Derzeit werden Patienten kaum zur aktiven Mitwirkung angehalten. Die meisten von uns wissen nur wenig über den menschlichen Körper oder die frühen Anzeichen einer Krankheit. Daher reagieren die Menschen oft zu spät, und wenn sie schließlich zum Arzt gehen und eine Diagnose erhalten, stellt sich plötzlich heraus, dass die verordnete Behandlung deutlich teurer ist und größere physiologische Auswirkungen mit sich bringt, als wenn die Krankheit früher erkannt worden wäre. Der Schritt vom behandlungsorientierten System zum präventionsorientierten Ansatz scheint sinnvoll.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einem präventionsorientierten System ist es, den Menschen Wissen um ihre Gesundheit zu vermitteln und ihnen In¬strumente anzubieten, mit denen sie selbst Verantwortung dafür übernehmen können. Dazu zählen beispielsweise Messgeräte, um die Vitalfunktionen beurteilen und Zeichen einer Krankheit schon im Vorfeld erkennen zu können, oder Geräte zur Behandlung wie Autoinjektoren zur Selbstgabe der notwendigen Medikamentendosis. Um dies in die Tat umzusetzen, müssen die Hersteller von Medizintechnik professionelle Geräte in die Privathaushalte bringen, was eine ganze Reihe von Herausforderungen mit sich bringt. Sollen diese einem Großteil der Bevölkerung zugänglich sein, so müssen solche Geräte kosteneffizient und portabel sein. Letzteres setzt einen Batteriebetrieb voraus, und es liegt nahe, dass die Kommunikation dann auch drahtlos erfolgt. Die Geräte sollten außerdem einfach zu handhaben sein. Der Schlüssel zum Erfolg liegt hier in der Entwicklung »intelligenter« Bedienschnittstellen, Sicherheits- und Schutzfunktionen und eines automatisierten Betriebs.
Neue Technik für Medizingeräte
Kosteneffizient, einfach in der Handhabung, portabel und drahtlos vernetzt – diese Anforderungen, denen sich die Entwickler von Medizintechnik nun stellen müssen, waren bis vor kurzem aufgrund diverser technischer Probleme nicht erreichbar. Die aktuellen Produkte von Halbleiterherstellern wie Freescale lassen die Sache jedoch realistischer erscheinen. Dabei sind die mit stromsparenden ARM-»Cortex-M4«- und -»M0+«-Prozessorkernen ausgestatteten »Kinetis«-MCUs hervorzuheben. Die Leistungsdaten solcher Systeme reichen aus, um die angesprochenen Anforderungen umzusetzen.
Ein gutes Beispiel ist ein Blutzuckermessgerät. Das Gerät arbeitet üblicherweise in fünf oder sechs Betriebsarten: Standby in der Tasche, aufwachen und auf einen auf den Teststreifen aufgebrachten Bluttropfen warten, die Messung der elektrochemischen Reaktion, die Verarbeitung der Daten, das Auswerten der Ergebnisse und schließlich die Anzeige der Daten. Wollte man alle diese Schritte auf einem älteren Prozessor ausführen, so würde dieser – abgesehen vom Stand-by-Betrieb – während des ganzen Messzyklus‘ mit maximaler Leistung arbeiten müssen, was die Batterie massiv belasten und daher den Anforderungen an einen Mobilbetrieb nicht genügen würde. Heute aber kommen die neuesten Mikrocontroller-Bausteine mit komplett integriertem stromsparenden Datenverarbeitungssystem mit weniger als der Hälfte des Stromverbrauchs aus und können daher zwischen zwei Batteriewechseln oder Ladezyklen doppelt so lange arbeiten.
Eine integrierte Lösung bringt weitere wesentliche Vorteile mit sich, da sich die Anzahl der Komponenten im System drastisch verringert und die Interaktion zwischen den unterschiedlichen Funktionen klar dokumentiert ist. Dadurch wird ein hohes Maß an Sicherheit erreicht, und der Zertifizierungsprozess kann einfacher durchlaufen werden. Für Medizintechnikhersteller bedeutet das Durchlaufen des Zertifizierungsverfahrens einen hohen Aufwand; sie müssen sicherstellen, dass eine für ein Produkt einmal ausgewählte, eingesetzte und zertifizierte Komponente während der Laufzeit des Produkts nicht abgekündigt wird. Freescale bietet seinen Medizintechnikkunden ein »Langlebigkeitsprogramm« über 15 Jahre an, was eine kostspielige, durch die Abkündigung eines Bauteils notwendige Neuzertifizierung des Produkts von vornherein verhindert.
