Pausenloses Computerspiel ohne Kontakt zur realen Welt: Für viele ist das eine bloße Disziplinlosigkeit. Die WHO sieht das anders und hat Video- und Online-Spielsucht in ihren Krankheits-Katalog aufgenommen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Videospielsucht Mitte Juni als Krankheit anerkannt. Für die Betroffenen eröffnet dies nach Ansicht von Experten neue Wege. Suchttherapeut Christian Groß vom Fachverband Medienabhängigkeit sagt: »Das Wichtigste ist, die betroffenen Patienten haben jetzt einen Anspruch auf Behandlung.« Zudem werde in die Prävention künftig Geld fließen – aus der Jugendhilfe, von den Kommunen und aus Bundesmitteln. Dazu gehöre auch die Medienkompetenzerziehung an Schulen.
Nach Einschätzung des Fachverbands Medienabhängigkeit sind 0,5 bis ein Prozent der gesamten Bevölkerung abhängig von Online-Spielen. Vor allem Jungen und Männer seien betroffen. Besonders gefährdet sei die Altersgruppe der 12- bis 20-Jährigen. Der Verband fordert – wie bei Tabak, Alkohol und Spielhallen – gesetzliche Altersbeschränkungen für Videospiele. »Der Staat hat jetzt eine Fürsorgepflicht«, betont Groß. Zumindest Spiele wie World of Warcraft, die Studien zufolge starke Suchtmechanismen hätten, müssten eine gesetzliche Altersfreigabe bekommen. Derzeit gebe es aber nur die freiwillige Selbstkontrolle.
Sekpsis und Spott seitens der Wissenschaft
Es sind schon Leute nach 20, 30 Stunden nonstop Computerspielen tot umgefallen. Ein 24-Jähriger in Shanghai 2015 etwa, der 19 Stunden bei World of Warcraft online war, oder 2012 ein Teenager in Taiwan, der 40 Stunden ohne Unterbrechung Diablo 3 gespielt hatte. Anfang letzten Jahres starb ein 35-Jähriger in Virginia Beach in den USA bei einem World of Tanks-Marathon. Solche Extremfälle sind selten. Aber Ärzte schlagen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm, weil sie immer öfter spielsüchtige Patienten sehen. Deshalb führt sie Online-Spielsucht nun als eigene Krankheit ein. Manche Wissenschaftler sind skeptisch – oder auch spöttisch.
Wer beim Spielen schon mal etwas Anderes habe schleifen lassen - Hausputz, Aufräumen oder andere lästige Arbeit - müsse dringend zum Arzt, ätzte der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt sarkastisch, als die Pläne der WHO vor einem Jahr ans Licht kamen. »Sie könnten ernsthaft krank sein! ... Den umtriebigen Blogger von nebenan sollten Sie vorsorglich auch melden, damit er zwangseingewiesen wird.« Viel Online-Spielen als Sucht zu definieren, könne zum Dammbruch werden, warnt er: »Von Handy-Sucht bis Social-Media-Depression wäre vieles als eigenständige Medien-Krankheit denkbar. In der Folge wären zahlreiche Kinder, Jugendliche und Erwachsene per Definition von heute auf morgen therapiebedürftig.«
WHO bleibt bei ihrer Meinung
Vladimir Poznyak vom WHO-Programm Suchtmittelmissbrauch sieht das ganz anders. »Es gibt klare Grenzen zwischen normalem Spielen und Spielsucht«, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Im Katalog werden drei Kriterien genannt: entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens, wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten und Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen. »Spielsüchtig ist jemand, der Freunde und Familie vernachlässigt, der keinen normalen Schlafrhythmus mehr hat, sich wegen des ständigen Spielens schlecht ernährt oder sportliche Aktivitäten sausen lässt«, sagt er.
»Wir finden es problematisch, wenn das Spielen pathologisiert und die Spieler stigmatisiert werden«, sagt der Geschäftsführer des Verbands Game, Felix Falk. Der Verband deckt nach seinen Angaben mit rund 200 Mitgliedern wie Entwicklern und Grafikern mehr als 90 Prozent der deutschen Games-Branche ab. »Einige wenige Menschen spielen exzessiv und das ist problematisch«, räumt er ein. Die Branche habe seit den 90er Jahren gelitten, weil Computerspiele etwa für Amokläufe verantwortlich gemacht worden seien, sagt Falk. »In der Folge werden heute nur rund sechs Prozent des Umsatzes von über zwei Milliarden Euro in Deutschland mit deutschen Spielen gemacht.« Deutschland verpasse in einer Zukunftsbranche den Zug. 2017 wuchs der Markt für Computer- und Videospiele sowie Games-Hardware um 15 Prozent auf mehr als 3,3 Milliarden Euro. (dpa/me)