Der ehemalige Chefredakteur der Elektronik Günther Klasche war fast 40 Jahre dabei und hat wesentliche Entwicklungen miterlebt. In seinem Gast-Editorial äußert er sich über die immense Bedeutung des Ingenieurs in Deutschland und über den angeblichen Ingenieurmangel, der ihm seit Langem bekannt ist.
Den allergrößten Anteil an Deutschlands Stärke hat freilich die deutsche Wirtschaft mit einem industriellen Rückgrat, das sich aus einer Vielzahl von kleinen und mittelständischen sowie etlichen großen Unternehmen zusammensetzt und seinesgleichen in Europa sucht. Und diese Firmen beschäftigten seit jeher hervorragend ausgebildete Wissenschaftler und Ingenieure, die Forschungsergebnisse bereitstellen und diese in innovative und konkurrenzfähige Geräte, Anlagen und Systeme umsetzen.
Es war möglicherweise ein Glücksfall oder auch politisch geplant, dass gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die industrielle Vorkriegstradition wieder aufgenommen wurde und dass die verbliebenen Ingenieure mit Begeisterung und viel Schaffenskraft schnell wieder eine industrielle Basis auf die Beine stellten, die bis heute angehalten hat.
Auch in den 60er- und 70er-Jahren haben deutsche Ingenieure große Leistungen vollbracht. Man denke nur an die Entwicklung der PAL-Farbfernsehtechnik, die in den Labors von Telefunken entstanden ist. Als dann in den späten 70er-Jahren die Mikroelektronik ihren Siegeszug antrat, waren es in Europa vor allem deutsche Ingenieure, die sich mit dieser Technologie rasch vertraut machten und in vielen Geräten und Maschinen die Mechanik durch Elektronik ersetzten.
Anfang der 80er-Jahre hatte die Bundesregierung das Förderprogramm „Technologie-orientierte Firmengründungen“ aufgelegt, das ziemlich erfolgreich war, weil es von vielen Ingenieuren in Anspruch genommen worden ist. Auch am Mobiltelefon haben deutsche Ingenieure intensiv mitentwickelt, während später in Erlangen die MP3-Technologie kreiert wurde.
Als Meilenstein kann man die Entdeckung der „Information“ als Produktionsfaktor bezeichnen, woraus sich in den frühen 80er-Jahren die „computerintegrierte Fertigung“ (abgekürzt CIM) herauskristallisierte. Zwar waren die Ingenieure mit dieser Technologie etwas zu voreilig, aber sie war letztlich doch die Ausgangsbasis für eine Reihe von neuartigen Feldbussen, die Anfang der 90er-Jahre auf den Markt kamen und in Deutschland der industriellen Automatisierung eine neue und noch nie dagewesene Qualität verliehen. Diese Ingenieurleistungen, die damals zu aller Überraschung auch von Ingenieuren in mittelständischen Firmen erbracht wurden, sicherten nach und nach der deutschen Automatisierungsindustrie einen technischen Vorsprung, der bis heute anhält.
Letztlich ist dieser Erfolg darin begründet, dass viele Ingenieure aus zahlreichen Unternehmen intensiv und vorurteilsfrei über Jahre hinweg zusammengearbeitet haben und das auch immer noch machen. Wird dies beibehalten, dann wird auch dem neuen und wichtigen Internet-der-Dinge-Projekt „Industrie 4.0“ aus der Hightech-Offensive der Bundesregierung Erfolg beschieden sein.
Natürlich können sich deutsche Ingenieure noch mit vielen anderen technischen und technologischen Höchstleistungen schmücken. Man denke nur an die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern, die in den letzten Jahren weltweit Maßstäbe setzte. Auch auf dem Sektor der Erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Windenergie, Biogas, Wasserstoff usw.) haben deutsche Ingenieure bei vielen Entwicklungen und Produkten Neuland beschritten und führende Positionen erreicht.
Neue Herausforderungen bringt die Elektromobilität, aber auch die Probleme mit der Energiewende sind noch zu meistern. Leider lässt auch die Energieeinsparung zu wünschen übrig: Zwar haben Ingenieure schon seit längerem energieeffiziente elektrische Antriebe und verbesserte Prozessautomatisierungssysteme entwickelt, mit denen man in Deutschland jährlich 88 Mrd. kWh einsparen kann - aber die werden nicht eingesetzt.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, wollte man alle Ingenieurleistungen beleuchten. Aber eine wichtige Erkenntnis lässt sich daraus ziehen: Ohne die Ingenieure, die hierzulande oder auch im Ausland in Forschung, Entwicklung, Marketing, Controlling, Vertrieb, Service und natürlich im Management tätig sind, wäre unser Wohlstand deutlich bescheidener. „Die Ingenieurbeschäftigung ist der Eckpfeiler des Geschäftsmodells Deutschland“, sagte Dr. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, auf der diesjährigen Hannover-Messe.