Manschetten vor der Manschette oder: Zeit für Technologietransfer

11. Januar 2013, 14:50 Uhr | Marcel Consée

Eines Tages war es soweit: Meine hochgeschätzte Hausärztin drang darauf, regelmäßig den Blutdruck zu messen um eventuellem Überdruck entgegenwirken zu können. Da »regelmäßig« lediglich morgens und abends bedeutet, befolgte ich die Empfehlung und ließ mir in der Apotheke das am wenigsten lästige Messgerät geben.

Diesen Artikel anhören

Es handelt sich um so ein kleines Gerätchen, das per Klettverschluss-Manschette am Handgelenk befestigt wird – so etwas ist zwar nicht ganz so präzise wie ein Instrument mit Oberarmmanschette, aber sicher weniger aufwändig. Außerdem unterschieden sich die auf der Verpackung aufgedruckten Messgenauigkeiten nur minimal.

»Ganz ohne Manschette geht nicht?« erkundigte ich mich.

»Nur, wenn Sie sich einer Operation unterziehen wollen«, erstickte die Apothekerin meine Hoffnungen.

Wollte ich nicht, also blieb nur die Manschette. Nun lege ich also zweimal am Tag das Gerät an, drücke einen Knopf, es pumpt, und schon gibt die Digitalanzeige zwei Werte nebst dem Puls an, die ich sowohl im Gerät speichere, als auch in einem Heftchen notiere. So weit, so gut, doch gelegentliche Kontrollmessungen ein paar Minuten später zeigen Schwankungen, die mir als Nicht-Mediziner nicht gesund vorkommen. Auch wenn ich zwischendurch weder mit meinem Sohn über die Bedeutung des Wortes »Bitte« diskutiere noch mich der transzendentalen Meditation hingebe, unterscheiden sich die Werte manchmal derart, dass ich den gängigen Tabellen zufolge zwischen Koma, gesundem Dasein und Schlaganfall oszilliere. Gut, dass ich nicht hypochondrisch veranlagt bin.

Sowohl Ärztin als auch Apothekerin halten das für normal: Diese Geräte seien halt nicht so genau, und es gebe bei mir garantiert keine physiologischen Ursachen. »Nehmen Sie den Mittelwert oder probieren Sie es mit der Oberarmmanschette«. Mooment – die angegebenen Genauigkeiten der beiden Gerätetypen unterscheiden sich doch nur minimal. Was soll das also bringen? Ausführliches Experimentieren – man ist ja schließlich Naturwissenschaftler – bringt es an den Tag: Die Dinger messen nicht etwa ungenau, sondern sind unglaublich empfindlich gegenüber Umweltbedingungen.

Manschette ein klein wenig anders ausgerichtet? Höhe des Handgelenks minimal verändert? Ellenbogen aufgestützt oder nicht? Womöglich kurz gezittert? Fenster geöffnet? Das kann Dutzende mmHg Unterschied ausmachen. Ein Kurztest mit einem geliehenen Oberarmgerät zeigt, dass dort im Prinzip dieselben Fehlerquellen zuschlagen, sie machen sich nur etwas weniger stark bemerkbar. Dafür ist die Prozedur jedoch unglaublich lästig, so dass ich doch lieber beim Armband bleibe und versuche, die Messbedingungen konstant zu halten und Mittelwerte zu bilden. Das bedeutet allerdings, dass für einen Messpunkt drei Messungen nötig sind. Die Mittelwertbildung erinnert mich an mein Astrophysik-Praktikum während des Studiums – damals waren noch praktisch sämtliche Entfernungswerte im Universum mit dem Zusatz +/-200% zu lesen.

Was die Weltraumforschung anbelangt, hat sich die Messgenauigkeit in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert, bei der Blutdruckmessung stagniert sie seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Präzise scheint nur die invasive Methode zu sein, bei der die Arterie punktiert wird, und das ist definitiv nichts für den Hausgebrauch. Kann das alles sein? Gibt es nur die Wahl zwischen störanfälliger Messung und Anzapfen der Schlagader? Als gelernter Physiker kann ich mir zwar schon andere Methoden vorstellen, aber keine scheint bislang ernsthaft umgesetzt worden zu sein. Hoffnung macht die Meldung des Fraunhofer-Instituts zur Pulswellenlaufzeit; dennoch ist es erschreckend, wie wenig auf manchen Gebieten geschieht. Immerhin ermitteln Sensoren in jeder Industrieanlage berührungslos Druck und Strömungsgeschwindigkeit von Flüssigkeiten und Gasen, doch in der Medizin verwenden wir Technik aus dem 19. Jahrhundert, wenn auch digital aufgehübscht. Muss das sein?

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Medizinelektronik