Die IEC-Norm 61499 für die Programmierung verteilter Steuerungssysteme fristet zumindest im Maschinenbau seit ihrer Veröffentlichung in den Jahren 2000 bis 2002 ein Schattendasein. Die beiden Unternehmen epis Automation und nxtControl wollen dies jetzt ändern: epis Automation hat die SPS- und HMI-Entwicklungsumgebung »LibertyPro« angekündigt, die auf dem IEC-61499-Entwicklungswerkzeug »nxtStudio« von nxtControl beruht.
Die Programmierung der Maschinensteuerung und -bedienung erfolgt nach wie vor meist auf Basis der Norm IEC 61131-3, die vor mehr als 25 Jahren entwickelt wurde. Laut Dr. Jürgen Seyler, Geschäftsführer von epis Automation, gehen die Anforderungen der Anwender aber mittlerweile erheblich über die Möglichkeiten hinaus, die die Norm eröffnet: »Die IEC-61131-3-Programmierung erfordert immer mehr Hilfskonstrukte, so dass nach IEC 61131-3 entwickelte Anwendungen häufig um C/C++-Programme erweitert werden müssen«, erläutert er.
Um den daraus resultierenden Entwicklungs-Mehraufwand zu reduzieren, hat epis Automation in Zusammenarbeit mit nxtControl die Umgebung »LibertyPro« zur Programmierung von SPSen gemäß der IEC 61499 entwickelt. Das zugrunde liegende Programmierwerkzeug »nxtStudio« ist seit einigen Jahren in Gebäudeautomatisierung und Fördertechnik im Einsatz, wo die IEC 61499 mehr Akzeptanz findet als in der Fertigungsautomatisierung. »LibertyPro« ist eine Branchenlösung für den Maschinenbau, die das Basispaket um spezifische Funktionsbibliotheken ergänzt. HMI und Dokumentation sind so weitgehend integriert, dass die entsprechenden Funktionen in den erstellten Programmbausteinen mit eingebunden sind und nicht, wie weit verbreitet, in einem anderen Programmteil zu finden sind.
»Wir sind der Überzeugung, dass wir mit 'LibertyPro’ etwas vorstellen, was über die eingefahrenen Methoden hinausweist«, betont Seyler. Eine der wichtigsten Kundenforderungen sei es gewesen, die Erstellung von C/C++-Programmen und anderen Add-ons überflüssig zu machen: »Der häufigste Grund für C/C++-Ergänzungen ist es, die zyklische Programmabarbeitung der IEC 61131-3 durch Interrupt-Routinen oder Ähnliches zu unterbrechen«, verdeutlicht Seyler. 'Liberty Pro’ ersetze daher den zyklischen Programmablauf durch ein Event-gestütztes Modell, das sich auf die tatsächlich benötigten Programmmodule beschränke. »Zudem lassen sich einzelne Programmbausteine kapseln, damit getestete und zertifizierte Funktionen immer wieder verwendet werden können«, fährt Seyler fort. »Ein weiterer Vorteil der Kapselung ist, dass die Funktionserweiterung oder Individualisierung von Maschinen mit deutlich geringerem Engineering- und Testaufwand als derzeit üblich erfolgen kann.« Die objektgestützte Architektur ermögliche es ferner, umfangreiche anwenderbezogene Funktionen und Bibliotheken zur Verfügung zu stellen.
Im Gegensatz zur IEC 61131-3 unterstützt die IEC 61499 die Programmierung verteilter Steuerungssysteme. Mit »LibertyPro« erstellte Anwendungen können daher in unterschiedlicher Hardware ablaufen. »Welche der Funktionen in der SPS, einem Industrie-PC, einem intelligenten Antrieb, einem I/O-Modul oder einem intelligenten Sensor ablaufen soll, muss erst am Ende des Projekts entschieden werden«, legt Seyler dar. »Der Top-Down-Ansatz in der Systementwicklung steht somit im Vordergrund. Erst in einer sehr späten Entwicklungsphase ist ein Bottom-up-Engineering notwendig. Dies unterstützt die Individualisierung von Maschinen.«
Im nächsten Schritt wird das bestehende Software-Paket um IEC-61131-3-Kompatibilität erweitert, damit vorhandene IEC-61131-3-Programme nicht verworfen werden müssen und die Investitionen der Vergangenheit gesichert sind. »LibertyPro« steht in Form individualisierter Initialpakete bereit, die Lizenzen für die Entwicklung, Hardware-spezifische Runtime-Lizenzen, Starthilfe für die ersten Projekte und individuell ausgestattete Bibliotheken umfassen. Die integrierte HMI ist lizenzfrei.
Um das Thema IEC 61499 stärker im Markt zu verankern, planen die beiden Unternehmen, eine Anwendergruppe zu gründen, die als Diskussionsplattform für gewünschte Funktionserweiterungen dienen soll.