Interview: Sean Kerins, CEO von Arrow

»Europäischer Markt ist für uns ein Drittel vom Gesamtgeschäft«

29. Juli 2024, 10:00 Uhr | Karin Zühlke
Interview anslässlich des Deutschland-Besuchs von Arrows CEO Sean Kerins in der Münchener Niederlassung des Distributors. Von links: Karin Zühlke, WEKA Fachmedien, Sean Kerins und Jörg Strughold, beide Arrow
© Componeers GmbH

Markt&Technik hat Sean Kerins, CEO von Arrow, zum Interview in München getroffen. Ein Gespräch u. a. über die aktuelle Marktsituation, Arrows Automotive-Geschäft, KI und die Rolle des Ingenieurs und Arrows Startup-Spürnase.

Diesen Artikel anhören

Markt&Technik: Wie ordnet sich der europäische Markt in das Gesamtgeschäft von Arrow ein und welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Sean Kerins: Der europäische Markt macht etwa ein Drittel unseres gesamten Geschäfts aus. Innerhalb Europas ist Deutschland der wichtigste Markt für unsere Elektronikkomponenten. Der deutsche Markt spiegelt die allgemeinen Wachstumstrends wider, die wir weltweit sehen, und spielt eine entscheidende Rolle für unser langfristiges Wachstum. Unsere Präsenz und Investitionen in Deutschland sind daher von größter Bedeutung für unsere Geschäftsstrategie.

Wo sehen Sie die spezifischen Trends und Anwendungsfälle für elektronische Komponenten in Deutschland?

Früher waren Halbleiter hauptsächlich in PCs, Serversystemen und Smartphones zu finden. Heute haben sich die Anwendungsfälle vervielfacht und diversifiziert. Wir sehen eine starke Nachfrage in Bereichen wie der Elektrifizierung, intelligenter Konnektivität, alternativer Energien und autonomer Maschinen, insbesondere in der Industrie. Deutschland als eine der führenden Industrienationen bietet uns enorme Chancen in diesen Bereichen. Unsere Hauptkunden stammen aus der Automobilindustrie, der Industrieautomation, der Luft- und Raumfahrt, der Verteidigungsindustrie und der Medizintechnik. Diese Branchen sind für unsere Verkaufsaktivitäten und technischen Investitionen besonders relevant.

A propos Automobilbranche: Die befindet sich bekanntlich gerade in einem großen Umbruch, insbesondere im Hinblick auf Elektrofahrzeuge. Wie sehen Sie die aktuelle Situation und die Zukunft dieser Branche in EMEA und Deutschland?

Der weltweite Automobilmarkt befindet sich im Übergang zu Elektrofahrzeugen, aber dieser Wandel braucht Zeit. In einigen Märkten dominieren noch Hybrid- und Verbrennungsmotoren. Trotzdem nimmt der elektronische Anteil in traditionellen Fahrzeugen stetig zu. Langfristig sehen wir große Chancen im Bereich der Elektrofahrzeuge. Kurzfristig ist es zwar etwas turbulent, aber wir sind optimistisch, was die Zukunft betrifft. Unser Engagement in der Automobilbranche bleibt stark, unterstützt durch unsere Vertriebs- und Technikteams. Ein Beispiel dafür ist unser Kompetenzzentrum für die Automobilindustrie in Ägypten, das unsere Aktivitäten in EMEA unterstützt.

In Deutschland sehen wir sowohl kurz- als auch langfristig vielversprechende Aussichten im Automobilbereich. Wir sind stark in diesem Sektor engagiert, sowohl durch unsere Vertriebsteams als auch durch technische Investitionen.

Kerins Sean
Sean Kerins, Arrow: »Der europäische Markt macht etwa ein Drittel unseres gesamten Geschäfts aus. Innerhalb Europas ist Deutschland der wichtigste Markt für unsere Elektronikkomponenten.«
© Arrow

Wofür genau ist das Kompetenzzentrum in Ägypten zuständig?

In Ägypten konzentrieren wir uns auf softwareorientierte Ingenieurdienstleistungen, insbesondere auf Anwendungen und funktionale Sicherheit im Automobilbereich.

Wie reagiert Arrow auf die spezifischen Anforderungen des EV-Marktes?

Wir glauben, dass wir gut aufgestellt sind, um den EV-Markt zu bedienen. Wir haben starke Beziehungen zu relevanten Herstellern und investieren kontinuierlich in unsere technischen Modelle und technischen Dienstleistungen. Unser Ansatz umfasst Design-in-Dienstleistungen und die Schaffung von Nachfrage durch unsere Anwendungsingenieure. Zusätzlich haben wir durch die Übernahme von Avelabs in Ägypten unser Design-Services-Geschäft gestärkt und wie bereits erwähnt ein Kompetenzzentrum für die Automobilindustrie geschaffen, das den gesamten EMEA-Raum betreut.

Wie sehen Sie die Zukunft der Bauelemente-Distribution, insbesondere angesichts der aktuellen Herausforderungen?

