Kommentar

Die Irren im Datendschungel

29. November 2010, 11:10 Uhr | Heinz Arnold
Heinz Arnold, Chefredakteur Markt&Technik
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Das Jahr ist praktisch schon gelaufen, wir haben längst unseren Fokus auf das erste Quartal, ja auf das erste Halbjahr 2011 gerichtet. Noch etwas im Dunkeln liegt dagegen das zweite Halbjahr. Da wenden wir unseren Blick gerne den Auguren zu, die behaupten, etwas Licht ins Dunkel bringen zu können. Aber: Lagen ihre Prognosen von Ende 2009 für dieses Jahr nicht ein wenig daneben? Sollte uns das irgendetwas für 2011 sagen?

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Da fällt mir eine ganz andere Geschichte ein: Ein junger Mann musste von der Polizei gerettet werden, nachdem er sein Auto im finsteren Forst kurz vor einem Abgrund im Schlamm festgefahren hatte, weitab jeder befahrbaren Straße. Er hatte seinem Navigationsgerät blind vertraut. »Selbst Schuld!«, rufen wir ein wenig schadenfroh aus. Trotz Navigationsgerät sollte man seinen Verstand nicht ausschalten.

Aber schön, verirren kann sich jeder einmal. Nun stellen Sie sich vor, Sie treffen in München einen Verirrten, der Sie verzweifelt nach dem Weg fragt, obwohl er eine Karte bei sich hat. Zu Ihrer Überraschung stellen Sie fest, dass es leider die Karte von Berlin ist. »Besser eine falsche Karte als gar keine!«, antwortet er auf Ihre Nachfrage.

Wenn sie jetzt glauben, dass zwischen »verirrt« und »irre« kaum noch ein Unterschied besteht – dann denken Sie einmal ganz kurz an die oben genannten Jahresprognosen.

Die Marktforscher betreiben ja einen gewaltigen Aufwand, um ihre Computer mit einem Wust von Zahlen zu füttern, die zum Schluss ein paar griffige Ergebnisse ausspucken, die dann die Kunden gerne zu Rate ziehen, um die eigenen Planungen durchzuführen.

Wer weiß, wie die Daten erhoben, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind? Wer will es überhaupt wissen? Allein der hohe mathematische Aufwand, der betrieben wird, scheint dem ganzen Unterfangen doch naturwissenschaftliche Seriosität zu verleihen. Mit dem gleichen Recht aber könnte man behaupten, die haarsträubenden Ergebnisse der Astrologie seien wissenschaftlich seriös, weil die Bahndaten der Planeten mit Hilfe der Newtonschen Gleichungen errechnet wurden.

Es gilt eben der alte Spruch: »Shit in, shit out«. Wir können noch so viele Zahlen durch die Mühlen der Number Cruncher schicken und die Ergebnisse in noch so schönen Bildern darstellen: Wenn wir nicht wissen oder nicht wissen wollen, wo sie herkommen und wie wir sie interpretieren müssen, nützen sie uns gar nichts.

Einer Disziplin einfach Mathematik überzustülpen, macht eben noch lange keine seriöse Wissenschaft aus ihr, wie das Beispiel der Astrologie zeigt. Wenn jetzt jemand an die Helden der Finanzmathematik an der Wallstreet und bestimmte Theo-rien der Volkswirtschaft denkt, ja, warum nicht?

Aber was soll’s: Weil wir keine besser Daten haben, nehmen wir eben die, die wir gerade bekommen können – wie der Irre in München. Weiterhin viel Spaß dabei wünscht

Ihr Heinz Arnold


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