Hier liegt aber eine ganz besondere Chance für die Zukunft der Distribution. Mit dem Wissen und dem Marktverständnis von heute kann Distribution mehr sein als nur der Lieferant, Logistiker oder auch der edlen Hersteller Stellvertreter auf Erden, die die schlechte Nachricht von NCNR (Non-Cancelable, Non-Returnable), Preiserhöhungen und Lieferzeiten weiterreichen.
Die Idee ist simpel und in anderen Branchen längst Usus: Service-Design. In Ergänzung zum klassischen Vertrieb identifiziert der Distributor zusammen mit dem Kunden über den reinen Komponentenbedarf hinaus nicht nur die notwendigen, produktnahen Dienstleistungen, sondern auch die »Pain-Points« des Kunden, erarbeitet Lösungen und packt dies in ein individuelles Service-Design mit einem individuellen Preis. Die simple Variante davon ist Activity-Based Costing (ABC) oder Fee for Service, notwendig wäre eine auf Wertschöpfungserfolg ausgerichtete Bepreisung: Der Distributor der Zukunft als intelligenter Service-Designer, der wie ein Supply-Chain-Architekt agiert und von Beiträgen zur Prozesseffizienz ebenso profitiert wie von Erfolgen beim Risikomanagement.
Klingt unrealistisch? Stimmt. Heute noch. Denn dazu bedarf es nicht nur eines gravierenden Umdenkens auf allen Seiten (Hersteller, Distributor, Kunde, Endkunde), das auch zu wollen, sondern auch einer neuen Denke und zusätzlicher Skills auf jedem Job-Level: Der Verkäufer wird zum Service-Analysten und Opportunity-Scout (für die Umsetzung von Pain-Points in Servicemöglichkeiten), der Logistiker oder Supply-Chain-Spezialist zum Service-Architekten, der Einkäufer (auf Distributionsseite) zum Verfügbarkeitsmanager. Eine weitere Voraussetzung, um sich zum intelligenten Service-Designer zu entwickeln, ist ein besseres Verständnis von Daten und Informationen in der Supply-Chain und deren Bewertung – das wird wohl bald der KI-Kollege erledigen.
Es ist erstaunlich, wie ausgerechnet die High-Tech-Industrie für Elektronik, die in der Lage ist, die größten technischen Wunder hervorzubringen, in Sachen Angebots- und Nachfragemanagement immer wieder über ihre eigene Komplexität stolpert und sich vom eigenen Erwartungsmanagement (Moore’s Law) in die Preisecke treiben lässt. Andere Industrien machen längst vor, wie es gehen könnte.
Zum Schluss noch ein Gedanke dazu, welche Disruptionen nicht nur dem Modell Distribution, sondern der Elektronikindustrie insgesamt drohen. Neben der Geopolitik, dem Klimawandel und KI ist es meiner Meinung nach das Thema Nachhaltigkeit, das massive Auswirkungen auf Produktgestaltung, Produktion, Energieverbrauch, verwendete Materialien, Lieferwege, Langlebigkeit von Produkten und nicht zuletzt Entsorgung haben wird. Wir beobachten heute einen Mix aus Greenwashing und »zarten Anfängen«, die von der Gesellschaft künftig nicht mehr toleriert oder als zu wenig, zu langsam empfunden werden. Es wäre gut, wenn diese Erkenntnis sich im künftigen intelligenten Design unserer Industrie niederschlagen würde. Bald!