Schlauchlose Insulinpume
Ein aktuelles Beispiel für die neuen Möglichkeiten ist der »Omnipod« von Insulet (Bild 1), eine Insulinpumpe, die ohne Schläuche auskommt. Herkömmliche Pumpenkonzepte bestehen aus einer Insulinpumpe, einem Reservoir, einem Infusionsset und Schläuchen, über welche die Pumpe mit dem Infusionsset verbunden wird. Das neue Konzept umfasst nur zwei Elemente (Bild 2): den so genannten »Pod«, der das Insulin liefert, und ein PDA-ähnliches Gerät, den »Personal Diabetes Manager« (PDM). Der Pod wird drei Tage lang getragen, dann entsorgt und durch einen neuen Pod ersetzt. Er beinhaltet 200 Einheiten schnell wirkenden Insulins, das die Anforderungen von etwa 95% der Typ-1-
Diabetes-Patienten abdeckt.
Auf der Suche nach einen Halbleiterlieferanten für dieses Projekt wurde Insulet auf Freescale aufmerksam, das die passenden MCUs im Portfolio hatte, die größen- und kostenmäßig für die Einmal-Pods infrage kamen und darüber hinaus die Funkkommunikation zwischen PDM und Pod unterstützten.
Freescale hat in Zusammenarbeit mit Insulet einen kundenspezifischen ASIC entwickelt. Das maßgeschneiderte Mikrocontroller-Design nimmt nur sehr wenig Strom auf und unterstützt die Kommunikation zwischen dem PDM und dem Pod mit einem integrierten 13,56-MHz-Funkteil. Im Rahmen dieser Technologieallianz entstand ein Produkt, das in einem kleinen, funkgestützten Baustein die Kosten- und Ertragserwartungen erfüllt.
Generell sollen derartige Geräte dabei helfen, von einem Krankenhaus-/Arzt-zentrischen System zu einem dezentralen Ansatz überzugehen, in dem die Menschen ihre Vitaldaten selbst messen. Um diese Problematik anzugehen, gilt es zunächst, die Medizintechnik für Messdatenauswertung und Behandlung zu vernetzen, damit die Daten den Arzt über sichere Datenbanken erreichen, ohne dass der Patient ihn aufsuchen muss. Der »intelligente« vernetzte Haushalt dient als Basis für dieses dezentrale System der Zukunft, in dem der Patient wichtige Gesundheitsdaten von zuhause an seine Arztpraxis übermitteln kann und im Gegenzug Betreuung durch seinen Arzt oder ein »intelligentes«, auf Server-Hubs basiertes Dateninformationssystem (Cloud) erhält. Darüber hinaus können in einem »intelligenten« Haushalt vernetzte Geräte und Telemedizinsysteme auf eine vorprogrammierte Art und Weise reagieren, falls beim Patienten gesundheitliche Probleme auftreten sollten. Beispielsweise könnten je nach Ernst der Lage in verschiedenen voreingestellten Alarmstufen ein Familienmitglied oder ein Notrufzentrum automatisch alarmiert werden, wenn die Situation dies erfordern sollte. Man darf davon ausgehen, dass Telemedizinsysteme schon bald Einzug halten werden. Naheliegend ist ein zentraler »Medizintechnik-Hub«, der eine ganze Reihe biometrischer Geräte, Sicherheitsfunktionen und Sensoren für betreutes Wohnen verwaltet. Dadurch können kranke oder behinderte Menschen auch weiterhin im Komfort ihres eigenen Heimes leben und ein hohes Maß an Selbstständigkeit aufrechterhalten. Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, die nahelegen, dass die Fernüberwachung von chronisch Kranken positive Ergebnisse bringen kann, etwa eine zwischen 35% und 56% geringere Sterblichkeitsrate oder ein um 47% geringeres Risiko für einen Krankenhausaufenthalt.
Die nächste Phase bei der Einführung der Telemedizin besteht darin, einen fundierten Behandlungsplan für Patienten aufzustellen, die unter einer chronischen Krankheit leiden.
