Wie IMST die HF-Zukunft sieht

»6G wird die nächste große Welle!«

2. November 2022, 11:00 Uhr | Heinz Arnold
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Expansion in neue Märkte - Automotive, HF-Simulation, Systemintegration

Und die neue Strategie hatte schnell gegriffen?

Wir sind in verschiedene Richtungen expandiert, beispielsweise hatten wir unser Portfolio um Produkte für die Automation/Industrie erweitert. Zudem hatten wir 2009 das Kompetenzzentrum Automotive KAT gegründet, das sich vor allem mit Telematik und der Car-to-Car-Kommunikation beschäftigt. Das war ebenfalls ein wichtiger Schritt, der sich als sehr wertvoll erweisen sollte, weil wir damit unser Kundenspektrum enorm erweitern konnten. Die großen Automotive-Zulieferer zählen jetzt zu unseren Kunden.

Auch in den Bereich »intelligente Antennen« für Autos sind wir vorgedrungen. Hier konnten wir mit Spezialisten für Auto-Antennen zusammenarbeiten und uns auf diesem Gebiet etablieren. Interessant ist, dass wir dank der neuen Strategie schon 2008/9 ausnahmsweise einmal nicht von der Finanzkrise betroffen waren, sondern vollständig verschont blieben.

Doch als die Mobiltelefone plötzlich aus Europa nach Asien zogen, muss das doch auch einen Einfluss auf die Mess- und Prüftechnik gehabt haben.

Ja, bis dahin waren die SAR-Messungen unsere Cash Cow gewesen. Als die Mobiltelefone abwanderten, haben wir dort unser Geschäftsmodell ebenfalls modifizieren müssen und haben uns der Prüfung von hochkomplexer Funktechnik wie jetzt beispielsweise der 5G-Geräte zugewandt. Dies hat auch die Leistungsvielfalt unserer 3D-Simulationssoftware Empire befruchtet. Wie schon gesagt, ich bin überzeugt, dass sich die Messtechnik von Grund auf verändern wird.

Denn die Geräte werden so komplex, dass es gar nicht mehr möglich ist, vernünftig alle Betriebszustände zu testen. Schon bei GSM erfordert das Stunden, bei LTE sind wegen der vielen Frequenzen und Beschaltungsmöglichkeiten Tage für die Messung erforderlich. Eine Woche zu testen – und das bei den dafür erforderlichen teuren Geräten – das wird schwierig. Wir setzen hier auf die Simulation, um die Messtechnik zu reduzieren. Dennoch bleibt alles präzise und verifizierbar. Da steckt viel Potenzial drin, und mit Empire sind wir wieder ganz vorne mit dabei. Wir werden bereits international von Zertifizierungsbehörden für die Simulation empfohlen.

Die Strategie von IMST hat sich über die Zeit des Öfteren verändert. Nach der Gründung hatte sich IMST auf das Projektgeschäft gestürzt. Wie entstand die Strategie, eigene Produkte zu entwickeln und zu vermarkten?

Das Projektgeschäft hatte die erste Dekade geprägt, sie erwies sich allerdings als sehr volatil. Deshalb haben wir uns 2004 entschieden, als Chip-Designhaus und Systemintegrator Produkte wie Funk- und Radarmodule sowie Standard-Chips zu entwickeln. Auch das war erfolgreich; heute sind wir bevorzugtes Designhaus einiger Anbieter in verschiedenen Segmenten.

Womit wir bei den LoRa-Chips und -Modulen wären, die IMST 2013 erstmals vorgestellt hat. Wie kam es, dass Sie auf diesem Markt eingestiegen sind?

Wir hatten uns schon früh mit dem Wireless M-Bus beschäftigt und kamen 2008 in Kontakt zu Semtech. 2013 waren wir tatsächlich weltweit die ersten, die LoRa-Module auf den Markt gebracht haben. Auch die proprietäre Protokollsoftware haben wir dazu entwickelt. Wir konnten bisher immerhin mehr als 500.000 LoRa-Baugruppen ausliefern und haben dabei sehr viel vom Produktgeschäft gelernt. Dagegen waren die Wettbewerber zunächst überschaubar, das ist eine sehr schöne Erfolgsgeschichte, die mittlerweile zehn Jahre anhält.  Es hatte sich also gelohnt, die reine Entwicklungsdienstleistung aufgegeben und damit begonnen zu haben, die eigenen Produkte zu vermarkten.

Bietet IMST weiterhin die proprietäre Software für LoRa an? Wie entwickelt sich dieser Markt weiter?

Die proprietäre Software läuft immer noch sehr gut, es gibt weiterhin sehr viele Projekte, die nicht auf das LoRaWAN-Standard-Protokoll setzen. Jetzt zieht der Markt für die 2,4-GHz-LoRa-Module an und die LoRa-Technologie beginnt den Weltraum zu erobern. Am IMST existieren erste Labormuster, die eine LoRa-basierte Funkverbindung mit LEO-Satelliten realisieren. Da sind wir wiederum vorne im Markt mit dabei. Beide Technologien entwickeln sich derzeit noch, und deshalb gibt es hier noch keinen eigenen Standard. Genau deshalb ist er für die Großen noch nicht sehr interessant.

Wie Sie sagten, deckt IMST die gesamte HF-Technik ab. Sehen Sie einen gemeinsamen Trend oder entwickeln sich die einzelnen Sektoren künftig unterschiedlich?

