Im Gegensatz zu den optimistischeren Verbänden ZVEI und VDMA erwartet die ARC Advisory Group für die Automatisierungsbranche im Jahr 2012 insgesamt ein Nullwachstum. Zu den mittelfristigen technischen Trends gehören Safety und Security, Energie-Management, Engineering-Frameworks und verteilte Automatisierung. Und auf lange Sicht dürfte das Auslagern von Geschäftsprozessen eine immer größere Rolle spielen - zum Cloud Computing könnte sich Cloud Manufacturing gesellen.
Die Automatisierungsbranche blickt auf aufregende Jahre zurück; sie erlebte eine Achterbahnfahrt wie nie zuvor. Automatisierungsboom, Bankenkrise, Rezession, wieder Boom - dagegen war der IT-Boom der 90er-Jahre langweilig. Doch geht die Achterbahnfahrt weiter? Worauf müssen sich Automatisierer, Maschinenbauer und Systemintegratoren einstellen?
Dieser Artikel beschreibt die zukünftige Entwicklung der Branche in drei Schritten. Der erste behandelt die beiden nächsten Jahre und ist wirtschaftlich geprägt, der zweite Teil beschäftigt sich mit einem Zeithorizont von fünf Jahren und technologischen Aspekten, der dritte Teil ist eine Vogelperspektive auf eine mögliche Wertschöpfungsart in 50 Jahren.
Die beiden nächsten Jahre: Rezession in Sichtweite?
Für die Automatisierungstechnik spielt der Konjunkturzyklus kurz bis mittelfristig eine Rolle, das heißt: Sobald Ökonomen ihn verstehen, ist es zu spät. Hier hilft ein Blick zurück: Auf der SPS/IPC/Drives 2008 fragte ARC nach deren Prognose. Der einhellige Tenor war, dass 2009 hart werden würde und mit einem Marktwachstum um null Prozent gerechnet werden müsse. 2009 waren sich die meisten Teilnehmer einig, dass das Marktvolumen von 2008 erst 2015 wieder erreicht werde.
Zurück in die Gegenwart: Der ZVEI erwartet für 2012 ein Wachstum im einstelligen Bereich über alle Branchen hinweg. Dr. Thomas Lindner, Präsident des VDMA, erklärte auf der SPS/IPC/Drives: »Wir rechnen damit, dass die Produktion im deutschen Maschinen- und Anlagenbau 2012 weiter wächst, und zwar um 4 Prozent«. Ein Grund für die optimistischen Prognosen ist die erwartete Nachfrage aus den BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien und China). Marktdaten zeigen aber, dass die Hauptpartnerländer der europäischen Automatisierungsbranche weiterhin die Europäer sind. Daher ist die ARC Advisory Group skeptischer: Wir gehen davon aus, dass es ab dem zweiten Quartal 2012 ein negatives Wachstum im Vergleich zum jeweiligen Vormonat geben wird. Auf das Kalenderjahr 2012 hochgerechnet ergibt sich damit ein Nullwachstum. Erst für 2013 erwarten wir wieder ein positives Wachstum im niedrigen einstelligen Bereich.
Was gerade im ersten Halbjahr 2012 noch für positives Wachstum sorgen wird, sind die »Spätzykler« aus Europa. Für Italien sind wir weiter skeptisch, genauso wie für Griechenland, das allerdings als Markt kaum ins Gewicht fällt. Betrachtet man die Faktoren für unsere Szenarien, so lassen sich hier noch einige »Wenns« und »Abers« auflisten, die je nach Eintreten dann für die Worst- und Best-Case-Szenarien sorgen.
In 5 Jahren: Der Horizont
Durch Konjunkturzyklen müssen alle durch, aber unternehmerischer Erfolg entsteht auch durch Produkte und Technik. Dabei gibt es einige Faktoren, die die ARC Advisory Group in den kommenden Jahren für besonders wichtig erachtet.
Safety und Security: Safety und Security als neuen Trend zu definieren, klingt komisch. Automatisierer setzen das Thema (Maschinen-)Sicherheit seit Jahren um, jedoch fehlen immer noch einzelne Produkte - dies gilt insbesondere in Verbindung mit Netzwerktechnik. Der Trend geht gegenwärtig zum kompletten Sicherheits-Portfolio und wird sich in den nächsten Jahren hin zu Lösungen entwickeln. Erst jetzt setzen Maschinenbauer auf integrierte Sicherheitslösungen, um Produktivität und Verfügbarkeit zu steigern, was an der hohen Auslastung der Entwickler und der langen Produktlebenszyklen von 15 bis 25 Jahren liegt.
