Zwischen Messe-Gag und realer Anwendung

Touch und Tablets in der Industrie

13. Februar 2014, 11:29 Uhr | Joachim Kroll
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Web-App oder native App?

Web-Technologien benötigen mehr Leistung als native Apps, da sie sich auf einer höheren Abstraktionsebene bewegen. Die Entwicklung geht schneller, verlangt der Hard- und Software dafür aber mehr ab. Konrad Peters, Actiworks, sagt: »Aber die Zeit spielt für uns. Die Smartphone- und Tablet-Prozessoren werden rasch leistungsfähiger, insbesondere bei der Grafik. Heute ist es schon viel besser als vor eineinhalb Jahren.« Actiworks setzt darauf, beide Techniken zu verbinden, und favorisiert hybride Apps. Dabei wird Web-Technik in eine native App eingeblendet.

Die native App ist die natürlichste und für den Nutzer schnellste Art, auf einem Smartphone oder Tablet auf bestimmte Funktionen zuzugreifen. Native Funktionen sind auch deshalb unabdingbar, weil nur sie die Verbindung zur Hardware herstellen, also z.B. den Zugriff auf angeschlossene Sensoren erlauben, Daten lokal speichern können und weil sie die Brücke zum Betriebssystem bilden. Außerdem muss irgendwann die Abstraktion aufgelöst werden, d.h. aus dem 2-Byte-Integer-Wert, den ein Sensor liefert, muss irgendwann die Zahl werden, die der Browser anzeigt. Der Browser kennt aber noch nicht einmal Integer, er kennt nur Unicode-Zeichen.

Obendrein haben reine Web-Apps den Nachteil, dass sie nur funktionieren, wenn eine Verbindung zum Internet besteht. Das kann man mit einer nativen App umgehen, indem man einen gewissen Funktionsumfang fest in der App einprogrammiert. Durch eine Web-Schnittstelle wird die App in ihrem Funktionsumfang aber wesentlich leichtgewichtiger und beschränkt sich damit nur noch auf die absolut notwendigen, plattformabhängigen Teile.

Eine andere Möglichkeit, plattformunabhängige Apps zu erstellen, ist die Cross-Compilierung. Dabei wird die App in eine Zwischensprache übersetzt, aus der dann der Code für die verschiedenen Zielsysteme compiliert wird. „Das war aber anfangs alles sehr instabil,“ sagt Konrad Peters. „Denn die Programmierparadigma der Systeme sind einfach zu verschieden. Objective-C von Apple ist beispielsweise deutlich laufzeitbezogener als Java bei Android.“ Außerdem sei der Nachteil, dass man dann vollkommen abhängig vom eingesetzten Entwicklungswerkzeug wird. Die Frameworks, mit deren Hilfe solche plattformunabhängigen Apps erstellt werden, sind alle proprietär.

Native Apps sind nur dann vonnöten, wenn es um die Darstellung von Bewegtinhalten geht und dabei das letzte Quantum an Performance ausgenutzt werden soll. Das ist typischerweise bei Spielen der Fall. Business-Apps oder Maschinensteuerungen sind aber transaktionsorientiert, d.h. die App stellt eine statische Seite dar, der Nutzer gibt Daten ein, drückt auf „OK“ oder „Absenden“, die App verarbeitet die Daten und stellt das Ergebnis wiederum auf einer statischen Seite dar. Sind tatsächlich dynamische Inhalte darzustellen, dann stellt sich die Frage, ob der Mehrwert einer nativen App den damit verbundenen Entwicklungsaufwand rechtfertigt. „Das Ergebnis ist in den meisten Fällen ganz klar: Nein,“ berichtet Konrad Peters. „Der letztlich ausschlaggebende Grund für eine hybride App ist aber immer wieder die Anforderung: Auf einer Website soll es auch funktionieren.“ Letztlich muss die App dann nur schnell genug sein. Für einen flüssigen Ablauf gibt es folgende Faustregeln:

Eine Verzögerung von unter 0,1 s bemerkt der Mensch nicht. Wenn der Bildschirm z.B. 50 ms Verzögerung hat, dann bleiben noch ca. 40 ms Zeit, um Software-mäßig zu reagieren. Bei einer Verzögerung von über 1 s wird der Gedankenfluss unterbrochen. Die Gefahr von Ablenkungen wächst. Das ist z.B. bei Webseiten so, die oft 3 bis 4 s Reaktionszeit benötigen. Bei einer Verzögerung von über 10 s widmet sich der Mensch bereits anderen Dingen.

Zukunftssicher durch Web-Technik

Der große Vorteil der Web-Technik liegt in ihrer Zukunftssicherheit: Wie sich die Programmiermodelle und Tools für Apps entwickeln werden, kann heute niemand vorhersagen. Das ist besonders angesichts der langen Lebensdauer von Industriegeräten ein großer Unsicherheitsfaktor. Die Web-Technik hat sich seit 20 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und wird das auch in den nächsten 20 Jahren tun. HTML und CSS sind Standards für die Web-Programmierung, die auf einer breiten Akzeptanz fußen. Von daher besteht kein Risiko, dass irgendwann ein großes Unternehmen daherkommt und das Web von nun an völlig anders programmieren will. Was dann passiert, hat der Versuch von Microsoft gezeigt, „Silverlight“ als Web-Standard zu etablieren: Es wurde von anderen einfach ignoriert. Auch die proprietäre Flash-Technik von Adobe steht vor einer unsicheren Zukunft. Viele Flash-Features wie z.B. die Wiedergabe von Bewegtinhalten, 3D-Darstellung oder das Anfordern von lokalem Speicher werden obsolet werden, je mehr sich der ­­HTML5-Standard durchsetzt.

