Diese hohe Präzision ist aber auch der Grund dafür, dass Böhm die Schaltsekunde eigentlich nicht mehr für besonders wichtig hält. In vergangenen Zeiten benötigte man in der astronomischen Forschung die Schaltsekunde tatsächlich, um Messdaten exakt vergleichen zu können. Doch nachdem man heute ohnehin mit viel höheren Genauigkeiten arbeitet, hat man in der Forschung längst keine andere Wahl mehr als komplizierte Korrekturen mit Mikrosekundengenauigkeit zu berücksichtigen, egal ob Schaltsekunde oder nicht – zumindest, wenn man nicht jede Minute eine »Schaltmikrosekunde« einführen möchte.
Johannes Böhm ist daher insgesamt eher für die Abschaffung der Schaltsekunde. Im Grunde wäre es kein Problem, länger zu warten, und dann vielleicht nach einigen Jahrzehnten gleich eine ganze Schaltminute einzufügen. Doch einen Vorteil kann er in der Schaltsekunde aber doch entdecken: „Schaltsekunden werden relativ häufig notwendig – dadurch geht das Wissen darüber nicht so rasch verloren“, meint Böhm. „Die Leute können sich erinnern, was bei der letzten Schaltsekunde zu tun war, und daher ist das Risiko von Pannen recht gering.“ Ohne dieses Wissen wäre es denkbar, dass Probleme bei Navigationssystemen auftreten, dass es zu Missverständnissen bei der Kontaktaufnahme zu Raumfahrzeugen kommt, oder auch dass Schwierigkeiten im internationalen Finanzsystem entstehen, wo Transaktionen auf Millisekunden-Skala abgewickelt werden.
»Nicht zuletzt ist eine Schaltsekunde auch ein guter Anlass, über Geodäsie nachzudenken und die ungeheure Präzision zu bewundern, mit der wir heute unseren Planeten und seine Orientierung im Raum vermessen können«, meint Johannes Böhm. »Und alleine das ist schon ein Erfolg.«