Wissenschaftler am Fraunhofer IPA haben ein Sensorsystem entwickelt, das die Bewegungs- und Belastungsparameter an Armen, Beinen und Gelenken dynamisch erfasst und mit dessen Messergebnissen sich unter anderem die Rotationsstabilität nach einem Kreuzbandriss bewerten lässt. Darauf aufbauend könnte man auch völlig neue Ansätze für Prothesen entwickeln.
Sowohl für den Einsatz in der Industrie als auch am Menschen entwickelt das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Navigationssysteme, die auf optischen und inertialen Sensoren basieren. Weil sie ohne zusätzliche externe Referenz oder Infrastruktur einsetzbar sind, decken sie bei überschaubaren Installationskosten ein breites Anwendungsfeld im Innen- und Außenbereich ab. Eine dieser Entwicklungen ist die Messung der menschlichen Kinematik mit optischen und inertialen Sensoren – sie ermöglichen eine quantitative Aussage über den Krankheitsfall, den Therapieverlauf und die therapeutischen Effekte.
Bereits vor zwei Jahren wurden – finanziert durch ein internes Fraunhofer- Forschungsprojekt – beim Fraunhofer IPA Überlegungen angestellt, wie für die mobile Therapiekontrolle ein modulares Bewegungserfassungssystem für Schulter, Hüfte und Knie entwickelt werden kann. Ziel war es, ein System zu entwickeln, das in der Lage ist, kostengünstig und kontinuierlich die Ausschläge der Bewegungswinkel des Zielgelenks erfassen und akute Signale bei kritischer Fehlhaltung abgeben kann. Die so gewonnenen Daten mussten darüber hinaus für die Offline-Auswertung und Beurteilung durch den Therapeuten gespeichert werden können.
Das Ergebnis ist ein Sensorsystem zur dynamischen Erfassung von Bewegungs- und Belastungsparametern an Extremitäten, das sowohl für die Auslegung von Prothesen als auch als Eingabegröße für Prothesensteuerungssysteme dient. Damit könnte man zum Beispiel am Knie die Rotationsstabilität nach Kreuzbandrissen messen und die Winkel am Knie sowie die Gangpolbahn bei der Kniebewegung auf einfache Weise bestimmen.
Zur Durchführung des Aktivitäts-Monitorings am Knie wird das Sensorsystem in ein Strumpfband integriert. Dabei werden die Daten gemessen und zum Auslesen gespeichert. Letztlich dienen sie zur Objektivierung von Therapieentwicklung und -verlauf. Sie beantworten, wie gut unterschiedliche Therapien anschlagen und ermöglichen eine Therapieverlaufskontrolle. Im weiteren Entwicklungsverlauf soll der Patient zukünftig die Informationen auf seinem Handy oder zuhause am Rechner abrufen können, um sie dann beispielsweise mit seinem Trainer oder Physiotherapeut besprechen zu können.
»Energieeffiziente« Knieprothese
Eine weitere Entwicklung des Fraunhofer IPA ist der Prototyp einer aktiv angetriebenen Knieprothese. Sie soll den Eigenaufwand reduzieren, den der Prothesenträger braucht, um sich fortzubewegen, und somit dessen Lebensqualität steigern.
Zum Hintergrund: Bei elektronisch gesteuerten Prothesensystemen unterscheidet man zwischen aktiv gesteuerten (elektronischen) und aktiv angetriebenen Systemen. Rein aktiv gesteuerte, elektronische Systeme setzen gezielt Bremsmechanismen ein, um adaptiv in verschiedenen Situationen das Verhalten der Prothese an die Gegebenheit im Gangzyklus anzupassen. Die Zufuhr von Energie ist nicht möglich. Im Gegensatz dazu wird bei aktiv angetriebenen Prothesensystemen der Prothesenträger durch den Einsatz elektromechanischer Antriebssysteme in der Prothese aktiv während des Gangs unterstützt. Die dem System zugeführte Energie wurde zuvor in einem Akku gespeichert.
Der vom Fraunhofer IPA entwickelte aktive Antrieb einer Knieprothese erfolgt durch einen hocheffizienten elektrischen Kleinmotor und eine spezielle Getriebe-Kinematik-Kombination, die die sehr hohen Drehmomente des natürlichen Gangzyklus nachbilden. Drehmomente von 40-60 Newtonmeter sind in diesem Bereich durchaus normal. Die integrierte Trägheitssensorik basiert auf MEMS (Mikro-Elektro-Mechanische-Sensoren) und detektiert die Bewegungszustände des Prothesenträgers. Eine Integration zusätzlicher Sensorik zur Willkürsteuerung mittels Elektromyographie-Sensorik (EMG) ist ebenfalls implementiert, so dass die Prothese in Zukunft direkt durch entsprechende Gedanken der Träger gesteuert werden soll.
Im Vergleich zu den meisten am Markt erhältlichen Produkten setzt sich die IPA-Prothese aus Standard-Komponenten zusammen. Die Übertragung der Stellgrößen vom Motor zur Knieachse findet nicht über ein Sondergetriebe, sondern über ein einfaches Zahnradgetriebe statt und bietet unterschiedlichste Modifikationsvarianten.