Die Halbleiterindustrie ist zyklisch, mit Phasen des Wachstums und der Korrektur. Aktuell befinden wir uns in einer Korrekturphase, aber wir sind zuversichtlich, dass es wieder aufwärts geht. Langfristig sind die Nachfragetrends für elektronische Bauteiltechnologie sehr positiv. Wir glauben, dass Hersteller zunehmend auf die Distribution setzen werden, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, von der Auftragsabwicklung bis zu komplexen Supply-Chain-Services und Design-Services. Wir rüsten uns, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und unseren Kunden und Herstellern Mehrwert zu bieten.

Wie reagiert Arrow auf die globalen Veränderungen in den Lieferketten, und welche Auswirkungen sehen Sie speziell für Europa?

Die Pandemie hat die Schwachstellen in den globalen Lieferketten offengelegt und viele Unternehmen dazu gebracht, ihre Modelle zu überdenken. Wir sind gut positioniert, um unsere Kunden dabei zu unterstützen, da wir über eine globale Präsenz und umfangreiche Lager- und Logistikanlagen verfügen. Unsere Dienstleistungen reichen von der Auftragsabwicklung bis hin zu komplexen Lieferkettenlösungen und Design-Services. Ein besonderes Highlight ist unsere Silcon-Expert-Datenbank, die unseren Kunden hilft, ihre Bedarfe auf der Teilebene zu managen und Risiken zu minimieren.

Wie sehen Sie die Zukunftsperspektiven für die Distribution im Elektronik-Bereich?

Die Halbleiterindustrie ist von Natur aus sehr zyklisch. Trotz aktueller Korrekturphasen sind die langfristigen Nachfragetrends für elektronische Bauteiltechnologie signifikant und vielfältig. Wir sind zuversichtlich, dass die Hersteller sich weiterhin auf die Distribution verlassen werden, von der Auftragsabwicklung bis hin zu ausgefeilten Supply-Chain- und Design-Services.

Das mag für große Distributoren gelten, aber was ist mit den kleinen und mittleren?

Wir stellen fest, dass Hersteller zunehmend die Konsolidierung von Vertriebskanälen in Betracht ziehen, um ihre Lieferketten effizienter zu gestalten. Ein globaler Player wie Arrow kann hier niedrigere Stückkosten erzielen und somit einen Vorteil bieten.

Spielt Größe bei der Distribution also weiterhin eine maßgebliche Rolle für den Erfolg?

Größe spielt definitiv eine Rolle. Unsere globale Präsenz und unser umfangreiches Netzwerk ermöglichen es uns, effizientere Lieferkettenlösungen zu bieten. Hersteller bevorzugen oft die Zusammenarbeit mit Global Playern wie uns, da wir ihnen helfen können, ihre Kosten zu senken und ihre Effizienz zu steigern. Gleichzeitig bieten wir maßgeschneiderte Lösungen sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene an, um den unterschiedlichen Bedürfnissen unserer Kunden gerecht zu werden.

A propos maßgeschneiderte Lösungen: Wie integriert Arrow künstliche Intelligenz – KI – in seine Geschäftsprozesse und Dienstleistungen?

KI ist ein bedeutender Trend, der viele unserer langfristigen Wachstumschancen antreibt. Wir sehen KI sowohl intern als auch extern als großen Vorteil. Intern nutzen wir KI, um unsere Transaktionsprozesse und Kundensupportprozesse zu automatisieren und zu optimieren. Extern sehen wir große Chancen im Bereich der Robotik und autonomen Maschinen. Ein gutes Beispiel ist unser Edge-AI-Angebot, das wir in Europa, insbesondere in Mitteleuropa, vorantreiben. Wir glauben, dass die Anwendung von KI am Rand des Netzwerks, also in Edge-Umgebungen, wo die Technologie letztendlich ihre Vorteile entfalten wird, eine große Rolle spielen wird.

Könnte die KI in Zukunft Ingenieure im Feld ersetzen oder sehen Sie in KI eher eine Ergänzung ihrer Arbeit?

Wir sehen KI als Ergänzung unserer technischen Fähigkeiten, nicht als Ersatz. KI kann Ingenieuren helfen, produktiver zu sein und effektivere Lösungen zu entwickeln. Wir wollen sicherstellen, dass unsere Ingenieure Zugang zu den besten Werkzeugen haben, um ihre Arbeit zu unterstützen und zu verbessern.

So oder so: Ingenieure sind in der Distribution aus meiner Sicht künftig noch mehr gefordert: Wird ein Distributor in Zukunft mehr als Systemintegrator denn als Logistiker fungieren muss?

Ich denke, es wird eine Kombination aus beiden Rollen geben. Wir müssen gut in der Erfüllung sein, aber auch Mehrwert in den Designzyklus einbringen. Deshalb investieren wir in Technik, Lieferkettendienstleistungen und geistiges Eigentum, um unsere Relevanz und den Nutzen für unsere Kunden und Zulieferer zu erhöhen.

Arrow ist bekannt für seine Unterstützung von Startups. Was hat es damit auf sich?

