Politische Spannungen und Naturkatastrophen zeigen, wie fragil das globale Handelsnetz ist. Lieferengpässe sind dann unausweichlich und Unternehmensgewinne sowie Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr. Ist jetzt die beste Zeit, sich für die nächsten Krisen zu wappnen?
Die aktuelle Marktsituation lässt es zu, Bauteile für die nächsten Jahre strategisch zu beschaffen und somit die zukünftige Produktion sicherzustellen. Hinzu kommt noch eine Nachwirkung der vergangenen Chipkrise: Die Lagerhallen der Hersteller sind überfüllt. Die in der Krise panisch zu viel gekauften Bauteile sind noch in den Lagern der Hersteller zu finden und somit, auch innerhalb des europäischen Marktes, als sogenannter Excess-Stock zu finden. Innerhalb solcher Positionen lassen sich sogar die einen oder anderen Schnäppchen finden, die das Potenzial bieten, die Produktionskosten zu senken. Doch wenn die Ware aktuell verfügbar ist, wohin damit?
Um die Bauteile für die Produktion von übermorgen heute zu sichern, reicht es nicht aus, sie in ihrer Herstellerverpackung in ein Lager zu legen. Hier sind die Umwelteinflüsse und auch mit der Zeit aufsummierende Gefahrenpotenziale hoch, dass die Ware in der Zukunft für die Produktion verloren geht. Deshalb muss eine sichere Strategie für die längerfristige Lagerung entwickelt werden, also für die Langzeitlagerung. Doch welche Gesichtspunkte müssen für eine erfolgreiche Strategie betrachtet werden?
Die Langzeitlagerung beginnt mit der Qualitätsuntersuchung der Ware. Wenn nach Jahrzehnten festgestellt wird, dass minderwertige Ware eingelagert ist, lässt sich dieser Fehler nicht mehr korrigieren. Aus diesem Grund muss zu Beginn einer langen Lagerzeit eine intensive Analytik stattfinden. So kann eine visuelle Bewertung der äußeren Merkmale eine eintretende Korrosion oder Oxidation aufdecken. Besonders wichtig im Fall von Excess-Stocks ist es, auch die Authentizität der Bauteile zu bestätigen, weil während der Chipkrise auch viele ge- und verfälschte Bauteile auf dem Markt gespült wurden.
Die Krisen dieser Zeit lehren uns eins: um auf lange Zeit eine sichere Anlage zu halten, ist es wichtig, auf eine stabile Region zu setzen. Mitteleuropa gilt seit dem letzten Weltkrieg als die sicherste und somit seit 80 Jahren als stabilste Region auf der Welt. Somit erscheint es als nicht schlechte Idee, eine langfristige Lagerung über Jahrzehnte in einem solchen Land anzusiedeln.
Was der Anleger im Börsengeschäft bedenkt, um auf lange Zeit eine gute Rendite zu erzielen, sollte auch in der Industrie beachtet werden: Nicht alles Glück auf nur einen Spieler zu setzen. So gilt es auch bei der Langzeitlagerung, die Ware an unterschiedlichen Orten einzulagern. Wird durch irgendwelche Umstände eines dieser Lager zerstört, geht auch die gesamte dort eingelagerte Ware verloren.
Ein Dienstleister, der solche lange Lagerzeiten verspricht, sollte bestens abgesichert sein, um die Ware zu schützen. Hierzu zählt eine gute Einbruchsicherung des Langzeitlagers sowie Brandmeldeanlage und eine entsprechende Versicherung, sollte der Fall der Fälle eintreten. Jedoch ist häufig in solchen Lagersituationen nicht der monetäre Verlust der Ware, sondern die Ware selbst der schmerzliche Verlust. Somit muss es für den Dienstleister eine Selbstverständlichkeit sein, dass er die Ware auch in unterschiedliche Brandschutzbereiche einlagern kann.
Auch nach langer Lagerfrist kann Agilität notwendig sein, wenn das eingelagerte Bauteil unbedingt zur Reparatur benötigt wird. Deshalb sollte ein Dienstleister gewählt werden, welcher die Möglichkeit bietet, im Fall der Fälle am nächsten Tag die Ware bereitzustellen und in den Versand zu geben.
