A propos neue Konzepte: Wie wäre es zum Beispiel damit, die Blockchain in die Lieferkette zu integrieren?
Falke: Einen Punkt muss man bei der Blockchain immer vor Augen haben: Blockchain in der Logistik soll mithilfe von M2M dazu führen, dass Warenflüsse abgebildet werden und nicht nur virtuelle Werte. Damit ist es nie 1:1 übertragbar in die Realität, wie es in abstrakten Denkmodellen in der virtuellen Welt abgebildet wird. Die Blockchain hilft uns als Denkmodell weiter, aber dazwischen sind Themen, die in der realen Welt nicht nur über Zahlen abzubilden sind. Das Online- und Offline-Modell miteinander zu verheiraten hat Komplexitäten, die in den Algorithmen so nicht abgebildet werden können. Das zeigt sich eben zum Beispiel in der Logistik: Unsere Logistik ist so ausgeklügelt und mit extrem niedrigen Transportkosten versehen, dass auf Sicherheiten verzichtet wird und es automatisch zu Friktionen kommt, etwa bei Lieferzeiten.
Steinberger: Die Frage ist, passiert das auf Unternehmensebene oder wie können wir als Verband Einfluss nehmen? Blockchain ist ein spannendes Thema, aber noch sehr weit von unserer Realität weg. Was da momentan passiert, läuft auf einer anderen Ebene. Man muss sich überlegen, wo die Grenzen der Automatisierung sind. Ein Beispiel: Trotz eines sehr detaillierten und ausgereiften Forecasting-Prozesses zwischen Distributoren und Kunden gibt es derzeit Allokation. Bei der Automatisierung wird es immer wieder Fälle geben, bei denen wir an die Grenzen stoßen oder an denen man ohne den menschlichen Faktor nicht weiter kommt.
Vielleicht ist es für die Blockchain in der Lieferkette tatsächlich noch zu früh, aber nehmen wir das Thema „Data Analytics“ – da böte sich doch viel Potenzial für die Distribution…
Steinberger: Hierbei gibt es viele interessante Ansatzpunkte, bei denen wir erst am Anfang stehen. Gerade bei Big Data und in Zusammenhang mit der DSGVO muss man die Frage stellen, wo die Leitplanken sind und wo die richtige Mitte ist. Das genau ist die Aufgabe, die ich u.a. beim FBDi und anderen Verbänden sehe.
Die Katalog- bzw. Onlinedistribution ist ja schon sehr weit in puncto Innovation und Datenanalytik.
Steinberger: Ja, das ist schon richtig. Aber man muss die ganze Kette End-to-End betrachten. Von der Idee bis zur neuen Generation eines Produktes ist es ein langer Weg. Es gibt viele Schritte auf diesem Weg, auf dem wir die Kunden begleiten können und müssen. Es muss nicht immer alles durchgängig sein. Aber es müssen nachvollziehbar wertige Leistungen sein, also eben „Value Add“, die wir als Dienstleistung anbieten.
Ein schönes Beispiel ist das Prototyping: Ich habe eine Idee, bin aber selber kein Ingenieur. Das heißt, ich benötige jemanden, der mir den Proof-of-Concept erstellt. Ein großes Unternehmen kann so etwas selber stemmen, aber kleine Firmen haben gar nicht die Ressourcen dafür und suchen einen Dienstleister, der ihnen hilft, so etwas anzustoßen. Hier kommen wir ins Spiel.
Falke: Beim Thema „End-to-End-Kooperationsmöglichkeiten“ sehe ich die Chancen insbesondere auch für kleinere Distributionsfirmen, die sich als Know-how-Träger in projektbezogenen Netzwerken ergänzen können. Wenn ich mir die Heterogenität bei unseren Mitgliedern vor Augen führe, dann ist das ein Punkt, bei dem die Leistungsfähigkeit von KMUs stärker werden kann.
In welche Richtung könnte die Distribution ihre Modelle ausbauen, um für die Kunden und auch Hersteller noch attraktiver zu werden?
Steinberger: Einige unserer Dienstleistungen sind bereits sehr attraktiv, wie unsere finanziellen Modelle, die der Kunde und der Hersteller gar nicht abbilden können, etwa in der Zusammenarbeit mit Contract-Manufacturern bzw. EMS-Firmen. Die Branche hat ein interessantes Geschäftsmodell, denn sie wird häufig nicht für ihre Dienstleistung bezahlt, sondern erwirtschaftet ihren Profit über das Materialmanagement. Wir als Industrie und Verband müssen genau diese Punkte beobachten und realistisch und selbstkritisch die Konsequenzen für unsere Branche evaluieren.
Nehmen wir das Beispiel Revenue-Management in der Luftfahrtindustrie oder der Hotelbranche. Das sind Modelle, die sicher auch in unserem Geschäft auftauchen werden.
