Europa ist im Dauerkrisenmodus. Färbt das auf den Arbeitsmarkt in der Elektronikindustrie ab? Fakt ist, die Zahl der offenen Stellen ist weiterhin hoch, Unternehmen stellen unbeirrt ein. Das liegt auch an einem langfristigen Trend.
Bei SchuhEder Consulting geht das Geschäft unverändert weiter: »Bei uns ist von Krisenmodus definitiv nichts zu spüren«, sagt Personalberaterin Renate Schuh-Eder. Auch angesichts der angekündigten Rezession in Deutschland gebe es noch keine Zurückhaltung bei den Stellensetzungen, so die Beraterin. Zwar registrierten die Unternehmen durchaus hier und da rückläufiges Geschäft. Doch die Fülle an strategisch wichtigen Positionen und Nachbesetzungen, die realisiert werden müssten, tangiere das nicht, erklärt Beraterin Schuh-Eder, die das offizielle Karriereportal für die electronica betreibt (Career Area in Halle B4, Stand 469) und mit ihrem Team Beratung rund um Branche und Beruf täglich direkt auf der Messe anbietet: »Wir stehen mit unserem Berater-Team sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber wieder für Fragen zum Thema Karriere in der Elektronik zur Verfügung.«
Hays misst Veränderungen
Auch Katharina Hain, Head of Talent Marketing & Federal Partners bei Hays, sieht weiterhin einen Arbeitnehmermarkt. Von Hiring Freeze gebe es keine Spur, wenngleich der Arbeitsmarkt nicht mehr ganz so überhitzt sei wie noch im letzten Jahr, so Hain. Das ändere aber nichts an den weiterhin hervorragenden Bedingungen für potenzielle Jobwechsler unter Ingenieuren und Fachkräften. Bereits im zweiten Quartal habe man beim hauseigenen Fachkräfteindex einen leichten Rückgang der Nachfrage registriert, welcher sich laut aktueller Auswertung im dritten Quartal weiter fortsetzt. Vor allem bei Bauingenieuren (–28 Prozentpunkte auf die Indexgröße von 181 Prozent), bei Planungsingenieuren (–12 Prozentpunkte auf 140 Prozent) und Projektingenieuren (–5 Prozentpunkte auf 101 Prozent). Aber eben von einem extrem hohen Niveau aus.
»Die Nachfrage ist dennoch weiterhin hoch, vor allem im Vergleich zu den Vorjahresquartalen und zum Teil auch zum Vor-Corona-Arbeitsmarkt«, erklärt Hain. Anders als in früheren Krisen sei das »Perm«-Geschäft, also das Personalvermittlungsgeschäft von Hays für Festanstellungen, nämlich erstaunlich stark, die Unternehmen wichen nicht wie in früheren Krisen auf Zeitarbeit aus, um im Notfall schnell Kosten drücken zu können.
Die Personal- und Managementberatung Kienbaum engagiert sich besonders im technisch geprägten Mittelstand und bei der Besetzung von Führungspositionen. Tatsächlich erlebe man im direkten Kundenkontakt eine »leichte Tendenz zu einer abwartenderen Haltung«, beschreibt Dipl.-Ing. Carsten Kremser, Director und Executive Search Experte im Bereich Industrial, seinen Eindruck. Interessant: Kunden legten vermehrt Wert auf Fähigkeiten, Teams über große Entfernungen hinweg führen zu können. »Das kann ein Indikator dafür sein, dass technische Disziplinen vermehrt außerhalb von Deutschland und Europa aufgebaut werden sollen«, so Kremser. »Für herausragende, kluge Köpfe scheint der Markt noch ungebrochen gut zu sein«.
Hays hat aktuell fast 10.000 offene Stellen im Ingenieurwesen ausgeschrieben. Die größte Nachfrage gibt es im Bereich Automotive (18,5 Prozent), im Bauwesen (23,7 Prozent), in der Elektrotechnik (11 Prozent) und im Maschinen- und Anlagenbau (9,8 Prozent). Gesucht sind allen voran Softwareentwickler und Projektleiter und -planer, Elektriker und Elektroniker, Konstrukteure und Hardwareentwickler sowie Logistiker.
Die Zahl der Besetzungswünsche in Festanstellung ist dabei in Relation auffallend hoch, die Zeitarbeit als Risikopuffer werde nicht wie in früheren Krisen ungewöhnlich beansprucht, registriert die Expertin. Aktuell ist kein klarer Trend erkennbar. »Wir sind weiterhin stabil in unserem Perm-Geschäft. Für mich auch logisch, denn Unternehmen, die es sich erlauben können, wissen um den Fachkräftemangel und werden sich, wo es nur geht, Fachkräfte sichern.«
Regional betrachtet gebe es die meisten Vakanzen für Engineering-Fachkräfte in München, Berlin und Stuttgart. Die stärksten Branchen-Zuwächse bei der IT (+58 Prozentpunkte auf 252 Prozent, der Automobilindustrie (+17 Prozentpunkte auf 27 Prozent) und der Elektronik (+9 Prozentpunkte auf 121 Prozent).
Was Indeed Hiring Lab verzeichnet
Dr. Annina Hering, Ökonomin im Indeed Hiring Lab, bewertet den aktuellen Arbeitsmarkt wie folgt: »Wir sehen aktuell auf dem Arbeitsmarkt einen leichten Rückgang der offenen Stellen über alle Jobsegmente in Deutschland hinweg. Dennoch sind sie weiter auf sehr hohem Niveau. Jeden Monat erscheinen weiterhin eine Million neue Jobs auf Indeed. Unsere Referenz ist immer der 1. 2. 2020, Pre-Covid.« Gemessen an diesem Ausgangspunkt vor gut zweieinhalb Jahren habe das Stellenniveau zeitweilig um bis zu 60 Prozent darüber gelegen, so Hering.
»Aktuell stehen wir insgesamt bei einem Anstieg an offenen Stellen von 53,7 Prozent seit Februar 2020. Während die Zahlen in den vorigen Wochen wie erwartet etwas zurückgegangen sind, ist in der letzten Woche tatsächlich wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Ein größerer Einbruch auf dem Arbeitsmarkt zeichnet sich demnach noch nicht ab. Er zeigt sich robust und resilient angesichts der aktuellen Krisenlage. Wir sind zwar darauf vorbereitet, dass es kurz- bzw. mittelfristig krisenbedingt zu einem weiteren Rückgang der Vakanzen kommt. Aber die langfristigen Trends, wozu in erster Linie der demografische Wandel in Deutschland gehört, werden dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt robust und auf hohem Niveau bleibt. Unsere größte Sorge in der Zukunft wird nicht das Stellenangebot sein, sondern der flächendeckende Arbeitskräftemangel. Das gilt flächendeckend für alle Bereiche, auch für die Elektrotechnik.«
Elektroingenieure werden laut der Indeed-Zahlen weiterhin auf hohem Niveau gesucht, allerdings befänden sich die fachspezifischen Stellen seit gut einem Jahr auf einem Plateau. Die Erklärung Herings: »Möglicherweise ist das auch eine Folge der gestörten globalen Lieferketten infolge der pandemischen Lage. Aktuell liegt die Anzahl offener Stellen bei den Elektroingenieuren bei knapp 40 Prozent über dem Vor-Pandemieniveau.« Bei den Elektrotechnikern steige die Zahl offener Stellen hingegen immer weiter an und liege aktuell 23 Prozent über dem Vergleichswert. Der Trend für den Beruf gehe also weiter nach oben, so Hering.