Cyber-Security ist ein heißes Thema, besonders seit Stuxnet. Immer noch gilt: Automatisierungs-
Equipment mit eingebauter oder gar integrierter Cyber-Security ist de facto nicht vorhanden. Der bekannteste Wurm nach Stuxnet ist zweifelsohne Duqu, und dessen Popularität beruht darauf, dass Duqu Teile des Sourcecodes von Stuxnet enthält. Das ist mehr als besorgniserregend, weil der Stuxnet-Code nicht einfach verfügbar ist und nach Ansicht unabhängiger Experten ein Gemeinschaftsprojekt des amerikanischen und israelischen Geheimdienstes sein müsste, um die iranische Urananreicherungsanlage anzugreifen. Im Gegensatz dazu ist Duqu ein Virus, das sich schnell einschleicht, Passwörter via Key-Logger ausspioniert und sich nach 36 Stunden wieder selbst löscht - (Industrie-)Spionage par excellence.
Energie-Management: Energie-Management ist wichtig, da sind sich im Grunde alle Beteiligten (Systemintegratoren, Endanwender und Maschinenbauer) einig. Doch gegenwärtig sind die meisten installierten Lösungen proprietär, und Automatisierer bieten kaum komplette Lösungen an. »Komplett« bedeutet, dass es sich nicht nur um den Antriebsstrang handelt, sondern auch um Software, Beratung und die Integration der Energiekosten als Variable in die Automatisierungshierarchie.
Automatisierungsanbieter fokussieren momentan auf das »low hanging fruit«, minimalinvasive Projekte ohne Risiko mit schneller Rendite. Das betrifft oft nur den Antriebsstrang und die Visualisierung - allein durch entsprechende Informationen lassen sich zwischen 5 und 10 Prozent Energie einsparen.
Engineering-Frameworks: Ingenieure sind ein rares Gut und müssen immer gezielter eingesetzt werden. Remote-Maintenance hat sich bereits zu einem einträglichen Geschäftsmodell entwickelt und spart Engineering-Ressourcen beim Endanwender. Umfassende Engineering-Tools sind relativ jung. Siemens stellte 2010 das »TIA-Portal« vor, und die Firma 3S präsentierte 2011 ein neues Entwickler-Kit.
Engineering-Tools bieten unserer Meinung nach ein entscheidendes und sich differenzierendes Kriterium. Dabei bleibt festzuhalten, dass einige Faktoren einer »perfekten Welt«, in der eine einzige Engineering-Oberfläche ausreicht, um globale Ressourcen zu bündeln, im Wege stehen - insbesondere nicht-offene Hardware-Plattformen, die Integration von Variablen jenseits der klassischen Automatisierung wie Energie, Safety und Security oder auch neue Protokolle wie IO-Link.
Distributed Automation: Es ist keine neue Erkenntnis, aber sie hat immer noch Sprengkraft: Die Komplexität integrierter Schaltkreise verdoppelt sich alle 18 Monate. Konkret: Was heute ein leistungsfähiger Netzwerk-Controller kann, konnte früher eine SPS. Eine SPS ersetzt heute ganze Prozessleitsysteme. Steuerungen werden zu Steuerungseinheiten, die modular eingesetzt werden können, auch chip-weise. Ein Beispiel: 2011 stellten Renesas und Phoenix Contact den Profinet-IO-Device-Baustein TPS-1 (»Tiger-Chip«) vor. Vipa hat mit »Speed7« eine SPS auf einem einzelnen Chip, und Renesas und Hilscher arbeiten am High-End-Kommunikations-Controller »netX 4000«.
Brauchen wir in Zukunft noch die SPS? Der große Nachteil einer verteilten Intelligenz ist die wachsende Komplexität und die eingeschränkte Skalierbarkeit; diese ist in Maschinen aber nur bedingt notwendig. Der verteilten Intelligenz oder Distributed-Automation fehlen aber auch die nötigen Hardware-übergreifenden und herstellerunabhängigen Engineering-Tools.