Mit Holger Ruban hat Bürklin zum 1. November 2024 einen ausgewiesenen Distributions-Experten als CEO berufen. 25 Jahre Branchenerfahrung – zuletzt als CEO von Distrelec – sprechen für sich.
Warum sich Bürklin auf die Wurzeln besinnen will und was die Strahlkraft der Marke auch nach über 70 Jahren ausmacht, hat uns Ruban im Interview verraten.
Markt&Technik: Was gab für Sie den Ausschlag, die Position als CEO bei Bürklin anzutreten?
Holger Ruban: Bürklin ist eine der traditionsreichen, großen Marken, die wir in Deutschland in der Distribution haben. Als ich in der Industrie angefangen habe, waren die gelben Kataloge von Bürklin Marktführer. Diese Strahlkraft der Marke ist auch heute noch vorhanden. Aber es gab noch andere Gründe: Die Chemie mit der Familie Bürklin – nach wie vor ist Bürklin ja zu 100 Prozent in Familienhand – hat von Anfang an gestimmt. Und das ist natürlich ein wichtiges Kriterium.
Sie sind am 1. November bei Bürklin gestartet. Was hat sich seither getan?
Große Veränderungen gibt es nicht sofort mit riesigen Schritten, sondern es geht mir mehr um eine Rückbesinnung auf die Wurzeln von Bürklin. Zwei markante Meilensteine der letzten Monate: Wir haben im November die Eigenmarke by.B® für elektronische Komponenten gelauncht, und wir fokussieren uns stärker auf den Verkauf kleiner Stückzahlen – ein wichtiges Element in der High-Service-Distribution. Wir bieten bereits über 100.000 Produkte ab einer Stückzahl von eins an, obwohl das logistisch aufwendig ist.
Hat sich die Zielgruppe dadurch verändert?
Nein, es sind weiterhin Entwicklungsingenieure und Instandhalter, die schnell und zuverlässig kleine Mengen benötigen. Der Trend geht dahin, dass auch Entwicklungsingenieure nur genau die Stückzahl bestellen, die sie benötigen, um Ressourcen zu sparen.
Wie sieht es mit dem Standort in Oberhaching bei München aus – wird das Headquarter auch in Zukunft dort bleiben?
Die Familie steht fest zum Standort. Die Immobilie wurde mit viel Engagement nachhaltig gestaltet, inklusive Photovoltaik und Wärmepumpe. Ein Wechsel steht nicht zur Debatte.
Und der internationale Footprint?
Wir machen bereits international Geschäfte, vor allem in Asien und den USA, allerdings ohne eigene Niederlassungen. Der Fokus liegt vorerst auf der Stärkung unseres Bekanntheitsgrads in Norddeutschland, Österreich und der Schweiz. Unser vorrangiges Ziel ist es, unsere Bekanntheit in Norddeutschland, Österreich und der Schweiz zu steigern. Eine Ausweitung auf europäischer Ebene ist langfristig angelegt und erfolgt kontinuierlich.
Die Branche kämpft derzeit mit großen Herausforderungen. Wie ordnen Sie für Bürklin die Lage ein?
Auch wir spüren die schwierige Marktlage. Die letzten drei Monate konnten wir das Geschäft stabilisieren. Dennoch bleibt die Situation 2025 anspruchsvoll. Es gibt kaum Lagerbestände in der Industrie, was schon bei kleinen Schwankungen zu Lieferkettenproblemen führen kann. Das ist meines Erachtens in diesem Jahr die größte Herausforderung für die gesamte Branche.
Welche Neuerungen sind fürs Produktspektrum geplant? Zum Beispiel im Bereich Halbleiter?
Halbleiter war nie unser Kerngeschäft, aber wir wollen diesen Bereich 2025 stärken. Generell haben wir ein breites Produktspektrum mit über 750.000 Artikeln, darunter Elektromechanik, passive Bauteile, Steckverbinder, Werkzeuge, Kabel & Leitungen und Löttechnik. Insgesamt bauen wir unser Sortiment dynamisch aus und bieten von einigen Herstellern, beispielsweise Harting, sogar deren Vollsortiment an, um unseren Kunden die bestmögliche Auswahl bieten.
Automatisierung scheint im Moment ein großes Thema zu sein. Wie steht Bürklin dazu?