Das hieße, dass die Marktsituation in Zukunft eine größere Rolle bei der Preisfindung spielen wird?
Steinberger: Ja, genau, aber eben in der gesamten Lieferkette.
Was muss die Distribution in Zukunft besser machen?
Steinberger: Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir in einer aktiven, gestaltenden Rolle sind oder gestaltet werden. Momentan werden wir mehr gestaltet, als uns lieb ist. Wenn wir als Handel in der Zukunft eine vernünftige Rolle spielen wollen, müssen wir unser Geschäftsmodell permanent hinterfragen und optimieren.
Falke: Der Handel muss sich mit einer Vielfalt von Themen auseinandersetzen, die nicht nur seine Berechtigung als Händler betreffen, sondern auch die Möglichkeiten, als Dienstleister Geld zu verdienen.
Zurück zum FBDi: Sie haben Arbeitskreise bzw. in neuerer Bezeichung „Competence-Teams“ zu Regularien, kritischen Punkten und seit geraumer Zeit auch ein Competence-Team zum Thema Zukunft. Welche Stoßrichtung wollen Sie innerhalb dieser Gremien ausbauen?
Falke: Wir wollen das Competence-Team „Markt & Zukunft“ intensivieren; in diesem Team soll durch die Diskussion unter Führungskräften und Inhabern Klarheit gewonnen werden, welche Themen technisch, wirtschaftlich und rechtlich auf uns zukommen und welche Auswirkungen diese auf die Distribution und unsere Kunden haben.
Ich hatte, ehrlich gesagt, den FBDi bisher nicht als Innovationstreiber im Kopf, sondern als soliden Informationsverband rund um Compliance und Regularien.
Steinberger: Wir müssen unser Profil schärfen und uns – auch über unsere Website – als Kompetenzträger positionieren. Wir müssen evaluieren, wo wir als Dienstleister eine Rolle spielen. Nehmen wir das populäre Beispiel IoT: Für uns stellt sich die Frage, ob wir einfach nur die Lieferanten für IoT-Nodes sein wollen oder eine gewichtige Rolle bei der Software, der Security und bei den Business-Cases einnehmen wollen. Die Antwort ist natürlich klar: Die Kunden sollen wahrnehmen, dass sie bei der Distribution auch diese Kompetenz finden.
Das klingt alles schön und gut, aber wie weit lässt sich in Competence-Teams, insbesondere wenn es um Zukunftsthemen geht, der Wettbewerbsgedanke zwischen den Firmen außen vor lassen?
Steinberger: Es gibt viele Trendthemen, die nicht wettbewerbsrelevant sind.
Falke: Für mich ist das Competence-Team „Markt & Zukunft“ die Spitze der Pyramide. Darin geht darum, wo wir den Add Value der Zukunft und die Value-Proposition für die Distribution sehen. Es ist eine der Aufgaben des Verbandes, sicherzustellen – gleichwohl man sich im Tagesgeschäft als Wettbewerber begegnet –, dass unsere Mitglieder erkennen, dass ein Fortschritt ein Fortschritt für alle ist und nicht nur ein Fortschritt für den Wettbewerber.
Was sind jetzt die nächsten Schritte?
Steinberger: Wir werden demnächst damit beginnen, an unserer Webseitenstruktur zu arbeiten und die Trendthemen besser zu integrieren. Begleitend dazu wollen wir in einem regelmäßigen Zyklus das Competence-Team „Markt & Zukunft“ starten, unter gemeinsamer Leitung von Herrn Falke und mir. Auf der Tagesordnung werden dabei auch Themen stehen, die wir mit anderen Verbänden diskutieren möchten, um eine Internationalität zu erreichen. Auf diese Weise sind wir sicher, mehr Substanz zu generieren, und werden sicherstellen, dass die Distribution weltweit besser sichtbar ist.
Wenn wir in einem Jahr Bilanz ziehen, was werden Sie dann gemeinsam erreicht haben?
Steinberger: Wir werden sicher in einem Jahr nicht alles realisieren können, aber der Traffic auf unserer Website wird sich erhöht haben, die Qualität des Inhalts wird gestiegen sein, wir werden internationaler vernetzt sein und auch sichtbarer sein.
Wird das der Branche etwas gebracht haben?
Steinberger: Man kann noch so innovativ sein, die Zukunft kann man nicht vollends planen.
Falke: Sicher ist: Schlagkräftige Kooperationen zu haben wird in jedem Wirtschaftsbereich immer wichtiger. Das Schöne daran ist, dass es viele Möglichkeiten und Spielbälle gibt, die darauf warten, gespielt zu werden. Ich glaube, da ist noch viel Musik drin!