Die initiale Qualität muss technisch gesichert und analytisch bestätigt werden. Hierzu zählt eine technisch einwandfreie Verpackung sowie eine schonende Atmosphäre innerhalb der Verpackung. Um die Funktionalität und Verarbeitbarkeit der Bauteile sicherzustellen, lohnt sich der Blick in die Literatur, welche physikalischen Prozesse auf die Qualität der Bauteile wirken. Das Literaturstudium eröffnet folgende Einflussgrößen:
Die Verarbeitbarkeit von elektronischen Bauteilen, insbesondere deren Lötbarkeit, hängt maßgeblich vom Zustand der Lotoberflächen ab. Je fehlerfreier diese Oberflächen, desto besser ist die Löt- und Verarbeitbarkeit.
Sauerstoff führt zur Oxidation der Lotoberflächen, was die Benetzbarkeit durch schmelzflüssiges Lot beeinträchtigt. Dieser Effekt lässt sich nur sehr schwer rückgängig machen.
Ähnlich der Oxidation führt Feuchtigkeit zur Korrosion der Lotoberflächen und somit zur Veränderung der chemischen und physikalischen Eigenschaften der Oberfläche. Somit wird ebenfalls die Lötbarkeit beeinträchtigt, mit ebenfalls fast irreversiblen Auswirkungen.
Organische Verunreinigungen: Fette und andere organische Rückstände können die Lotoberflächen kontaminieren und die Benetzbarkeit negativ beeinflussen. Im Gegensatz zu Oxidation und Korrosion sind diese Verunreinigungen oft entfernbar, wodurch die Lötbarkeit wiederhergestellt werden kann.
Diffusion: Die meisten heutigen Lotoberflächen bestehen aus reinem Zinn mit einer Kupferlegierung als Substrat. Dabei entsteht eine intermetallische Phase (Cu6Sn5), die eine schlechte Benetzbarkeit aufweist und nicht in den üblichen Reflow-Temperaturen von etwa 265 °C aufgelöst oder geschmolzen werden kann. Somit hat auch dieser Prozess maßgebliche negative Auswirkungen auf die Benetzbarkeit mit Lot.
Um diese Alterungsprozesse zu stoppen, muss beim Anbieter das entsprechende technische Know-how vorhanden sein, um diesen mit technischen Lösungen zu entgegnen. Zusätzlich ist es wichtig, die Langzeitlagerung mit analytischen Methoden engmaschig zu begleiten. Hierbei steht die visuelle Untersuchung der Bauteile im Zentrum, um Prozesse wie Korrosion und Oxidation frühzeitig zu entdecken und entsprechend gegensteuern zu können. Die Diffusion lässt sich mithilfe metallografischer Methoden charakterisieren und so ebenfalls als überwachte Variable kontrollieren. Um die Verarbeitbarkeit der Bauteile global sicherzustellen, dient der Benetzungstest. Damit kann über wiederkehrende Untersuchungen eine Abnahme der Verarbeitbarkeit frühzeitig erkannt werden.
Diese verschiedenen Perspektiven verdeutlichen die Komplexität der Thematik Langzeitlagerung. Die umfangreiche Normenreihe DIN EN 62432 ff. bietet zwar wertvolle Hinweise für eine erfolgreiche Lagerung, jedoch beleuchtet sie die physikalischen Prozesse und deren notwendige Kontrolle nicht ausreichend. Aus diesem Grund und um Diversität in der Lagerung zu gewährleisten, empfiehlt es sich, einen spezialisierten Partner für die Langzeitlagerung hinzuzuziehen. Insbesondere da schon der Verpackungsprozess und die erforderliche Analytik sehr aufwendig sind, ist es oft nicht praktikabel, das gesamte technische Know-how und Equipment intern vorzuhalten. Hier können Dienstleister wie SI Electronics maßgeschneiderte Lösungen und fachgerechte Beratung bieten.
Der Autor
Dr.-Ing Paul Braun, SI Electronics
Der Materialwissenschaftler und erfahrene Werkstoffprüfer leitet das SI TechLab als Global Director Quality Control & Research. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er neue Standards zur Authentifizierung und Qualifizierung von elektronischen Bauteilen und sichert damit eine resiliente Supply-Chain.