Der Ultra-Low-Power-Funk wird uns übergreifend sehr intensiv über die nächsten Jahre beschäftigen. Die gesamte IT muss die Energieaufnahme deutlich reduzieren. Alles muss kleiner und schneller werden; die Frequenzen steigen, um mehr Bandbreite zu realisieren. Das alles sehe ich als eine große Herausforderung an.
Es müssen auf allen Ebenen Möglichkeiten gefunden werden, Energie und Ressourcen zu sparen. Neben Schaltungen mit geringer Energieaufnahme zu entwickeln beispielsweise Energie aus der Umwelt zu ernten, um etwa Funkknoten ohne Batterien versorgen zu können …

… was wir schon länger sehr genau anschauen. Im Bereich Energy Harvesting arbeiten wir mit verschiedenen Firmen zusammen. Energy Harvesting muss in die Schaltung integriert werden, davon bin ich überzeugt.

Das ermöglicht dann wieder, über Sensorknoten und Low-Power-Wide-Area-Netze auf der nächsten Ebene die Energieaufnahme zu reduzieren …

… was wir im Projekt »CitySens – Smart City Kamp-Lintfort« unter dem Motto »Sichere Sensorapplikationen in der intelligenten Stadt« seit 2019 zeigen. Hier haben wir über ein LoRa-LPWAN eine komplette IoT-Infrastruktur für Kamp-Lintfort und Umgebung aufgebaut. Für die Abdeckung reichen drei LoRaWAN-Funkknoten aus, die bei geringer Leistungsaufnahme Entfernungen bis 20 km abdecken können. LoRa ist ja schon an sich sehr energieeffizient.

Wir müssen aber auch messen können, wie viel Strom jedes Gerät im Haus, in Gebäuden und in der Industrie aufnimmt. Da kommt das Smart Metering ins Spiel, um den Energieverbrauch überwachen und kontrollieren sowie dezentrale Erzeuger einbinden zu können. Aber es geht auch um die Sicherheit der Infrastrukturen, Umweltüberwachung und nicht zuletzt die Sicherheit und den Komfort für die Bürger. Hier zeigen wir: Wir können ein breites Spektrum von Lösungen anbieten, die nachhaltig sind und dem Klimaschutz dienen.

Das heißt, der Bedarf an Funktechnik wird weiter steigen. Die Entwicklung kommt IMST künftig geradezu entgegen.

Alle wesentlichen Herausforderungen der kommenden Jahre, von der Satellitenkommunikation über die Luft- und Raumfahrt-Industrie, Schlagwort Industrie 4.0 oder autonomes Fahren, Smart Cities bis zu den Infrastrukturen, überall sind die Funktechnologien entscheidend. Nicht nur um die jeweiligen Funktionalitäten selbst realisieren zu können, sondern die übergreifenden Ziele hinsichtlich der Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Sicherheit erreichen zu können. So werden wir Antennen-Arrays und -Systeme über 6G hinaus entwickeln und die Integration der Chips und der hybriden Systeme weiter erhöhen. Es wird also auch über die nächsten 30 Jahre sehr spannend bleiben!

Inspiring Mobile & Satellite Communication Technologies
IMST sieht sich als ein weltweit führendes Entwicklungshaus für HF-Schaltungen, Funkmodule und Kommunikationssysteme. Aktiv ist IMST sowohl im öffentlichen Sektor als auch der Privatwirtschaft. Das Spektrum erstreckt sich von der anwendungsorientierten Forschung (Funkkommunikation, Radarsysteme, Mikrosystemtechnik, Mikro- und Nanoelektronik), der Auftragsentwicklung für die Industrie – vom Start bis zur Serienproduktion – über EDA-Software mit dem elektromagnetischen 3D-Feldsmulator »Empire« bis hin zum akkreditierten Prüfzentrum EMV(U).

Das An-Institut IMST finanziert sich zu einem gewissen Anteil aus Mitteln der öffentlichen Forschungsförderung, der weit überwiegende Anteil entfällt auf die regulären Wirtschaftsmärkte. Davon kommen wiederum erhebliche Anteile aus Projekten, in deren Rahmen Technologien zur Marktreife gebracht wurden und werden, der verbleibende Rest aus individuellen Auftragsentwicklungen und über den Verkauf eigener Produkte und Systeme.

Außerdem bringt sich IMST sichtbar in die Standardisierungsprozesse in Europa und weltweit ein: »Das ist wichtig, wir sorgen mit dafür, dass neben der Politik die Technik weiterhin eine entscheidende Rolle spielt«, sagt Dr. Peter Waldow. A propos Technik und Politik – das Verhältnis zwischen den beiden sieht er ebenfalls als eine große Herausforderung für die Zukunft an. Die Politik treffe oft Entscheidungen, ohne die technischen Voraussetzungen zu kennen, was zu falschen Entscheidungen führen kann. Außerdem neigt sie zu Überregulierungen, wie etwa an der unendlichen Geschichte des Smart Metering in Deutschland zu sehen sei.

IMST beschäftigt heute 160 Mitarbeiter, 140 davon sind technische Entwickler. Derzeit kann sich IMST nicht über mangelndes Geschäft beklagen, die Auftragsbücher sind voll. Selbstverständlich leidet auch IMST unter den Schwierigkeiten in der Lieferkette. »Millionen von Euro können wir nicht abarbeiten, weil uns Komponenten fehlen, das tut weh!«, so Waldow. Er hofft, den Rückstand über das nächste halbe Jahr aufholen zu können und alles ab 2023 ausgeglichen zu haben.

Das zeigt laut IMST-Gründer und CEO Peter Waldow auch, wie tief sich IMST über die Zeit gewandelt hat: »Vom ursprünglichen Institutsgedanken der 90er-Jahre ist nicht mehr viel übriggeblieben. Wir haben uns zu einem KMU mit dem Anspruch eines Technologietreibers gewandelt.«


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