Startups haben oft innovative Ideen, die Technologie nutzen, um ihre Visionen zu verwirklichen. Wir unterstützen sie, indem wir ihnen Zugang zu unserem umfangreichen Lieferkettennetzwerk und unseren technischen Dienstleistungen bieten. Unsere Ingenieure helfen Startups, ihre Produkte zu optimieren und auf den Markt zu bringen. In Europa und darüber hinaus haben wir zahlreiche Initiativen gestartet, um Startups zu fördern und ihnen zu helfen, erfolgreich zu wachsen.

Ein Schlusswort zur Zukunft der Elektronik-Industrie?

Ich denke, es ist wichtig zu betonen, dass wir uns in einer spannenden Zeit für die Elektronikbranche befinden. Die Nachfrage nach Halbleitertechnologie wächst rasant und diversifiziert sich, was viele neue Chancen bietet. Wir bei Arrow sind bestrebt, unseren Kunden und Herstellern dabei zu helfen, diese Chancen zu nutzen und erfolgreich zu sein. Wir sind jedenfalls optimistisch in Bezug auf die Zukunft der Branche!

 

»Die richtige Spürnase für StartUp-Ideen«

Im Folgenden sprechen wir mit Jörg Strughold, President EMEA Components von Arrow

Markt&Technik: Wie sieht der Startup-Support von Arrow genau aus?

Jörg Strughold: Wenn man sich die Anforderungen von Startups ansieht, haben diese in der Regel eine innovative Geschäftsidee, die oft stark auf Technologie setzt, um erfolgreich zu sein. Unsere Erfahrung zeigt, dass wir als Distributor mit einem umfassenden Lieferkettennetzwerk einen großen Mehrwert bieten können. Wir können Produkte an EMS (Electronics Manufacturing Services) und OEMs (Original Equipment Manufacturers) liefern und mit unserem technischen Support helfen, diese Produkte optimal zu nutzen. Unsere Ingenieure unterstützen Startups dabei, ihre Ideen schnell und effizient umzusetzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir als kommerzieller Partner fungieren können, was für Startups, die ihre Chancen schnell nutzen möchten, ein starkes Wertversprechen darstellt.

Strughold Jörg
Jörg Strughold, President EMEA Components von Arrow
© Arrow

Wir können in der Regel die gesamte benötigte Technologie liefern. Unsere breite Produktpalette einschließlich Halbleiter und spezifischer Anwendungen deckt nahezu alle möglichen Anforderungen ab. Mit unseren Entwicklungsingenieuren unterstützen wir die schnelle Einführung neuer Technologien, und unser Lieferkettenmodell hilft Kunden, schnell in die Produktion zu gehen. Sean erwähnte bereits, dass wir ständig unseren Kundenstamm erweitern und besonders an Unternehmen interessiert sind, die innovative Lösungen auf den Markt bringen.

Ein Beispiel für unsere Unterstützung von Startups ist der jährliche Innovators Award, den wir in Mitteleuropa seit sechs Jahren vergeben. Eine Jury aus verschiedenen Bereichen des Ökosystems bewertet dabei die Ideen und Leistungen von Startups. Die aufschlussreichsten Beispiele sind jedoch die langfristigen Beziehungen, die wir mit Startups aufgebaut haben, die heute zu unseren großen Kunden zählen.

Gibt es namhafte Beispiele in Deutschland?

Absolut! Gleich hier vor Ort in München gibt es einige bemerkenswerte Beispiele. Munich Electrification wurde 2015 gegründet und ist im Bereich Batteriemanagementsysteme aktiv. Wir arbeiten seit den frühen Tagen mit ihnen zusammen und liefern verschiedene Technologien und Produktlösungen. Ein weiteres Beispiel ist Lilium, das Unternehmen hinter dem Lufttaxi. Auch mit ihnen arbeiten wir seit etwa acht bis neun Jahren zusammen und bieten Zugang zu allen benötigten Technologien.

Aber auch außerhalb Deutschlands gibt es spannende Erfolgsgeschichten. Stock Stark Future etwa, das das schnellste elektrische Motocross-Motorrad der Welt herstellt, arbeitet mit uns zusammen. Ebenso Wallbox, ein Hersteller von EV-Ladestationen, mit dem wir seit 2015 zusammenarbeiten. Diese Unternehmen schätzen die einfache Zusammenarbeit mit uns, da wir eine Lösung aus einer Hand für alle Teile der Wertschöpfungskette bieten.

Zusätzlich zu unserem Innovators Award engagieren wir uns über unsere Vertriebsteams, die kontinuierlich daran arbeiten, den Kundenstamm zu erweitern und Startups beim Skalieren zu unterstützen. Unsere Lieferanten belohnen uns großzügig für die Entwicklung kleiner Kunden, die eines Tages zu großen Kunden heranwachsen. Unsere Aufgabe ist es, quasi mit der richtigen Spürnase diese Kunden zu finden, zu unterstützen und ihr Wachstum zu fördern. Für Hersteller ist es oft einfacher, mit einem Vertriebspartner wie uns zusammenzuarbeiten, da wir ihnen helfen können, neue Marktfelder zu erschließen und die Reichweite zu vergrößern.


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Arrow Central Europe GmbH

Weitere Artikel zu Distribution