Rutroniks Beteiligung an collective mind

»Wir wollen als Leader wahrgenommen werden!«

25. November 2024, 16:00 Uhr | Karin Zühlke
Fabian Plentz, Rutronik (links): »Um KI-Anwendungen in intelligente Hardware zu integrieren, brauchen wir Partner, die auf dem neuesten Stand sind und diese Entwicklungen schnell umsetzen können.« // Armin Bär, collective mind: »Im Wettbewerb müssen auch wir das Tempo halten, und gemeinsam mit Rutronik haben wir hier den perfekten Partner, um diesen Weg zu gehen.«
© Rutronik/collective mind

Fast schon revolutionär mutet die 30-prozentige Beteiligung des Distributors Rutronik an collective mind an. Das junge Unternehmen ist Spezialist für Machine-Vision-Anwendungen im KI-Umfeld und hat ehrgeizige Ziele.

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Details von Fabian Plentz, Chief Operating Officer von Rutronik, und Armin Bär, Geschäftsführer von collective mind.

Markt&Technik: Warum hat sich Rutronik an collective mind beteiligt? Oder anders gefragt: Was versprechen Sie sich von diesem Engagement?

Fabian Plentz: Die Beteiligung an collective mind ist für Rutronik eine wichtige strategische Entscheidung: Zum einen steht bei uns die Organisationsentwicklung im Fokus. Es geht um das Potenzial, das uns durch künstliche Intelligenz eröffnet wird in Richtung Automatisierung, Effizienz und Optimierung. Dabei geht es darum, administrative Aufgaben zu reduzieren oder gänzlich zu vermeiden. Hier setzen wir mit ersten Projekten wie z. B. in unserer Lagerlogistik an, die genau das bei uns im Unternehmen umsetzen sollen. Dieses Thema ist derzeit für viele Unternehmen spannend – die Möglichkeiten, die KI in den kommenden Jahren bieten wird, könnten fundamental sein.

Und der zweite Aspekt ist unser klassisches Kerngeschäft. Wir beschäftigen uns bekanntlich schon seit Langem mit Embedded-Systemen und Hardwarelösungen. Heute sehen wir, dass KI – besonders im Bereich Edge AI – eine entscheidende Rolle in der Hardwareentwicklung spielt. Wenn wir uns jetzt nicht in diesem Segment engagieren, würden wir ein enormes Potenzial verpassen. Daher haben wir die strategische Entscheidung getroffen, uns an collective mind zu beteiligen. Unser Ziel ist es, hier als Leader wahrgenommen zu werden.

Herr Bär, warum Rutronik? Worin sehen Sie den Mehrwert der Partnerschaft mit einem Distributor?

Armin Bär: Wir hatten viele Optionen in Bezug auf eine mögliche Partnerschaft, aber entscheidend für uns war, dass die Kultur passt. Rutronik ist ein familiengeführtes Unternehmen aus derselben Region und tickt kulturell ähnlich wie wir. Außerdem schätzen wir die internationalen Zugänge, die Rutronik mitbringt. Wir sehen das Potenzial von KI auch außerhalb Deutschlands, und in vielen Ländern ist die Offenheit dafür sogar noch größer; dort geht es oft schneller voran als hier. Im Wettbewerb müssen auch wir das Tempo halten, und gemeinsam mit Rutronik haben wir hier den perfekten Partner, um diesen Weg zu gehen.

Derzeit liegt die Beteiligung von Rutronik an collective mind bei 30 Prozent. Gibt es Pläne, diese in Zukunft weiter zu erhöhen?

Plentz: Natürlich ist nichts in Stein gemeißelt, aber unser Investment liegt gerade einmal einige Wochen zurück. Fürs Erste möchten wir sehen, wie sich das Ganze entwickelt, und wir haben gemeinsam große Ziele. Wenn alles so läuft, wie wir uns das vorstellen, dann schließen wir eine noch engere Zusammenarbeit in Zukunft nicht aus.

