Was ist der gemeinsame Nenner der meisten technologischen und organisatorischen Entwicklungen der letzten Jahre? Die Konvergenz zwischen zwei Welten. Sie ist in vielen Bereichen - so auch im Falle der Industrie 4.0 - zu beobachten und bedeutet Chance und Problem zugleich.
»Eine Chance ist es, weil aus der Kombination bekannter Elemente Neues entsteht: neue Produkte, neue Lösungen, neue Geschäftsmodelle. Ein Problem ist es, weil die Komplexität, die durch Integration bislang weitgehend unabhängiger Elemente entsteht, enorm ist: auf strategischer, technologischer, prozessualer und letztlich auch auf kultureller Ebene«, gibt Hans-Georg Scheibe zu bedenken, Vorstand der ROI Management Consulting A G. »Besonders gravierend ist diese Entwicklung bei der Verschmelzung digitaler und analoger Elemente, bei der Verbindung von Einsern und Nullen mit Stahl.« Der bereits heute absehbare breitflächige Einsatz von Cyber-Physical Systems (CPS) in Entwicklung, Industrialisierung und Produktion hat nach den Worten von Scheibe das Potenzial, die Spielregeln in einer Vielzahl von Branchen zu ändern. Als eine Art ‚geistiger Nachfolger‘ des Internets und vor allem des Computer Integrated Manufacturing (CIM) eröffnen CPS eine neue Integrationsebene, indem sie analoge Strukturen mit Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit ausstatten und heterogene Produktions- und Logistikumgebungen zu dezentralen Netzwerken verknüpfen.
Eine faszinierende Basistechnologie muss sich auch auszahlen
Damit entsteht ein Prozess zur Abwicklung des Gesamtauftrags der im Gegensatz zu CIM nicht auf eine zentralistische Steuerung über Fertigungsleitstände setzt, sondern verteilt und vernetzt ist. Er ermöglicht eine Selbststeuerung der Objekte im Netzwerk und damit nicht nur eine Integration, sondern auch eine Verteilung der Steuerungsaufgaben und Informationen. Es entsteht ein Netzwerk, das im Vergleich zu traditionellen Ablauf und Aufbauorganisationsmodellen ein schnelleres und flexibleres Reagieren auf sich wandelnde Kundenerwartungen, steigenden Individualisierungsbedarf und Marktschwankungen ermöglicht. »Die Rolle der IT ist dabei zentral – denn ohne sie ist das Internet der Dinge nicht möglich. Die heute zur Verfügung stehenden Technologien können die Beschränkungen überwinden, denen die CIM Lösungen der achtziger und neunziger Jahre unterlagen und die letztlich ihren breitflächigen Einsatz verhindert haben«, unterstreicht der Experte. Doch auch hier gilt: Ähnlich wie bei internetbasierten Geschäftsmodellen muss bewiesen werden, dass eine faszinierende Basistechnologie auch in der Lage ist, konkrete Bedarfe zu befriedigen und neue Prozesslandschaften zu ermöglichen, die sich für Unternehmen – und Kunden – tatsächlich auszahlen. »Und ähnlich wie beim Internet werden wir in den kommenden Jahren viele Flops und wenige Erfolgsmodelle erleben. Diese werden jedoch transformativen Charakter haben, sie werden die Spielregeln in der produzierenden Industrie grundlegend verändern«, ist Scheibe überzeugt.
Pionier: Maschinenfabrik Reinhausen
Ein wunderbares Beispiel dafür bietet laut Scheibe die Maschinenfabrik Reinhausen (MR). MR ist es gelungen, aus der Integration ehemals getrennter Einheiten nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren: MR hat ein intelligentes System entwickelt, das die unterschiedlichen Anlagen komplett miteinander vernetzt und Kommunikation und Informationsaustausch ermöglicht. »Dieses einzigartige Netzwerk ist nicht zentralistisch organisiert, sondern erlaubt eine lokale Datenspeicherung. Und da, wo die Daten liegen, werden sie von den anderen Elementen des Netzwerks auch abgeholt – ein CPS und ein Internet der Dinge in Reinkultur«, schildert Scheibe. Änderungen und Anpassungen, die an einer Stelle initiiert werden, sind im gesamten Netzwerk in Twitter Geschwindigkeit wirksam. Die Zeit- und Kosteneinsparungen sowie die Erhöhung der Prozesstransparenz bezeichnet Scheibe als »enorm«.