Automatisierung ist ein bedeutender Trend. Viele unserer Produkte finden in solchen Anwendungen Einsatz, und wir sehen, dass die Grenzen zwischen Design- und Instandhaltungsbedarf zunehmend verschwimmen. Kunden benötigen oft ähnliche Produkte für beide Bereiche. Um diesem Trend und den Erwartungen unserer Kunden voll und ganz gerecht zu werden, haben wir unser Team gezielt verstärkt.
Ein weiteres Thema, an dem auch die Innovationskraft der Distribution gemessen wird, ist die Digitalisierung. Welche Akzente setzt Bürklin dabei?
Unser Fokus liegt ganz klar darauf, unseren Webshop weiterzuentwickeln, zu verbessern und ihn insgesamt deutlich nach vorn zu bringen.
Und das umfasst vor allem das Nutzererlebnis?
Definitiv. Es geht darum, dass die Kunden schneller und einfacher finden, wonach sie suchen. Gleichzeitig soll das Navigieren auf der Seite insgesamt performanter und besser werden. Das ist ein fortlaufender Prozess, an dem wir kontinuierlich arbeiten. Dafür investieren wir auch verstärkt in diesen Bereich, bauen unser Team weiter aus und entwickeln die Kernkompetenzen in diesem Bereich gezielt im Haus.
Apropos Nutzererlebnis: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für Ihre Webseite, oder spielt sie überhaupt schon eine Rolle?
Momentan noch eine relativ kleine. Aber wird sie irgendwann eine große Rolle spielen? Definitiv. Die Frage ist eher, wann und in welchem Umfang. Persönlich glaube ich, dass KI in fünf Jahren für alle eine immense Bedeutung haben wird. Es gibt derzeit viele Diskussionen, wie sich die Technologie entwickeln wird. Ich habe beispielsweise ein Interview mit dem Google-Gründer gelesen, der prognostiziert, dass klassische Service-Software-Systeme durch die Weiterentwicklung von KI zunehmend verdrängt werden. Statt großer Stand-alone-Lösungen werden wir eher kleinere Tools benötigen, die KI-gestützt funktionieren.
Das klingt nach einem großen Umbruch. Denken Sie, dass diese Veränderungen schon bald eintreten?
Ja und nein, ich glaube nicht, dass wir diese grundlegenden Veränderungen in den nächsten ein bis zwei Jahren sehen werden. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich solche Technologien entwickeln, sollte man nicht unterschätzen. In den nächsten fünf Jahren wird es sicherlich signifikante Fortschritte geben. Für uns ist es momentan noch kein zentraler Schwerpunkt, da wir nicht die Größe und die Ressourcen haben, ein eigenes KI-Team aufzubauen. Viele der entsprechenden Lösungen sind für mittelständische Unternehmen unserer Größenordnung noch nicht wirklich relevant. Aber wir behalten das Thema definitiv im Auge.
Welche anderen Bereiche könnten außer der Website-Optimierung durch KI beeinflusst werden?
Neben Themen wie Angebote, Produktauswahl, Preise wird auch der Bereich des Suchmaschinen-Marketing SEM sich verändern. Google dominiert diesen Markt aktuell, aber je mehr KI an Bedeutung gewinnt, desto stärker werden sich auch die Algorithmen und Suchmaschinen selbst verändern. Kurzfristig wird es keine großen Verschiebungen geben, aber mittelfristig sind dynamische Entwicklungen durchaus wahrscheinlich.
Google ist ja aktuell ein absoluter Gatekeeper, der maßgeblich beeinflusst, was wir im Internet finden. Wie sehen Sie die zukünftige Rolle von Google?
Google hat zweifellos eine massive Bedeutung, das muss aber nicht so bleiben. Aber ich frage mich, ob sie in der mittelfristigen Zukunft immer noch die dominierende Suchmaschine sein werden. Ich beobachte beispielsweise bei jüngeren Ingenieuren, dass sie immer häufiger über Tools wie ChatGPT suchen und weniger über Google. Auch mein eigenes Suchverhalten hat sich verändert. Ich nutze mittlerweile nur noch etwa zu 20 Prozent Google, und das auch eher für spezifische Themen wie Maps. Für komplexere Fragen greife ich auf KI-gestützte Tools zurück.
Das stimmt, aber KI-gestützte Tools sind in vielen Bereichen noch nicht ausgereift.
