Elektronik: PikeOS wird also weiterhin ein System sein, das auf Safety fokussiert ist?
Franz Walkembach: Viele Anwendungen lassen sich nicht rein auf Safety oder Security reduzieren, z.B. Car2Car. Im Moment haben wir einen Kunden, der ein bestimmtes CC-EAL-Level zertifiziert haben möchte. Aber als Nächstes kommt vielleicht Airbus und sagt: Wir möchten SAL 3; dann kommt womöglich die Automobilindustrie und macht auch noch ihren eigenen Security-Standard. Das macht’s nicht einfacher. Aus Kundensicht ist es aber absolut sinnvoll, Safety und Security zu kombinieren. Folglich ist das der Bereich, wo in den nächsten zwei Jahren unser Haupt-Investment liegen wird.
Elektronik: Wie sieht es mit Sicherheitsvorkehrungen in Ihrem Unternehmen aus? Dürfen sich Besucher in Ihrem Haus frei bewegen? Dürfen Ihre Mitarbeiter private und geschäftliche Daten auf demselben Gerät haben?
Knut Degen (lacht): Solange Hillary Clinton ihre E-Mails von ihrem privaten Account verschickt und Frau Merkel das Kanzlerhandy nicht benutzt hat … aber von jedem kleinen Entwickler wird natürlich verlangt, dass er es mit Datensicherheit ganz genau nimmt. Aber mal im Ernst: Wir müssen die Balance finden zwischen Start-up-Kreativität und dem Overhead, den wir durch eine Zertifizierung haben. Es gibt aber in der Tat einige Kernel-Entwickler und zwei Leute im Vertrieb, die sehr starke Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen. Die arbeiten auch in einem abgetrennten Bereich.
In diesem Gebäude hier (bei Mainz) werden Sie sich weiter so bewegen können wie bisher. Wir haben einen etablierten Prozess, indem wir festhalten, wer wann das Haus betritt und verlässt. Aber in Frankreich gibt es auch abgeschottete Büros, die geteilt sind in einen öffentlichen und einen nichtöffentlichen Bereich. In Zukunft werden Sie sich aber auch ausweisen müssen, denn die Prüfung der Identität von Besuchern ist eine der Bedingungen, die uns die Audits auferlegen.
Elektronik: PikeOS ist nach Ihrer Aussage aus sich heraus sicher. Wozu brauchen Sie dann eine Kooperation mit Kaspersky?
Franz Walkembach: Ja, PikeOS ist sicher, aber oben drauf laufen ja noch die Anwendungen des Kunden. Dazu sind wir die Kooperation mit Kaspersky eingegangen, um ein Angebot zu schaffen, auch diese Anwendungen abzusichern.
Knut Degen: Kaspersky hat eine sehr starke Position im Markt, was die Absicherung von Infrastruktur angeht. Mit ihren Virenscannern und Analysen haben sie sich sehr auf dieses Thema konzentriert. Aber Kaspersky hatte kein Betriebssystem dafür. Da haben wir uns einfach gut ergänzt.
Elektronik: Wie hat Ihre Muttergesellschaft Thales auf die Kooperation mit einem russischen Security-Dienstleister reagiert?
Knut Degen: Das hat mir natürlich einige kritische Fragen beschert. Als wir die Kooperation anfingen, war Herr Putin noch nicht auf die Idee gekommen, dass die Krim wieder ganz gut zu Russland passen könnte. Die Kooperation ist eine Win-Win-Situation, die ich auch heute noch gut vertreten kann. Neben den technischen Aspekten redet Kasperky mit den CEOs und CIOs – eine Ebene, die wir allein nicht erreichen konnten. Das ist eine gute Synergie, was die Sichtbarkeit am Markt angeht. Die Synergien zwischen Kaspersky und uns könnten noch weitaus größer sein, wenn die politische Situation nicht so angespannt wäre. In früheren Zeiten hätten die Russen unsere Technologie wahrscheinlich einfach als Produkt eingesetzt. Heute müsste Kaspersky den Quellcode haben, aber das ist für uns ein No-Go.
Elektronik: Es gibt auch Prozessoren, die Safety-Funktionen unterstützen. Nutzt PikeOS solche Hardware-Ressourcen oder setzen Sie rein auf Software?
Franz Walkembach: Wenn ein Prozessor Virtualisierungsfunktionen hat, dann nutzen wir die natürlich.