Und welche Rolle will Rutronik im KI-Bereich einnehmen?

Plentz: Da gibt es zwei wesentliche Ebenen, wie auch eingangs schon erläutert: Einerseits wollen wir unser Unternehmen intern weiterentwickeln und die KI auch für eigene Effizienzsteigerungen nutzen. Andererseits wollen wir Pionier sein und sehen enormes Potenzial im Embedded-Bereich, wo wir mit collective mind als Partner nun ein umfassendes Angebot bieten können – sowohl in der Hardware- als auch in der Softwarekompetenz. Die Anforderungen unserer Kunden gehen immer mehr in diese Richtung. Um KI-Anwendungen in intelligente Hardware zu integrieren, brauchen wir Partner, die auf dem neuesten Stand sind und diese Entwicklungen schnell umsetzen können.

Kern der Partnerschaft von Rutronik und collective mind ist das Umfeld der KI-basierten Machine-Vision. Worum geht es dabei konkret?

Bär: Machine-Vision bezieht sich auf das maschinelle Sehen und Interpretieren von Informationen, die über eine Kamera erfasst werden. Die Anwendungsfelder reichen von Logistik bis Industrie. Gemeinsam mit Rutronik arbeiten wir derzeit an einem Use-Case im Wareneingang, um Lieferscheine und Artikel-Labels automatisch mit der KI-basierten Kameratechnologie von collective mind zu scannen und zu interpretieren. Hier kommt eine Kombination aus mehreren KI-Technologien zum Einsatz, unter anderem Texterkennung und Visual-Language-Models. Diese Systeme sind in der Lage, Barcodes und andere Etiketten in Echtzeit zu erfassen und zu analysieren.

Um bei dem eben erwähnten Beispiel zu bleiben: Was ist der Unterschied zum »normalen« Scan-Vorgang?

Plentz: Eine KI-basierte Lösung interpretiert die Information. Die klassische Scan-Software hingegen erfasst, interpretiert aber nichts. Diese hat vorgegebene Parameter, nach denen sie sucht und diese findet oder auch nicht. Logistikexperten gehen davon aus, dass ein Großteil der aktuell eingesetzten Scantechnologien zukünftig durch Kameratechnologien ergänzt oder sogar abgelöst wird.

Wie und ab wann kommt die Lösung von collective mind bei Rutronik selbst zum Einsatz?

Plentz: Voraussichtlich ab Dezember wird das Pilotprojekt bei uns am Logistik-Standort Eisingen, unserem größten Logistikzentrum, ausgerollt. Im Rahmen dessen wird es einen ersten Arbeitsplatz als Pilotarbeitsplatz geben, mit dem dann im laufenden Betrieb gearbeitet wird. Sobald die nötigen Anpassungen vorgenommen worden sind, soll die Lösung in einem nächsten Schritt über alle Arbeitsplätze ausgerollt werden.

Rutronik ist als Use-Case für die Erprobung dieser Entwicklung aufgrund der über 100.000 verfügbaren elektronischen Bauelemente und der damit einhergehenden variablen Erfassungsdaten ideal geeignet. Unser gemeinsames Ziel ist es, die KI-Anwendung in der Logistik zukünftig auch bei wechselnden Formaten und Anordnungen der Produktdaten auf den entsprechenden Produkt-Labeln vollautomatisch und mit flexibler, verlässlicher Informationserkennung einsetzen zu können. Dank der Interpretationstechnologie sparen wir uns viele Anpassungsarbeiten und erhöhen gleichzeitig die Effizienz. Und ein großer Vorteil sind viele weitere Uses-Cases, und das nicht nur in der Logistik. Denn die Kameratechnologie ist versatil und damit zur standardisierten Erfassung und Interpretation von Dokumenten jeglicher Art in vielen weiteren Unternehmensbereichen geeignet.

