Die ideale Ergänzung zur Energieerzeugung über PV und Wind in Europa

»Die Grundlast aus der Wüste kommt wie gerufen!«

1. Februar 2012, 15:20 Uhr | Heinz Arnold
Dr. Thiemo Gropp, Desertec Foundation: »Es geht darum, den richtigen Mix zwischen zentral und dezentral, lokal, regional und überregional erzeugter Energie sowie zwischen den verschiedenen erneuerbaren Energiequellen zu finden.«
© Desertec

Warum es eine gute Idee ist, die Grundlast für die europäischen Verbraucher in großen Solarkraftwerken in der Sahara zu generieren, warum es den nordafrikanischen Ländern nutzt und warum Desertec das Gegenteil von Neokolonialismus ist, erklärt Dr. Thiemo Gropp, Vorstand Desertec Foundation, gegenüber Energie & Technik.

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Energie & Technik: Das Solarthermie-Kraftwerks in Tunesien baut und finanziert das Joint-Venture TuNur. Hätte es das Projekt auch ohne die Desertec-Fondation gegeben?

Dr. Thiemo Gropp: Vermutlich schon, aber mit der Unterstützung der Desertec Foundation geht es schneller: Desertec öffnet Türen.

Worin sieht Desertec dann seine konkrete Aufgabe?

Die Aufgabe von und als Stiftung sehen wir darin, für die Idee, die hinter Desertec steckt, zu werben, Akteure aus Wirtschaft, Politik und örtlicher Gesellschaft zusammen zu bringen und über Pilotprojekte zu zeigen, dass eine globale Energiewende möglich ist.  

Desertec lässt also durch Experten Projekte wie das TuNur-Projekt auf die Desertec-Kriterien prüfen und wenn die Prüfung positiv abgeschlossen ist, erklärt es die Stiftung zu einem offiziellen Desertec-Projekt. Handelt es sich um eine Art von Zertifizierung?

Ja, so könnte salopp man es formulieren. Aber wir sind im Grunde keine Zertifizierungsorganisation. Vielleicht könnten wir diesen Gedanken in Zukunft noch weiter ausbauen.

Die Desertec-Foundation ist nicht direkt an dem Bau und der Finanzierung solcher Projekte wie das von TuNur beteiligt?

Nein, wir bauen keine Kraftwerke und wir finanzieren sie nicht. Unser Ziel besteht darin, in den Ländern, die für solche Projekte in Frage kommen, die Akzeptanz zu schaffen und die Bildung von Initiativen anzuregen, aus denen dann die Projekte entstehen.

Das gilt also nicht nur für die Sahara und den Mittelmeerraum?

Die Vision von Desertec erstreckt sich auf geeignete Gebiete rund um die Welt. Wir haben beispielsweise ein Projekt in Gambia in Planung, es geht also bei weitem nicht nur um Nordafrika und Europa.

In Asien sowie Nord- und Südamerika beispielsweise gibt es viele geeignete Standorte. Der ursprüngliche Grundgedanke von Desertec lautete ja: in Wüstenregionen liefert die Sonne auf einer relativ kleinen Fläche so viel Energie, dass sie zur Versorgung der gesamten Menschheit ausreichen würde.

Warum gleich in die Wüste gehen, würde sich Südeuropa als Standort nicht ebenfalls anbieten?

In den Wüstengebieten ist die Energieeinstrahlung so hoch, dass die Ausbeute eines identischen Solarthernmie-Kraftwerks dort nochmal deutlcih höher ist als etwa in Südeuropa. Es ist also durchaus wirtschaftlich, die Energie dort zu produzieren und über Leitungen zu importieren. Außerdem haben die Solarthermie-Kraftwerke einen großen Vorteil: Die Energie lässt sich in Form von Wärme speichern und dann aubrufen, wenn die Sonne nicht scheint. Diese Kraftwerke sind also grundlastfähig.

In Europa besteht danach gerade wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien hoher Bedarf: weil die Sonne nachts nicht scheint, weil der Wind nicht immer weht, müssen bestehende oder sogar neue zu bauende Kraftwerke für die Grundlast sorgen – konventionelle Kraftwerke, die eigentlich wegen der CO2-Belastung nicht gewünscht sind. Denn bis 2015 werden wegen der Abschaltung konventioneller Kraftwerke und Atomkraftwerken rund 50 GW Grundlast in Europa ersetzt werden müssen.

Und es kommt noch schlimmer: Weil diese Kraftwerke nur zeitweise gebraucht werden, lohnt sich ihr Betrieb für die Versorger nicht, sie wollen also keine neuen Kraftwerke bauen und betreiben.  Da kommt die Grundlast aus der Wüste wie gerufen. 

Außerdem kommt der große Maßstab ins Spiel, der in den Wüstengebieten zum Tragen kommt: Über Skalierungseffekte sinkt der Preis für die Kraftwerke, was die Energie zusätzlich attraktiv macht.

Kritiker sagen, dass die Zukunft dezentral ist und dass Großprojekte nicht weiter führen. Die großen Energiekonzerne wollten über solche Großprojekte nur ihre Macht sichern. Hermann Scheer beispielsweise hatte sich dagegen ausgesprochen.

