Wenn sowohl leitungsgebundene als auch funkbasierende Geräte denselben TSN-Referenzprotokollstapel implementieren, ist es möglich, ein Funk-TSN-Segment als physische TSN-Brücke zu verwalten. Wenn beispielsweise sowohl 802.3 (Ethernet) als auch 802.11 (Wi-Fi) TSN-Funktionen implementieren, ist eine nahtlose Integration von leitungsgebundenem und Funk-TSN möglich, wie in Bild 3 dargestellt. TSN-fähige Zugangspunkte arbeiten als Funk-TSN-Brücken zwischen verkabelten und Funk-Segmenten, und die 802.11-Stationen (STAs/Wi-Fi-Clients) arbeiten als TSN-Endknoten.
Das Funksystem kann auch als »virtuelle« TSN-Brücke implementiert werden. In diesem Modell sind im Funknetz möglicherweise nicht alle TSN-Spezifikationen implementiert, es ermöglicht aber dennoch die erwartete TSN-Leistung im gesamten Funksystem. Beispielsweise wurden in der Spezifikation 3GPP Rel. 16 neue Schnittstellen zur Integration eines 5G-Systems (5GS) mit einem TSN-fähigen Netz als »virtuelle« oder logische TSN-Brücke(n) definiert, die eine Schnittstelle zur Steuerebene und TSN-Ports auf der Benutzerebene bereitstellen.
Wie in Bild 3 dargestellt, wird dieses Brückenmodell durch TSN-Translatoren (TT) ermöglicht, von denen einer auf der UE-Seite als Device-Side TT (DS-TT) und der andere auf der Netzwerkseite als Network-Side TT (NS-TT) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um von 3GPP definierte Gateways, die für das Tunneln der Verkehrsströme von den TSN-Segmenten durch das 5GS verantwortlich sind.
Die Hauptannahme in diesem Modell ist, dass das 5GS seine eigenen Fähigkeiten nutzt, z.B, 5G-Taktsynchronisation, URLLC, Scheduling, um die erwartete TSN-Leistung in Bezug auf die Zeitsynchronisation (802.1AS) und die Datenlieferung unter einer Worst-Case-Latenz (802.1Qbv) zu erbringen, wenn der Datenstrom über das 5G-Netzwerk übertragen wird. Außerdem wurde eine 5G-Kontrollebene definiert, die über TSN-Anwendungsfunktionen (TSN-AF) eine Schnittstelle zu den TSN-Verwaltungseinheiten bildet.
Das hybride Modell in Bild 4 erweitert die TSN-Konfiguration, indem es die Identifizierung und Verwaltung von Funk-Verbindungen ermöglicht. In diesem Modell kann die TSN-Konfiguration »Funk-bewusst« sein, und Funk-spezifische Merkmale können bei der Gesamtnetzkonfiguration und -verwaltung berücksichtigt werden.
Wie im physischen Modell sind auch im Hybridmodell TSN-Funktionen sowohl in leitungsgebundenen als auch in Funk-Geräten implementiert. Außerdem können bei der Netzkonfiguration bestimmte Funk-spezifische Merkmale wie im virtuellen Modell abstrahiert werden. Das Hybridmodell kann durch einen WTSN-Block innerhalb der CNC ermöglicht werden, wie in Bild 4 gezeigt, in dem die »Funk«-Fähigkeit zur Verwaltung von Funk-Verbindungen implementiert ist. In einer tatsächlichen Implementierung müssen die TSN- und WTSN-Konfigurationsblöcke die gesamte End-to-End-Konfiguration koordinieren.
Ein wichtiger Vorteil dieses Modells ist die Minimierung von Änderungen im leitungsgebundenen Teil des Netzes durch die Berücksichtigung der Funk-Verbindungen. Bei der Planung geschützter Fenster – Teil von 802.1Qbv – als zeitkritischer Datenstrom, der im leitungsgebundenen Netzwerk beginnt und mit einer Funk-Verbindung endet, kann die CNC beispielsweise einen Zeitplan definieren, der die leitungsgebundenen Übertragungen so schnell wie möglich abschließt und den Funk-Verbindungen mehr Zeit lässt, um potenzielle Schwankungen der erreichbaren Übertragungsraten zu berücksichtigen, ohne dass der gesamte Netzwerkzeitplan neu berechnet werden muss.
