Mensch-Maschine-Visionen

Technik, die unter die Haut geht

25. Juni 2014, 13:15 Uhr | Caspar Grote
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Ängste vor Eingriffen ins Gehirn

Prof. Dr. Thomas Stieglitz Uni Freiburg
Prof. Dr. Thomas Stieglitz mit beispielhafter Implantat-Positionierung
© Daimler und Benz Stiftung/Oestergaard

Stiftung: Eingriffe ins Gehirn sind mit Ängsten verbunden und können Persönlichkeitsveränderungen mit sich bringen. Wie kann der Einzelne, wie kann die Gesellschaft damit umgehen?

Prof. Stieglitz: Allen Beteiligten muss klar sein, dass jeder Patient ein Einzelfall mit unterschiedlich ausgeprägtem Leidensdruck ist. Über einen Eingriff ins Gehirn muss daher stets individuell entschieden werden. Als Gesellschaft müssen wir uns ganz grundsätzlich Gedanken darüber machen, was erwünscht, was ethisch vertretbar ist, und ob unsere Gesetze ausreichen – etwa in Bezug auf die persönliche Schuldfähigkeit. Denn Paradoxien wie in „Gibt es Sie, Mr. Johns?“ des Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem, wo der Mensch mehr und mehr zum Kunstprodukt wird, entstehen nicht erst in ferner Zukunft, wenn vielleicht vollständige Cyborgs erschaffen sind!

Stiftung: An welcher Stelle endet Ihr Vertrauen in die Technik bzw. was limitiert Ihrer Ansicht nach die Wissenschaft bei der Verbesserung menschlicher Fähigkeiten?

Prof. Stieglitz: Es wird wohl nicht möglich sein, bei einer Querschnittslähmung alle Nervenfasern zu verbinden, so dass die Betroffenen wieder ohne Einschränkungen laufen können. Aber, um Ängste vorweg zu nehmen: Wir werden genauso wenig das Gehirn so gut verstehen können, dass der Mensch vollständig virtualisiert, also zum Kunstprodukt bzw. Cyborg wird. Trotz aller Unterstützung durch Techniken und Technologien ist im Endeffekt nur der Mensch in der Lage, sinnvolle Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen zu treffen. Darin ist nur er wirklich gut und hier zeigen sich die Grenzen der Wissenschaft.

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Implantate im Gehirn werfen technische und ethische Fragen auf.
© Daimler und Benz Stiftung/Oestergaard

Stiftung: Was zum Nutzen des Menschen gedacht ist, kann ihm aber auch Schaden zufügen. Wie hoch schätzen Sie das Missbrauchsrisiko ein?

Prof. Stieglitz: Natürlich können solche medizinisch-technischen Eingriffe destruktiv eingesetzt werden und das wird auch geschehen – zum Beispiel für militärische Anwendungen, wenn gesunde Menschen technisch „verbessert“ werden. Dringend erscheint mir vor diesem Hintergrund vor allem eine ehrliche Aufklärung der Gesellschaft über Gefahren und Möglichkeiten durch Human Enhancement. Ich wünsche mir begleitend dazu einen öffentlichen Diskurs mit dem Ziel, vielleicht in der einen oder anderen Frage einen gesellschaftlichen Konsens herstellen zu können.


  1. Technik, die unter die Haut geht
  2. Ängste vor Eingriffen ins Gehirn
  3. Zukunftsperspektiven: Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

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