Richtig, da gibt es noch Entwicklungsbedarf. Aber das ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit. Das Nutzerverhalten verändert sich bereits jetzt. Die Suchanfragen auf ChatGPT vervielfachen sich alle paar Monate. In Deutschland hat sogar Bing inzwischen einen Marktanteil von 8 bis 10 Prozent. Es bleibt spannend, wie sich dieser Bereich weiterentwickelt.
Viel Dynamik gibt es momentan auch beim Thema Nachhaltigkeit und ESG. Bürklin hat die Nachhaltigkeit ja schon von Anfang an beim Bau des Firmensitzes sehr bewusst eingeplant, wie Sie bereits erwähnt haben. Ist Nachhaltigkeit nach wie vor stark im Fokus bei Bürklin?
Absolut. ESG ist insgesamt ein wichtiges Thema für uns. Im Bereich Nachhaltigkeit sind wir sehr weit: Zum Beispiel kompensieren wir den CO₂-Ausstoß bei Lieferungen und arbeiten mit unseren Logistikpartnern daran, komplett CO₂-neutral zu werden. Dazu setzen wir nicht nur auf Kompensation, sondern auch auf nachhaltige Treibstoffe. Zur CO₂-Reduktion kommt hinzu, dass wir unsere Verpackungen optimieren, um Plastik zu reduzieren oder zu ersetzen. Wir haben von Anfang an in nachhaltige Maßnahmen investiert, zum Beispiel in eine Photovoltaikanlage auf unserem Dach oder in Wärmepumpen.
Außerdem besitzen wir einen eigenen Wald. Mit dem Firmenwald leisten wir einen freiwilligen Beitrag zum aktiven Klimaschutz und schaffen wertvolle Lebensräume für Pflanzen- und Tierarten. Wir helfen bedrohten Arten zu überleben und erhalten die biologische Vielfalt unseres Planeten. Auch wenn wir uns in einer Branche bewegen, deren Produkte per se nicht immer ökologisch sind, versuchen wir, unseren Beitrag zu leisten. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, aber wir arbeiten intensiv daran, unseren ökologischen Fußabdruck zu minimieren.
Wer sind eigentlich die typischen Bürklin-Kunden?
Unsere Kunden sind unglaublich diversifiziert: von der Luft- und Raumfahrt über die Automatisierung bis hin zur Schwerindustrie. Wir bedienen alle möglichen Branchen – von der Instandhaltung bis zur Prototypenentwicklung in kleinen Stückzahlen. Das reicht von Ingenieuren, die Schaltungen bauen, über Maker bis hin zu Studenten. Unsere breite Kundenbasis ist auch ein Vorteil, insbesondere in unsicheren Zeiten.
Und wie sieht das Vertriebsmodell inzwischen aus? Läuft der Großteil online ab?
Ja, der größte Teil läuft mittlerweile online, insbesondere über unsere Webseite und Procurement-Systeme. Größere Kunden binden sich oft direkt an uns an, was für beide Seiten vorteilhaft ist. Zusätzlich gibt es Rahmenverträge und Abrufaufträge. Die Zukunft unseres Vertriebs liegt definitiv online, und wir investieren weiterhin stark in diesen Bereich.
Inwieweit gibt es den klassischen Produktsupport bei Bürklin?
Nur in geringem Umfang, da es in unserer Art der Distribution nicht zwingend notwendig ist. Unsere Kunden – seien es Entwicklungsingenieure oder Instandhalter – wissen meist genau, was sie benötigen. Unser Geschäftsmodell konzentriert sich eher auf die Bereitstellung der Ware, weniger auf tiefgehenden technischen Support.
Wie sehen Sie die Zukunft der Distribution? Wird sie in fünf oder zehn Jahren noch genauso relevant sein?
Ja! Distribution ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der Lieferkette. Manche versuchen, das Konzept der Distribution unnötig zu verkomplizieren. Aber eigentlich spricht das Geschäftsmodell für sich. Ein Hersteller sollte sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren – die Produktentwicklung – und nicht auf Logistik. Wir als Distributor haben die Nähe zu den Kunden und wissen genau, was sie brauchen. Diese Kundennähe ermöglicht uns, flexibel auf Wünsche einzugehen, sei es durch Anpassungen unseres Sortiments oder der Lieferkette. Gerade in der High-Service-Distribution, wo auch kleine Mengen gefragt sind, sehe ich keine realistische Alternative zur Distribution.