Herausforderungen der Industrie 4.0

Keine Horrorszenarien von vollautomatisierten Produktionshallen!

14. Juli 2015, 9:58 Uhr | Karin Zühlke
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Learning by Doing

Sie halten es also für wichtig, nicht zu lange zu warten, sondern eher nach dem Prinzip »Learning by Doing« zu agieren?

Sagen wir so: Wir müssen mit dem arbeiten, was wir heute haben und uns morgen vielleicht noch leisten können, vor allem wenn man an den Mittelstand denkt, der mit seinem heterogenen Maschinenpark arbeiten muss und nur schrittweise in verdaubaren Etappen in Richtung Industrie 4.0 weiterentwickeln kann. Ich vergleiche das gerne mit der Entwicklung des Mobilfunks. Da hat sich in den letzten vier bis fünf Jahren einiges entwickelt, und gerätetechnisch haben sich die Standards aus dem Marktgeschehen heraus durchgesetzt. Eine Marktbereinigung hat stattgefunden. Und auch nicht alles war von Beginn an klar oder fix definiert.

Erwarten Sie eine ähnliche Marktbereinigung im Rahmen von Industrie 4.0?

»Marktbereinigung« ist zu viel gesagt, aber die Großen der Branche werden sicherlich dem Ganzen ihren Stempel aufdrücken und das Tempo bestimmen, z.B. die großen Steuerungshersteller wie Siemens, Bosch Rexroth oder Beckhoff. Auch die Standardisierungsorganisationen, die am weitreichendsten die Kräfte bündeln, werden ihre Position ausbauen, z.B. die OPC Foundation über OPC-UA.

Kommen wir noch mal zurück auf das eingangs erwähnte Innovationsnetz »Produktion 2020«. Was bezweckt dieses Bündnis? Aus welchen Bereichen kommen die Mitglieder?

Wir haben im Umfeld des Technologie Centrum Westbayern 2011 das Innovationsnetzwerk »Produktion 2020« als losen Verbund aufgebaut, das sich unter Einbindung renommierter Technologieunternehmen mit den Zukunftsfragen einer mittelständischen Produktion auseinandersetzt – ganz bodenständig, denn heute schon müssen diese Unternehmen die richtigen Kaufentscheidungen für morgen treffen, wenn es um die Digitalisierung der Produktion geht.
Allianzpartner sind Technologiefirmen wie Kuka Roboter, Schmalz Vakuumtechnik, Festo, Micro-Epsilon, Pilz Sichere Automation, Harting, Schunk, Siemens, IBS und Balluff. Regionale Produktionspartner sind die Firmen AGCO Fendt, Eurocopter, GEDA, SPN Schwaben Präzision Fritz Hopf, Grenzebach, Güdel Automation, Kathrein, MR-PLAN, Ohnhäuser, Tigra, Valeo und Zott.

Im Fokus der vielfältigen Projekte unseres Netzwerks steht die firmenübergreifende Auseinandersetzung mit Forschungs- und Integrationsvorhaben zur automatisierten Fertigungstechnik, zur sicheren Mensch-Maschine-Kooperation und flexiblen Automation in der Robotertechnik bis zur Integration der Fertigungssysteme in das MES- und ERP-Umfeld der Firmen-IT. Auch wir am Technologie Centrum Westbayern beteiligen uns aktiv an dieser Forschungsarbeit. Und da sind wir frühzeitig bei Industrie 4.0 gelandet, denn kein anderes Thema hat einen solchen Sog entwickelt. In unserem Innovationsnetzwerk haben wir uns es auch zum Ziel gesetzt, einen Migrationspfad und Hilfestellungen für den Weg zur Industrie 4.0 im Mittelstand aufzuzeigen. Demonstrieren wollen wir dies am Beispiel der zukünftigen Zusammenarbeit von Menschen und Robotern.

Unsere ersten Anwenderstudien zeigen, dass alles machbar ist. Und jedes Produktionsunternehmen – groß oder klein, Massenfertiger oder Zulieferer – sollte sich zumindest heute schon mit dieser wahrhaft vierten industriellen Revolution auseinandersetzen.

Was genau verbirgt sich hinter diesem Migrationspfad für den Mittelstand?

Industrie 4.0 stellt mittelständische Unternehmen vor viele große Herausforderungen, die sie im Allgemeinen nicht mit eigenen Ressourcen und einem begrenzten Budget bewältigen können. Von einer flächendeckenden Einführung von Industrie 4.0 kann nicht ausgegangen werden. Dazu fehlt typischen Mittelstandsunternehmen eine Forschungsabteilung oder ganz einfach die Kraft und Zeit zu einer umfassenden Recherche, zu Versuchen. Oft müssen sogar die nötigen IT Kenntnisse und Automatisierungskompetenzen erst entwickelt werden.
Diese Zielgruppe möchte aber ganz konkret wissen, welche Veränderungen auf sie zukommen und wie man sich bestmöglich und rechtzeitig auf den Wandel vorbereitet. Daher entwickeln wir Handreichungen und Checklisten, die einen etappenweisen Übergang und die nötigen Vorberei-tungen umfassend in verständlicher Sprache und in pragmatischer Vorwärtsstruktur als Migrati-onspfad in die Produktion der Zukunft darstellen. Und das beginnt beispielsweise mit einem Rat-geber und einem Anforderungskatalog für Geräte-, Messmittel- und Maschinenbeschaffungen.

Welche Auswirkungen zeigt Industrie 4.0 auf die gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten und welcher Nutzen ergibt sich daraus?

Industrie 4.0 wird in allen Wertschöpfungsketten eine zentrale, heute vielfach noch unterschätzte Rolle spielen. Die Vernetzung und Selbstorganisation der Produktion sorgt für mehr Flexibilität und eine unterbrechungsfreie Produktion. Von der besseren Verzahnung der Fertigungsanlagen werden Effizienzschübe von ca. 30 % erwartet. Diese werden unsere Fertigungsstandorte in Deutschland auf Jahre zukunftssicher machen.
Vor allem in der Produkt- und Produktlinienentwicklung und bei künftigen Dienstleistungen wird die Time-to-Market um bis zu 50 % zurückgehen. Die Rückführung von Qualitätsinformationen in alle Funktionsbereiche der Unternehmen ermöglicht eine frühzeitige Berücksichtigung wertvollster In-formationen in einer den gesamten Produktlebenszyklus begleitenden FMEA. Produktionsverant-wortliche spüren brachliegende Rationalisierungsreserven über den Einsatz neuartiger Echtzeit-Analysefunktionen auf. Sie erkennen, bei welchem Prozessschritt die meisten Fehler entstehen, wo Rüst- und Stillstandszeiten häufig auftreten und leiten selbständig geeignete Korrekturmaßnahmen ein. Entwickler optimieren auf der Basis von Qualitätsanalysen die Robustheit ihrer Produktdesigns. Einkäufer und Mitarbeiter der Logistik nutzen Echtzeit Kennzahlen und dynamisierte Analysen für die Warenbestandsoptimierung, die Beschaffung, die Lieferantenbegleitung und Lieferantenbewer-tung. Mitarbeiter aus dem Betriebsmittelbau und Produktionsverantwortliche lernen ganz selbstverständlich, wie sie ihre Maschinenanordnung und -performance optimieren können, z. B. durch verbesserte Zuführung und bedarfsorientierte präventive Wartungen.

 

 

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