Für sicherheitskritische Baugruppen

Degolding und Reballing: Wie sich Chip-Packages "umarbeiten" lassen

27. April 2012, 14:29 Uhr | Karin Zühlke

Als Zulieferer der Luft- und Raumfahrtindustrie fertigt die EADS-Division Cassidian hochzuverlässige Produkte in kleinen Stückzahlen. Nicht immer entsprechen die Chip-Packages der verwendeten Bauelemente allerdings den hohen Anforderungen von Cassidian. Das Unternehmen hat deshalb für kritische SMD-Bauformen Verfahren entwickelt, um die Packages an seine Bedürfnisse anzupassen.

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Cassidian fertigt Produkte der IPC-Klasse 3 oder höher. Bestehende Designs bleiben meist ungefähr 20 Jahre auf dem Markt, um die sehr teuren und aufwändige Re-Zertifizierungen neuer Designs zu vermeiden. Die lange Verfügbarkeit und die hohen Zuverlässigkeitsanforderungen stellen das Luft- und Raumfahrtunternehmen besonders bei der Verarbeitung von kritischen SMD-Bauformen immer wieder vor Herausforderungen. Mit überschaubaren Stückzahlen ist Cassidian als Kunde der Halbleiterindustrie zu klein, um direkt beim Hersteller Einfluss auf das Packaging der Bauteile nehmen zu können, gibt Dirk Doser zu bedenken, der Cassidian als Referent auf dem 15. internationalen Elektroniktechnologie-Kolleg vertritt. »Also bleibt für uns oft nur die Möglichkeit, die Packages entsprechend unseren Anforderungen zu modifizieren«, so Doser.

Angepasst werden muss das Chip-Gehäuse beispielsweise dann, wenn während der Umschmelzphase innerhalb des Reflow-Prozesses zu hohe Goldschichtdicken auf dem Package entstehen. Je nach Individualkonzentration am Übergang zur intermetallischen Phase der Lötverbindung entstehen Versprödungseffekte unterschiedlicher Ausprägung.

Es gibt zwar bereits Verfahren auf dem Markt, die solche Versprödungseffekte reduzieren, aber nach den Worten von Doser erfüllen diese die hohen Zuverlässigkeitsanforderungen von Cassidian nicht ausreichend: In dem herkömmlichen Verfahren werden die goldbedeckten Bereiche in schmelzflüssigem Lot eingetaucht. Die Temperatur des Lotbades beträgt dabei mehr als 245 °C, was thermisch äußerst kritisch ist. Die Folge ist eine nicht konkret bewertbare Degradation auf Baugruppenebene. »Wichtig ist, dass nach dem Entgoldungsprozess eine gut lötbare Oberfläche zurückbleibt«, betont der Experte. Um genau das sicherzustellen, setzt Cassidian beim Degolding auf ein selbst entwickeltes vakuumgestütztes, reflowbasiertes Heißgaslötverfahren: Es erfolgt kraftoptimiert, d.h. ohne dabei die generierte neue - goldarme - Grundbelotung sowie »Form-Fit-Function« der SMD-Komponente negativ zu beeinflussen. Zurück bleibt in diesem Fall eine gut lötbare Oberfläche in einer Oberflächengüte, vergleichbar mit einer HAS-L-Beschichtung. Die Dicke der Goldschicht nach der Entgoldung überprüfen die Cassidian-Experten mittels Röntgenfluoreszens. 

Doser nennt noch weitere Vorteile des Cassidian-Verfahrens: Die Komponente und ihre Anschlüsse unterliegen keiner bzw. nur einer »geringst möglichen« Degradation. Außerdem ist das Verfahren sehr gut automatisierbar und dadurch auch reproduzierbar. Auch etablierte Standards und Normen zu den thermischen Zuverlässigkeiten hält Cassidian mit diesem Verfahren ein. »Die thermische Belastung für das Bauteil ist bei unserem Verfahren niedriger als bei der marktüblichen Variante«, betont der Experte. »Das Bauteilgehäuse bleibt deutlich unter 200 °C, und die Lötstellen entsprechen einem gängigen Reflow-Profil mit 225 °C Peak-Temperatur, der das Bauteil auch im normalen Bestückungsprozess ausgesetzt wäre.«

Reballing von Bauteilen: Wenn es bleifrei sein muss

Als eine der wenigen Ausnahmen der RoHS-Regelung greift die Luft- und Raumfahrtindustrie meist noch auf bleihaltige Bauteile zurück. Oft werden die bleihaltigen Komponenten allerdings noch während der in dieser Branche üblichen langen Produktlebensphasen abgekündigt. Mit diesem Problem sieht sich auch Cassidian regelmäßig konfrontiert. In solchen Fällen bleibt dem Unternehmen nur die Alternative, die bleifreien Chip-Gehäuse durch Reballing-Prozesse selbst herzustellen. Zum Einsatz kommen dafür bei Cassidian zwei Mehtoden: Das Laserlöten für die Serie oder in Einzelfällen auch das reflowbasierte Verfahren über das Löten an einer Reworkstation. 

Beim Laserlöten werden die Balls schonend mit einem Laserverfahren aus- und eingelötet: Die Energie trifft lokal begrenzt auf den Ball und belastet das Bauteil nur geringfügig, in etwa so stark wie bei einem Reflow-Prozess. Die Bauteile lassen sich anschließend »ganz normal im Reflow-Profil weiterverarbeiten«, erklärt Doser. Bei geringen Stückzahlen, Prototypen und Sonderapplikationen eignet sich aber auch das Heißgas-Verfahren an der Reworkstation. Die Nachteil dieser Technik sind die höheren thermischen Belastungen für das Bauteil und die relativ lange Prozessdauer.


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