Telemedizingeräte für die private Nutzung sollten auf den Patienten und die von ihm benötigten Dienste zugeschnitten sein. Die zugrunde liegenden elektronischen Technologien sollten so unsichtbar und unaufdringlich wie nur möglich gestaltet werden. Patienten müssen sich wohlfühlen und das Gefühl bekommen, dass sie sich auf die Geräte auch wirklich verlassen können. Die Plattformen sollten flexibel genug sein, um die Geräte diagnose- und patientenspezifisch konfigurieren zu können. Außerdem sollte die Bedienung einfach und leicht zu verstehen sein. Mit den oben beschriebenen Verfahren können Gerätehersteller solche Bedienschnittstellen realisieren und ihre Endprodukte mithilfe einer Referenzplattform kundenfreundlich gestalten. Für die Kommunikation verfügt diese über Ethernet und WLAN für eine einfache Anbindung an das Internet und die Cloud sowie über USB, Bluetooth und ZigBee, um die Interaktion mit biometrischen Geräten zu gewährleisten, die in puncto Kommunikationsschnittstellen den Richtlinien der »Continua Alliance« entsprechen.
Obendrein stellt die Referenzplattform Sicherheitsfunktionen wie Authentifizierung beim Einschalten und Hardware-basierte Verschlüsselung bereit, mit deren Hilfe Entwickler Datenschutzmaßnahmen und festgelegte Zugriffsrechte auf die Patientendaten implementieren können. Darüber hinaus sorgen die integrierten Sicherheitsfunktionen dafür, dass sich die Telemedizin-Plattformen einfacher in Netzwerke des Gesundheitswesens integrieren lassen. So verfügt die »Home Health Hub«-Referenzplattform beispielsweise schon über eine vorintegrierte Anbindung an die »Healthvault«-Cloud-Services von Microsoft, über die authentifizierte und verschlüsselte Medizindaten aus dem Patientenhaushalt übermittelt und von einem sogenannten Patientenknoten überwacht werden, der sofort Alarm auslöst, falls Vitaldaten vorher festgelegte Grenzwerte überschreiten.
Diagnose leichtgemacht
Ein weiteres Thema, das zukünftig zu mehr Effizienz und Kostensenkungen im Gesundheitswesen beitragen kann, ist die Krankheitsdiagnose des Patienten. Einige Krankenhäuser haben bereits einen Schritt in diese Richtung getan: Dem medizinischen Personal stehen dort am Krankenbett Analysegeräte für die Diagnose zur Verfügung, mit denen sich Zeit und Geld sparen und das Leben des Patienten angenehmer gestalten lassen. Der nächste Schritt wird darin bestehen, lokale Kliniken und Arztpraxen mit solchen Geräten auszustatten und diese letztendlich auch in die Patientenhaushalte zu bringen, wo die Menschen dann ein sogenanntes Self-Screening durchführen können. Die allererste Applikation dieser Art für den Privatgebrauch gibt es schon seit Jahren: den Schwangerschaftstest. Und die zweite hat das Leben von Millionen Diabetikern verändert: das Blutzuckermessgerät.
Das Medizintechnikteam im Hause Freescale unter Leitung von Dr. Fernandez (Neurochirurg und Elektronik-Ingenieur) arbeitet an einer neuen Generation biochemischer Sensoren. Diese basieren auf Ionen-sensitiven Feldeffekttransistoren (IsFETs), mit denen dann »Immunologisch Sensitive FETs« (ImFETs) realisiert werden, die nicht nur pH-Werte ermitteln, sondern auch Antigene und Antikörper bestimmter Pathogene erkennen können.
Am Körper tragbare Minigeräte wie »intelligente« Pflaster zur Messung von Körpertemperatur, Atemfrequenz und EKG sind schon fast in greifbare Nähe gerückt, aber ihre Abmessungen, ihr Gewicht, ihr Leistungsbedarf und ihr Preis müssen noch sinken. Die jüngsten Neuerungen mit hochintegrierten System-on-Chip-Mikrocontrollern und vielen verschiedenen Kommunikationsschnittstellen bringen die Medizinelektronik voran. Wichtig dabei ist auch Energy Harvesting. Hier wird aus Körperwärme oder Bewegungen kontinuierlich der Strom für portable Medizintechnik erzeugt. Unförmige Batterien könnten damit der Vergangenheit angehören, und Größe und Gewicht erlauben die Realisierung solcher Produkte als unauffällige, am Körper getragene Accessoires.
Über die Autoren:
Adi Shieber ist Field Application Engineer und Yan Vainter ist Application Manager, beide bei Freescale Semiconductor.