erfolgreiches Konzept zu revolutionieren, ist unnötig und birgt Risiken. Viel sinnvoller ist es, das Unternehmen und sein Geschäftsmodell im evolutionären Sinne zu gestalten. Wir werden das Produktportfolio auch in Zukunft kontinuierlich ausbauen, je nach Bedarf und technischer Entwicklung. Neue Kameraschnittstellen oder leistungsfähigere Bildsensoren kommen so automatisch hinzu. Wir hinterfragen unser existierendes Produktportfolio in regelmäßigen Abständen, nehmen neue Technologien auf, die wir bisher noch nicht angeboten haben, und nehmen Produkte heraus, für die wir keine Zukunftschancen mehr sehen.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Ausrichtung auf Märkte jenseits der industriellen Bildverarbeitung, etwa Medizin, Verkehr und Unterhaltung. Wir haben beispielsweise gemeinsam mit einem Partner für die erste und zweite Fußball-Bundesliga bildgestützte Monitoring-Systeme geliefert, die wichtige Kenndaten der Spieler wie etwa Laufstrecke und -geschwindigkeit erfassen. Ansonsten spielt die Unterhaltung für uns eher in Großbritannien eine Rolle, die Verkehrstechnik in Großbritannien und Frankreich. Hier macht sich die Europäisierung im Nachhinein bezahlt, indem wir Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern für den Inlandsmarkt nutzen können.
Christof Zollitsch: Um die aktuellen Entwicklungen und Trends zu erfahren und gegebenenfalls zu beeinflussen, ist es uns auch wichtig, in internationalen Standardisierungs-Komitees oder Verbänden wie dem VDMA mitzuarbeiten. An der Definition der Standards GigE Vision und GenICam beispielsweise waren Mitarbeiter aus unserem Hause entscheidend beteiligt. Ich selbst bin im Vorstand der VDMA-Fachabteilung Industrielle Bildverarbeitung vertreten.
Erwarten Sie, dass in absehbarer Zeit chinesische Unternehmen der deutschen Bildverarbeitungs-Branche ernsthaft Konkurrenz machen könnten?
Christof Zollitsch: Nein. Bisher gibt es in China viele Nutzer, aber noch kaum Hersteller von Bildverarbeitungstechnik. Mittelfristig werden allerdings auch aus China Produkte für den breiten Markt mit geringem Preis und geringer Funktionenvielfalt erscheinen. Generell dürfte es chinesischen Firmen jedoch schwerfallen, Kooperationen mit deutschen einzugehen und in Deutschland einen konkurrenzfähigen Service und Support aufzubauen. Angesichts dessen befinden sich die Unternehmen hierzulande in einer komfortablen Position. Dennoch darf man nicht vergessen, dass China mehr Ingenieure hat als Deutschland Einwohner. Von daher muss die Devise für uns heißen: Technisch vorweggehen und nicht nachlassen.