Desertec will die Projekte anregen, die späteren Besitzverhältnisse stehen auf einem ganz anderen Blatt. Wir sind aber überzeugt, dass es keinen bessren Weg gibt, als die Grundlast nachhaltig, umweltverträglich und zum Vorteil der Länder in diesen Regionen dort zu generieren. Ich schätze Hermann Scheer sehr und bewundere seine Lebensleistung. Ich bin mir sicher, dass er nach seiner anfänglichen Ablehnung die Vorteile des Desertec-Ansatzes gesehen hätte.

Denn es geht nicht um ein entweder – oder. Es geht darum, den richtigen Mix zwischen zentral und dezentral, lokal, regional und überregional sowie zwischen den verschiedenen Techniken zu finden. Es gibt ja nicht nur Solarenergie, es gibt auch Windkraft, Geothermie und Biomasse, die sich alle zu einem sinnvollen Gesamtkonzept integrieren lassen.

Andere Kritiker bezichtigen Desertec eines gewissen Neokolonialismus…

…die sollten sich den Desertec-Ansatz genau anschauen. Ein wesentlicher Aspekt besteht darin, über solche Projekte die Entwicklungen in den Ländern anzukurbeln. Soziale Verantwortung und der Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft in den Ländern, in denen die Kraftwerke arbeiten, ist eines der ganz wichtigen Kriterien für die Desertec-Foundation. Die Bevölkerung soll davon durch steigenden Wohlstand profitieren – sowohl die Bevölkerung in den Ländern, in denen die Kraftwerke stehen als auch die angrenzenden Länder. Der Anteil der Energie, die in den Export wandert, sollte eher gering sein. Wenn sich die Vision von Desertec für die Mittelmeer-Region erfüllen sollte, dann sollte der Anteil des Exports nach Europa nur einen geringen Teil ausmachen – ungefähr 15 Prozent des europäischen Bedarfs.

Wie sieht das konkret am Beispiel des Mittelmeerraums aus?

Die Bevölkerung in den Mittelmeerländern Nordafrikas wird sich bis 2050 von 300 Mio. auf 600 Mio. Menschen verdoppeln. Erneuerbare Energien sind dringend erforderlich, um mit dem wachsenden Energieverbrauch Schritt halten zu können.

Marokko beispielsweise gibt derzeit rund 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes dafür aus, Energie zu importieren, Energie, die die Umwelt belastet.  Bis 2020 will Marokko 2 GW über erneuerbare Quellen erzeugen, vor allem über Solar und Windenergie.

Ein zweites Beispiel: Ägypten leidet unter Wasserknappheit – wir bräuchten bis 2015 einen zweiten Nil, sagt Hani Nokraschi, der für die Desertec Foundation in Ägypten arbeitet. Solarkraftwerke könnten in Ägypten beispielsweise zur Meerwasserentsalzung genutzt werden, um das Land mit Wasser zu versorgen. Der Export von Strom ist dabei nur ein Nebenaspekt. Es liegt also im eigenen Interesse vieler Länder in der Region – vor allem derjenigen ohne nennenswerte fossile Reserven – sich mehr und mehr von der globalen Energiepreisentwicklung und Rohstoffverfügbarkeit abzukoppeln.

Bisher sah es so aus, als ob die ersten Wüstenstrom-Projekte in Marokko entstehen würden. Was passiert dort?

Derzeit entsteht ein Desertec-Refernezprojekt in Marokko. Hier engagiert sich Dii sehr stark und soviel ich weiß ist das Projekt auf gutem Weg. Ob nun dieses Projekt oder TuNur das erste sein wird, kann ich nicht sagen, die Reihenfolge ist auch nicht wichtig. 

In welchem Verhältnis stehen Dii und die Desertec Foundation zueinander?

Dii wurde auf Initiative der Münchner Rück als Industrieorganisation gegründet. Die Desertec Foundation ist einer der Gesellschafter. Die Aufgabe der Dii besteht darin, die Rahmenbedingungen in der MENA-Region zu schaffen, die es erlauben, Projekte umzusetzen, die den Desertec-Kriterien entsprechen. Dabei fokussiert sich Dii auf Nordafrika und die EU. Auch Dii stößt die Projekte an, baut und finanziert aber nicht selbst. Selbstverständlich arbeiten die Desertec Foundation und Dii eng zusammen.

Wenn Europa zuverlässig Strom aus Nordafrika beziehen soll, müssten dort die politischen Verhältnisse stabil sein. Wie beurteilen Sie die Lage nach der Arabellion?

Desertec hat sich zum Ziel gesetzt, die Regionen, in denen die Projekte entstehen, wirtschaftlich mit zu entwickeln. Die erneuerbaren Energien bieten eine gute Perspektive für die Menschen vor Ort. Noch ist die politische Situation unklar und sie unterscheidet sich auch von Land zu Land. Langfristig sehe ich aber positive Auswirkungen, die Entwicklung wird sich beschleunigen. Erneuerbare Energien, eine prosperierende Wirtschaft und verstärkte  internationale Zusammenarbeit – die Entwicklung zur Demokratie bildet dafür die Voraussetzung. Es wird aber auch Geduld erforderlich sein, wir müssen in Zeiträumen von Jahrzehnten denken.


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