Knut Degen: Die Prozessoren von TI und Infineon, die Sie ansprechen, haben alle nur eine MPU (Memory Protection Unit), keine MMU (Memory Management Unit). PikeOS ist auf eine MMU angewiesen, um den Speicher sicher zu partitionieren. Von daher kann es auf den Hercules- und Aurix-Controllern nicht laufen. Aber da sind wir dran, das zu ändern, da werden Sie demnächst noch von uns hören.
Elektronik: Ihre Wettbewerber gehen mitunter zahlreiche Partnerschaften ein, um ihr System zu erweitern. Warum hört man da von Sysgo so wenig?
Knut Degen: Mir liegt daran, dass wir nicht nur Logos auf unsere Website setzen, sondern Partnerschaften auch pflegen können. Bisher hatten wir nur ein Ein-Frau- bzw. Ein-Mann-Marketing, also sehr beschränkte Ressourcen. Jetzt ist es ein Team von vier Leuten. Wir haben uns vorgenommen, dieses Thema jetzt anzugehen und bei Partnerschaften aufzuholen.
Das grundsätzliche Problem ist aber das Up-Front-Investment, also: Wie viel kann ich investieren, um bei einem Kunden oder in einen Markt reinzukommen? – Die Automobilindustrie verlangt ein sehr viel höheres Vorab-Investment als viele andere Industrien. Da muss man eigentlich schon einen Prototypen von dem mitbringen, was man später machen will. Das kostet ein Mannjahr, nur damit man vorstellig werden kann und sagen kann: Wir können das.
Franz Walkembach: Wir sprechen natürlich mit vielen Partnern. Aber wir fokussieren uns sehr stark auf die SoC-Lieferanten wie Renesas und die Board-Hersteller, mit denen wir Partnerschaften haben. Bei Software-Partnern ist die Frage, ob z.B. eine Middleware auch zertifiziert werden soll. Dann ist eine sehr intensive Zusammenarbeit nötig.
Elektronik: Wie sind Ihre Erfahrungen aus EU-Förderprogrammen? Reicht die Förderung aus, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken?
Knut Degen: Ja, sie reicht aus. Es ist Aufgabe des Staates, Grundlagenforschung zu betreiben und dafür zu sorgen, dass sinnvolle Dinge entwickelt werden. Aber es ist nicht seine Aufgabe, Firmen zehn Jahre am Leben zu erhalten, damit sie irgendwann eventuell doch noch den Durchbruch schaffen. Das ist die Aufgabe privater Investoren.
Manche Projekte, an denen wir teilgenommen haben, haben uns nichts gebracht und manche waren extrem sinnvoll. Der Hauptnutzen lag für uns neben den technischen Aspekten in den Kontakten zu großen potenziellen Kunden, an die wir sonst überhaupt nicht herangekommen wären.
Die Autoren
Knut Degen |
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Gründer und CEO (links). Er hat Sysgo vom Ingenieurbüro zu einem Software-Unternehmen entwickelt, das technisch in der ersten Liga mitspielt. Mit dem Betriebssystem PikeOS war Sysgo einer der ersten Anbieter, die Virtualisierungstechnik einsetzten, um Multicore-Prozessoren sinnvoll zu nutzen und Anwendungen so sicher gegeneinander abzuschirmen, wie es bisher nur mit redundanter Hardware möglich war. Knut Degen ist verantwortlich für die strategische Ausrichtung des Unternehmens sowie für Forschung und Technik. Bevor er Sysgo mitgründete, war er als Software-Entwickler für ein Echtzeit-Betriebssystem bei Eltec Elektronik tätig. Er hat an der Universität Mainz Psychologie studiert. |
Franz Walkembach |
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hat in seinen 25 Jahren Berufserfahrung schon viele Facetten der Embedded-System-entwicklung kennengelernt: Infotainment und Telematik für Systeme im Auto wie auch Anwendungen aus der Konsumelektronik. Zu Sysgo kam er erst im letzten Jahr. Vorher war er bei Wind River beschäftigt, wo er Kundenbedürfnisse analysierte, den Leistungsumfang von Produkten und Dienstleistungen festlegte sowie für Umsatz und Ertrag im Bereich der Automobil-Software sorgte. Franz Walkembach hat ein Ingenieurs-Diplom in Mechatronik und ist aktives Mitglied mehrerer Industriekonsortien. |