Welche Rolle die viel diskutierte Cloud für die Industrie 4.0 und für MES-Systeme spielen wird, darüber scheiden sich momentan noch die Geister respektive die Experten. »Bedingt durch die Sicherheitsdiskussion in den letzten Monaten, getriggert durch die NSA-Aktivitäten, sind die Anwender noch sehr zurückhaltend«, so die Erfahrung von Erhard. Bis auf itac bietet derzeit noch kein MES-Anbieter ein dediziertes Cloud-fähiges System an. Je nach den Anforderungen der Kunden wolle man sich aber anpassen, versichert Erhard. »Hydra« von MPDV läuft auch auf virtuellen Systemen, der MES-Hersteller glaubt aktuell aber noch nicht an einen Software-as-a-Service-Ansatz. »Dagegen sprechen einerseits die Sicherheitsbedürfnisse von Fertigungsunternehmen und andererseits die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der Netzwerke in Deutschland – insbesondere in ländlichen Gegenden. Wir sind der Ansicht, dass für einen reibungslosen Ablauf in der Fertigung das MES-System am besten vor Ort aufgehoben ist. Nichtsdestotrotz denken auch wir über die Auslagerung von zeitlich unkritischen Funktionen in die Cloud nach.«
Meuser dagegen hält es für das Industrie-4.0-Szenario für erforderlich, dass das MES Cloud-fähig ist, um eine Brücke zwischen der Produktionsebene und der Supply-Chain-übergreifenden Wertschöpfungskette bilden zu können. Notwendig dürfte das vor allem für die KMUs sein. Denn viele kleinere Firmen, aber auch Mittelständler, haben weder das Personal noch das Geld, um alle erforderlichen Anforderungen für einen 24/7-Betrieb des MES in der hauseigenen IT-Server-Struktur erfüllen zu können. Er empfiehlt daher für KMUs auch aus Kostengesichtspunkten eine Cloud-basierte MES-Lösung. itac stellt verschiedene Modelle im Umfeld der Private- als auch Public-Cloud bereit, vom Private-Cloud-Modell in der Enterprise-Cloud-Ausprägung für weltweit operierende Konzerne bis zum Public-Cloud-Konzept, das die Rahmenbedingungen einer Exclusive-Cloud für KMUs erfüllt. In diesem Zusammenhag weist Meuser außerdem auf ein grundlegendes Problem hin: »Die Fertigungsmaschinen müssen in der Lage sein, über das Internet sicher miteinander zu kommunizieren. Um die Produktionseinheiten effizient und kostengünstig in das MES zu integrieren und anzubinden, sollten Cloud-fähige Schnittstellen zu allen führenden SMT-Anlagen-Herstellern in der Elektronikindustrie aufgebaut werden.« Das aber ist derzeit nur in wenigen Einzelfällen umgesetzt. Auf breiter Front ist das noch Zukunftsmusik.
Sicherheitsbedenken, die andere Hersteller gegen die Cloud ins Feld führen, hat Meuser keine: »Der Betrieb des Public-Cloud-Systems erfolgt im Rechenzentrum eines vertrauten Providers.« Die Private-Cloud MES-Anwendungen werden meist in den Konzern-Rechenzentren der itac-Kunden oder dem Rechenzentrum eines dem Kunden vertrauten Cloud-Providers betrieben.
Die Sicherheit und die Interoperabilität stehen dabei laut Meuser ganz oben auf der Anforderungsliste, um die Qualitätsansprüche und Normenkonformität erfüllen zu können. iTAC-Kunden erhalten regelmäßig Security Updates für die unterstützten Betriebssystem-, Applikations- und Datenbankplattformen. »Auch sind gesicherte verschlüsselte Protokolle bis zum Einsatz von Reverse-Proxy-Servern und zuverlässige Authentifizierungsverfahren mit einer Integration in die LDAP-Verzeichnisdienste unabdingbar«, fasst Meuser zusammen.
Nehmen, bedingt durch die Industrie 4.0, das Interesse und der Einsatz von MES in der Elektronikfertigung zu? Jason Spera, CEO von Aegis, geht davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der KMUs im Zuge von Industrie 4.0 in ein MES investieren. Ähnlich hoch schätzen das Marktpotenzial auch die anderen Hersteller ein: »Industrie 4.0 schärft das Bewusstsein der Anwender, dass die Anwendung der IT in der Produktion ihre Wirkung noch lange nicht voll entfaltet hat. Dieses Bewusstsein schafft auch mehr Akzeptanz allgemein für IT in der Fertigung«, so Erhard. Laut Deisenroth spielt die Elektronikfertigung hier aber keine Sonderrolle, sondern folgt dem allgemeinen Trend, mehr Software-Systeme einzusetzen, um die Transparenz und die Effizienz in der Fertigung vor dem Hintergrund der immer weiter zunehmenden Globalisierung zu steigern. Ob Industrie 4.0 oder nicht: Viele Unternehmen werden um den Einsatz einer MES-Lösung künftig nicht mehr herumkommen, um den Marktanforderungen gerecht zu werden, so das Fazit der Befragten.