Welches Verwaltungsmodell am besten geeignet ist, hängt von der jeweiligen Funkverbindung und dem Einsatzszenario ab. Wi-Fi kann in allen drei Modellen verwendet werden, je nach den in den Wi-Fi-Geräten implementierten Funktionen. 5G hingegen kann nur in einem virtuellen/logischen Brückenmodell verwendet werden. Es ist wichtig, TSN-relevante KPIs unabhängig vom verwendeten Managementmodell verifizieren und messen zu können.
Die TSN-Konfigurationsmodelle (Bild 3 und 4) sind anwendungsunabhängig und konzentrieren sich nur auf die TSN-Funktionen. Je nach Marktsegment müssen zusätzliche anwendungsspezifische Aspekte berücksichtigt werden. Bei ProAV zum Beispiel erfordern hybride leitungsgebundene und Funk-Anwendungen eine Überbrückung zwischen AVB-Standards und -Protokollen und WTSN-Funktionen. Bei industriellen Anwendungen müssen möglicherweise auch Protokolle auf Anwendungsebene für eine durchgängige Interoperabilität berücksichtigt werden.
Die Prüfung von WTSN-Geräten und -Systemen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Einsatz in der Praxis. Die Avnu Alliance hat einen einheitlichen Ansatz für Tests zur Zertifizierung von TSN-Fähigkeiten in leitungsgebundenen und Funk-Netzwerken. Sie entwickelt Testspezifikationen, Testtools und ermöglicht Interoperabilitätstests, bei denen Anbieter den Funktionsumfang überprüfen und ihre Produkte für die TSN-Zertifizierung vorbereiten können.
Die Testspezifikationen der Avnu Alliance konzentrieren sich auf die TSN-Funktionen. Grundlegende Funktionen der Funkübertragung fallen nicht in den Anwendungsbereich. Andere Branchenorganisationen wie die Wi-Fi Alliance und 3GPP-Testhäuser sind für die Überprüfung der zugrunde liegenden Verbindungsfunktionen zuständig. Die WTSN-Tests umfassen medienunabhängige Funktionen, die sowohl für leitungsgebundene als auch für Funk-Verbindungen gelten, können aber auch medienabhängige Funktionen umfassen, wenn diese zur Unterstützung einer bestimmten TSN-Funktion erforderlich sind.
Die Testspezifikationen für TSN-Kernfunktionen wie 802.1AS und 802.1Qbv/Qav, die ursprünglich für leitungsgebundene (Ethernet-)Geräte erstellt wurden, werden auch auf Funk-Geräte und -Systeme ausgeweitet.
Die Avnu Alliance ist federführend bei der Entwicklung von leitungsgebundenen und Funk-TSN-Tests, um die Konformität mit den Normen zu überprüfen und die Interoperabilität zu gewährleisten. Neben der Entwicklung von Testspezifikationen und -werkzeugen bereitet die WTSN-Arbeitsgruppe die Durchführung von Testveranstaltungen vor, bei denen Industriepartner zusammenarbeiten können, um den Funktionsumfang und die Leistung von WTSN-Produkten zu überprüfen.
Literatur
[1] Avnu Alliance, https://avnu.org.
[2] IEC/IEEE 60802 TSN Profile for Industrial Automation. IEEE, https://1.ieee802.org/tsn/iec-ieee-60802.
Der Autor
Dave Cavalcanti
promovierte 2006 an der Universität von Cincinnati in Informatik und Ingenieurwesen. Derzeit ist er Principal Engineer bei der Intel Corporation, wo er Funkverbindungs- und Netzwerktechniken der nächsten Generation und deren Anwendungen in autonomen, zeitempfindlichen Systemen entwickelt.
Er leitet ein Team, das Wireless Time-Sensitive Networking-Funktionen über 802.11- und 5G-Netzwerke der nächsten Generation entwickelt. Cavalcanti ist Senior Member des IEEE und Vorsitzender der Wireless TSN-Arbeitsgruppe in der Avnu Alliance.