Ein weiterer Vorteil von HTML und CSS: Alles, was ein Browser oder Renderer nicht versteht, wird einfach ignoriert. Es lässt sich also vorhersagen, wie alte Geräte auf eine zu neue Oberfläche reagieren. Mit Anweisungskaskaden lässt sich das dann so auffangen, dass alle Gerätegenerationen berücksichtigt werden können. Zum Beispiel werden Animationseffekte auf Geräten, die das nicht darstellen können, statisch angezeigt. Konrad Peters von Actiworks: „Ich wage vorauszusagen, dass in ein paar Jahren auch die Desktop-Anwendungen fast ausschließlich auf Web-Techniken basieren werden“.

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Bild 4. Prime Cube stellt kundenspezifische Panel-PCs her, die mit kapazitiven Tastern oder z.B. Not-Aus-Tastern ausgestattet werden können. Bei der Software, die das Qt-Framework nutzt, kann echte Gestensteuerung realisiert werden.
© Schubert System Elektronik

Touch und Multi-Touch in der Automatisierung

Wie vielfältig die Wege sind, die die Industrie beschreitet, um moderne Benutzeroberflächen auf Bedien-Panels und Maschinensteuerungen zu bringen, zeigte die SPS IPC Drives im November 2013 in Nürnberg. Hier stellte z.B. Schubert System Elektronik aus, die mit ihrer Marke Prime Cube Bedieneinheiten für die Industrie herstellen.

Hierbei handelt es sich um Panel-PCs, die nach Kundenwunsch mit maßgeschneiderten Bedienelementen wie etwa kapazitiven Tastern angereichert werden können. Roland Haag von Schubert System Elek­tronik sagt: »Wenn auf eine neue Maschinengeneration umgestellt wird, nutzen viele Maschinenhersteller die Gelegenheit, auch das Bedien-Interface zu überarbeiten (Bild 4). Durch die neuen Bildschirme im 16:9-Format können heute zusätzliche Applikationen in das Bedien-Interface integriert werden, für die bisher ein zusätzlicher Bildschirm nötig war, z.B. Überwachungskameras oder Werkzeugverwaltung.« Schubert setzt bei der Software auf eine eigene Linux-Distribution, auf der die Benutzeroberfläche mit dem Software-Framework Qt entworfen wird.

Multi-Touch für die Sicherheit: B&R steuert Kunststoff-Spritzgussmaschinen mit Touch Interfaces. Sicherheitsrelevante Abfragen müssen mit zwei Händen bestätigt werden
Bild 5. Multi-Touch für die Sicherheit: B&R steuert Kunststoff-Spritzgussmaschinen mit Touch Interfaces. Sicherheitsrelevante Abfragen müssen mit zwei Händen bestätigt werden.
© B&R

Auch B&R nutzt Touch und Multi-Touch für die Steuerung von Maschinen. »Insbesondere in der Kunststoffverarbeitung bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, Visualisierungs- und Bedienkonzepte auf völlig neue Beine zu stellen«, sagt Raimund Ruf, Business Manager HMI bei B&R. Die Spritzgießmaschinen können mit verschiedenen Kunststoffen befüllt werden. Die Rezepte dafür werden über das Touch-Interface ausgewählt und per Wischgeste in die Maschine »eingefüllt« – eine besonders benutzerfreundliche Anwendung der Gestensteuerung. Sicherheitsabfragen müssen mit zwei Händen bestätigt werden (Bild 5).

UID stellte auf der Messe ein neues Produkt namens »Smart HMI« vor, das zur Darstellung der Bedienschnittstelle den neuen HTML5-Standard nutzt (siehe Kasten Wozu braucht man ­HTML5?), der vsl. 2014 endgültig verabschiedet wird. »Durch Web-Technik werden wir unabhängig von Hardware und Betriebssystem,« sagt Andres Beu von UID. »Eine Bedienoberfläche lässt sich damit sowohl auf großen wie auf kleinen Bildschirmen darstellen. Und auf dem Bediengerät muss auch keine schwergewichtige Software mehr eingesetzt werden – ein Web Browser reicht.« Smart HMI besteht aus drei Teilen: In einer Engineering-Umgebung werden die Bedienoberflächen erstellt. Zweite Komponente sind die Steuerelemente – vorgefertigte HTML5-Bausteine für die Interaktion mit Geräten und Maschinen. Dritter Bestandteil ist ein »Connector«, der die Verbindung zwischen Steuerung und Web Client herstellt. Dieser Connector ist ein Daten-Gateway, das Prozessdaten aus der Steuerung in ein Web Interface einschleust.


  1. Touch und Tablets in der Industrie
  2. Web-App oder native App?
  3. Umsetzung braucht Zeit

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