Der Aufbau von HTS-Kabeln

Der Leiter in der Thermoskanne

13. Mai 2011, 12:13 Uhr | Heinz Arnold
© Nexans

Ein HTS-Kabel sieht natürlich etwas anders aus als ein herkömmliches Kabel. Während HTS-Kabel auf Basis der ersten Generation von HTS-Drähten zwingend z.B. einen Kupferleiter benötigen, um kurzschluss-tolerant zu sein, können die Kabel auf Basis der zweiten Generation einfacher aufgebaut werden.

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Dass HTS-Kabel in kommerziellen Netzen Einsatz finden, ist noch gar nicht so lange her. 2008 hatte die Long Island Power Authority (LIPA) in ihrer Holbrook-Trasse das weltweit erste Hochspannungs-HTS-Kabel in einem kommerziellen Stromnetz in Betrieb genommen. Die 600 m lange 138-kV-Stromverbindung besteht aus drei einphasigen HTS-Kabeln. Das System kann bei voller Auslastung bis zu 574 MVA Leistung übertragen und bis zu 300.000 Haushalte mit Strom versorgen. An dem Projekt beteiligt waren Nexans, American Superconductor (AMSC), Air Liquide (Kühlsystem) und das US-Energieministerium. Die Kabel bestehen aus Drähten der ersten Generation.

Bei dem Kabel für die Holbrook-Trasse der LIPA handelt es sich um ein Kabel auf der Basis von 1-G Multifilamentleitern, die auf Silber als Matrixmaterials basieren. Der Aufbau eines solchen Hochtemperatur-Supraleiterkabels ist komplex; Im Zentrum des befindet sich ein dicker Kupferleiter, er wird nur im Notfall gebraucht, und übernimmt den größten Teil des Stromes, falls die Supraleitung zusammen bricht. Das kann bei einem Kurzschluss passieren - wobei der Kupferleiter kurzzeitig Kurzschlussströme bis 51.000 kA verkraften können muss.

Konzentrisch um den zentralen Kupferleiter ist der eigentliche Supraleiter angeordnet, um ihn herum befindet sich eine dicke Schicht aus papierähnlichem Isolationsmaterial, das mit etwa -200 °C kaltem, flüssigem Stickstoff getränkt ist und so die direkte Kühlung des Supraleiters übernimmt. Um diese Schicht ist ein weitere Supraleiterlage als Schirm angeordnet, der auf Erde gelegt ist. Hierauf folgt eine weitere Kupferlage, die wie der Kupferleiter in der Mitte für den Kurzschlussfall gedacht ist. Das ganze ummantelt ein Edelstahlwellrohr, das in einem Abstand von einigen Zentimetern von einem zweiten Edelstahlwellrohr umgeben ist. Im Raum zwischen beiden Wellrohren herrscht Vakuum, so dass das Innere des Kabels in diesem flexiblen Kryostaten wie in einer Thermosflasche von der Außentemperatur abgeschirmt ist. Rund um das äußere Wellrohr ist zum Schutz eine Kunststoffummantelung gezogen. Für eine Drehstromübertragung im Bereich von einer Übertragungsleistung von 560 MVA sind drei solcher Kabel erforderlich, für jede Phase eines, das jeweils über einen eigenen Kryostaten verfügt.

»Das gesamte Kabel wird in der Fabrik vollständig versiegelt«, erklärt Dr. Joachim Bock. »Wir haben  mit den flexiblen Kryostaten bereits sehr viel Erfahrung gesammelt. Sie wurden vor 30 Jahren ursprünglich für Tieftemperatur-Supraleiterkabel entwickelt und zwischenzeitlich für Spezialanwendungen z.B. als Leitungen für flüssigen Sauerstoff für Raketenantriebe eingesetzt. Insgesamt haben wir schon über 100 km Leitungen gefertigt.«

Weil dieses Kabel auf Basis der HTS-Drähte der ersten Generation arbeitet, die einen hohen Silberanteil enthalten, der auch außerhalb des supraleitenden Zustandes sehr gut leitfähig ist, kann es Kurzschlussströme nicht begrenzen. Es wird daher mit einem Kupfer-Kern gearbeitet, um die Kabel tolerant gegen Kurzschlüsse zu machen.

Anders ist die Situation im Falle der 2 G-Leiter. Diese sind in der Lage, Kurzschlussströme zu begrenzen, da die Substratschicht z.B. aus relativ schlecht leitendem Stahl besteht. Deshalb ist grundsätzlich kein zentraler Kupferleiter erforderlich und der Kabelaufbau wird einfacher.

Der Kabelaufbau wird aber auch durch die übertragene Leistung bestimmt. Das Mittelspannungskabel, das für den Einsatz im Pilotprojekt in Essen geplant ist, übernimmt die Übertragung von 40 MVA bei einer Spannung von 10 kV. Deshalb können alle drei Phasen konzentrisch angeordnet werden, es ist also nur ein Kabel anstatt wie im Fall der 560-MVA-Übertragung für jede Phase ein eigene Kabelader erforderlich. Deshalb genügt für das konzentrische Kabel natürlich auch ein einziger Kyrostat.

Unabhängig davon, ob ein Kabel kurzschlusstolerant oder kurzschlussbegrenzend aufgebaut ist, bleibt in beiden Fällen ein Nachteil: Tritt der Kurzschlussfall ein, erwärmt sich das Kabel und es  kann dann mehrere Stunden dauern, bis das Kabel wieder auf eine supraleitfähige Temperatur abgekühlt ist. »Diese lange Ausfallzeit kann an gewissen kritischen Stellen im Netz nicht toleriert werden«, sagt Dr. Joachim Bock, Direktor Marktentwicklung HTS-Systeme bei Nexans und Vorstand des Industrieverbandes Supraleitung (ivSupra).

Deshalb hat sich Nexans für einen anderen Weg entschieden: Für das Projekt in Essen wird das Kabel mit einem supraleitenden Strombegrenzer kombiniert. Der Schutz vor einem Kurzschlussereignis findet also lokal statt. Die gesamte Anlage ist nach einem Kurzschluss also sofort wieder betriebsbereit und weniger anfällig für Schäden.

Dieses Kabel kann bis zu 2.500 A bei 10 kV übertragen. Es ersetzt fünf herkömmliche 10-kV-Leitungen – und arbeitet zudem mit deutlich geringeren Verlusten. »Wir sind derzeit die einzigen, die Kabel und Strombegrenzer  als ein komplettes System anbieten können«, freut sich Dr. Joachim Bock.


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