Elektronik: Wie gehen andere Länder mit dem Thema Konfliktmineralien um?
Dr. Enderle: Selbst die OECD hat auf internationaler Ebene Verfahrensempfehlungen und Leitlinien für die Entwicklung einer verantwortungsvollen Beschaffung aufgestellt. Die EU wiederum hat sich verpflichtet, die Einhaltung der OECD-Leitlinien auf breiter Basis zu fördern. Man ist sich also einig, dass die Lieferkette besser abgesichert werden muss, um sicherzustellen, dass in den Endgeräten keine Konflikt-Mineralien verarbeitet werden.
Elektronik: Wie ist der Stand in Europa? Hier gibt es doch seit Monaten einen eigenen Ansatz?
Ziehfuss: In der Tat! Die EU-Kommission hat im März 2014 einen eigenen Vorschlag für den Umgang mit Konfliktmineralien eingereicht, der auf einem freiwilligen Selbstzertifizierungssystem für Importeure bestimmter Rohstoffe basiert. Dieser ist als Verordnung geplant, wodurch er unmittelbar in den EU-Mitgliedstaaten verbindlich gültig wäre. Seither allerdings läuft die Diskussion ohne konkretes Ergebnis.
Dr. Enderle: Der Entwurf bezieht sich auf die Einfuhr von Erzen und Konzentraten in die EU, sofern sie die sogenannten 3TG – also Tantal, Wolfram, Zinn und Gold – enthalten. Nachdem dieser Vorschlag keine Einschränkung auf bestimmte Herkunftsländer vorsieht, müssen die EU-Unternehmen selbst feststellen, wo weltweit diese Konflikt- und Hochrisikogebiete sind. Hier wären EU-Leitlinien für die Unternehmen beileibe eine erhebliche Entlastung.
Elektronik: Was heißt das nun konkret? Wo ist der Unterschied zur US-amerikanischen Regelung?
Dr. Enderle: Beim Dodd–Frank Act liegt die Berichtspflicht am Ende der Produktionskette (downstream), also beim Hersteller oder Verkäufer von Produkten wie Handys, Halbleiter oder Komponenten, sofern sie 3TG enthalten. Die Aufklärung erfolgt dann rückwärts durch die gesamte Lieferkette. Der europäische Entwurf hingegen knüpft die Verpflichtung ausschließlich an den EU-Einführer, was als upstream bezeichnet wird. Gemeint ist hier der Weg der Rohstoffe von der Mine bis zur Schmelze – unter Einbeziehung der Importeure. Auf diese Weise wären in der EU nur rund 400 Unternehmen von der Berichtspflicht betroffen; ganz im Gegensatz zu den etwa 880.000 Firmen, die bei 3TG downstream in die Pflicht genommen werden. Bei der Upstream-Variante würde die Regulierung vor allem auch die Importeure von Produkten mit 3TG außen vor lassen.
Elektronik: Was müsste ein Unternehmen tun, das sich zur freiwilligen Selbstzertifizierung verpflichtet?
Dr. Enderle: Ein „verantwortungsvoller EU-Einführer“ verpflichtet sich zur Einhaltung mehrerer Vorgaben: Erstens müsste er ein Management- und Risikomanagementsystem zur Sorgfaltspflicht (Kontrolle und Transparenz entlang der Mineralienlieferkette...) nach OECD-Standards einrichten. Eine zweite Maßnahme beträfe die Formulierung und Veröffentlichung seiner Lieferkettenpolitik sowie die Aufnahme der Selbstzertifizierung in Verträge und Vereinbarungen mit den Lieferanten. Drittens müsste er Audits durch unabhängige Dritte zum Nachweis der Sorgfaltspflicht-Erfüllung zustimmen. Eine vierte Maßnahme beträfe die Zertifizierung gegenüber der nationalen Behörde. Darüber hinaus müsste er die Informationen auch downstream in der Lieferkette und in Berichten über das Internet zur Verfügung stellen. Auf der Grundlage der eingehenden Informationen schließlich wird die Kommission eine Liste verantwortungsvoller Hütten und Raffinerien erstellen. Vorgesehen sind auch Vorschriften zur Überwachung und Sanktionierung sowie zum Informationsaustausch zwischen den Behörden.
Elektronik: Ist das realistisch – angesichts des enormen Aufwands? Und gibt es denn Anreize für Unternehmen, damit sie diese Maßnahmen umsetzen?
Ziehfuss: Die brisante Thematik ist allen bewusst, und immer mehr Unternehmen beachten diese im Zuge der Corporate Responsibility. Dennoch gibt es überall schwarze Schafe, sodass Anreize durchaus sinnvoll erscheinen. Aus Sicht des FBDi vorstellbar wäre beispielsweise, dass die Vergabe von öffentlich ausgeschriebenen Projekten künftig zertifizierten Importeuren vorbehalten bliebe. Aber dies sind Gedankenspiele und die Verhandlungen längst nicht abgeschlossen. Dazu kommt, dass inzwischen auch das EU-Parlament Forderungen nach einer verbindlichen Regulierung eingebracht hat.
Elektronik: Was ergibt sich daraus als Quintessenz für die Elektronik-Distribution in Deutschland?
Dr. Enderle: Angesichts der Weite und Unbestimmtheit der Regelungen im Verordnungsentwurf sind noch zahlreiche Änderungen zu erwarten. Umso mehr sollten sowohl Einkäufer als auch Verwender von Konfliktmaterialien den Fortgang des europäischen Gesetzgebungsprozess weiterhin beobachten.
Ziehfuss: Auch wenn die Zahl der Unternehmen steigt, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, so hat sich schon bei den OECD-Regulierungen gezeigt, dass eine Regelung auf freiwilliger Basis von der großen Mehrheit gerne ignoriert wird. So gesehen ist es durchaus möglich, dass eine verbindliche Regulierung verabschiedet wird, welche die Industrie zur Datensammlung über die gesamte Lieferkette zwingt.
Elektronik: Wann ist mit dem Inkrafttreten der neuen Anforderungen zu rechnen?
Ziehfuss: Da derzeit noch viele Punkte kontrovers sind, rechnen wir frühestens 2017 mit einem Inkrafttreten der EU-Verordnung.