In Ihrer Pressemitteilung zur Beteiligung unterstreichen Sie das große Potenzial der KI-Tools für mittelständische Unternehmen in Deutschland. Würden Sie das etwas genauer erläutern?

Plentz: Heute wird das Thema KI oft noch mit Unsicherheit vor veränderten Aufgabenbereichen und Prozessen assoziiert. Tatsächlich liegt das Potenzial von KI aber gerade in der Effizienzsteigerung, der Organisationsentwicklung und der Produktivitätssteigerung – und das ist branchenübergreifend relevant und gilt nicht nur für die Elektronikbranche. Viele Arbeitsprozesse, die heute im Alltag von Mitarbeitern ausgeführt werden, werden zukünftig durch speziell für den Aufgabenbereich geeignete KI-Anwendungen mit unterstützt werden. Die Machine-Vision-Technologie von collective mind hat großes Potenzial zum Beispiel in Industrie, Logistik und Handel. Hier sind die Anwendungsfelder vielfältig, und die Technologie kann darüber hinaus in vielen Bereichen eingesetzt werden, die wir heute vielleicht noch nicht im Detail sehen. KI wird in Zukunft in viele Geschäftsprozesse integriert werden und erhebliche Auswirkungen haben.

Bär: Wir hatten ähnliche Entwicklungsschritte schon einmal, als IT in Unternehmen Einzug hielt und die Produktivität revolutionierte. Heute stehen wir mit KI an einem ähnlichen Wendepunkt. Für Deutschland oder auch Europa mit vielen innovationsstarken Unternehmen ist es zwingend notwendig, stetig zu optimieren und mit neuen Technologien Effizienzpotenziale auszuschöpfen. KI ermöglicht uns hier komplett neue Ansätze, Prozesse zu automatisieren und damit auch die Wertschöpfung zu steigern.

Die Punkte, die Sie nennen, spielen ja vor allem für ein Hochlohnland wie Deutschland bzw. die Region Europa eine Rolle. Kann KI in dieser Hinsicht Vorteile bringen?

Bär: Das ist nicht nur eine Frage der Lohnkosten, das wäre zu kurz gedacht. Es geht um die gesamte Kostenstruktur des Produktionsstandorts Europa. Dazu gehören die Personalkosten, die steigenden Ingenieurskosten und die teuren Maschinenlösungen, die wir benötigen, um beispielsweise Qualitätsstandards zu halten. Im Bereich Machine-Vision können wir durch KI-basierte Systeme die Qualitätskontrolle effizienter und kostengünstiger gestalten – das ist eine Entwicklung, die für uns und viele europäische Unternehmen entscheidend sein wird.

Herr Plentz, wie profitieren die Rutronik-Kunden konkret von dieser Zusammenarbeit? Bieten Sie KI-Lösungen als Add-on oder Teil eines Gesamtpakets an?

Plentz: Es wird verschiedene Modelle geben. Manche Projekte werden Einzelprojekte sein, um unsere Kunden direkt mit der KI-Expertise und den damit verbundenen Anwendungen von collective mind zu unterstützen. Wenn ein Kunde bereits auf Rutronik setzt, ist der Weg zur Zusammenarbeit mit collective mind kurz. Wir können dann Use-Cases und Optimierungspotenziale, ob in der Produktion, Logistik oder anderen Unternehmensbereichen, gemeinsam mit collective mind entwickeln und umsetzen. Bei anderen Projekten hingegen werden wir KI-Komponenten direkt in Produkte integrieren und diese als ganzheitliche Lösungen anbieten. Ein Beispiel dafür sind Machine-Vision-Anwendungen: Da gibt es Hardware-Komponenten von u. a. einer Vielzahl von Herstellern auf der Rutronik-Linecard, zu denen wir mit collective mind die passende Softwarelösung liefern können. Unsere Kunden bekommen damit eine umfassende Lösung, ähnlich wie beim Kauf eines PCs, bei dem man direkt das Betriebssystem dazu bekommt.


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