Die Firma Richard Wöhr bietet neuerdings Spritzgussgehäuse an, die zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen! Aber nimmt der Markt solche Gehäuse heute bereits an?
Im Bereich der Gehäuse aus Biowerkstoffen nimmt die Firma Richard Wöhr mit ihren NawaRo-Gehäusen (Nachwachsende Rohstoffe) eine Vorreiterrolle ein. »Wir werden die künftige Entwicklung in diesem Bereich aktiv mitgestalten«, kündigt Stefan Wöhr, Mitglied der Geschäftsführung, im Interview an.
Markt&Technik: Verlangen ihre Kunden heute nach Gehäusen, die aus Biomaterialien bestehen?
Stefan Wöhr: Die Entwicklung des »NawaRo«-Gehäusekonzepts, also unserer Spritzgussgehäuse aus nachwachsenden Rohstoffen, war uns selbst ein Anliegen. Die positiven Umweltaspekte sind für uns also Grund genug, um mit den Entwicklungskosten in Vorleistung zu gehen. Seit mehr als sechs Jahren beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Recycling. Als konsequente Fortführung dieser Thematik entstand die Idee, Gehäuse in Serie zu produzieren, die komplett aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, auch wenn es diesbezüglich noch keine Kundenanfragen gab. Wir haben sehr viel experimentiert, bevor es uns gelungen ist, ein Gehäuse zu präsentieren, bei dem wir ökologisch keine Kompromisse eingehen mussten. Und das unterscheidet unsere Gehäuse auch von den ersten Ansätzen der Wettbewerber am Markt.
Können Sie uns einen Einblick in die vorangegangenen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten geben?
Wir haben sehr viel mit unterschiedlichen Fasern experimentiert. Das Problem bestand jedoch zumeist darin, dass wir von der Festigkeit des Materials nicht zu 100 Prozent überzeugt waren. Ein einfacher Lösungsansatz wäre gewesen, zum Beispiel zusätzlich Epoxidharz als Härtemittel zu verwenden, was aber - zumindest aus unserer Sicht – die Bemühungen, ein umweltfreundliches Gehäuse zu entwickeln, wieder zu Nichte gemacht hätte. Daher mussten wir über andere Basismaterialien nachdenken. Letztendlich hat uns das Lignin als Biowerkstoff überzeugt, dessen Aufgabe es in der Natur ist, das Gewebe von Pflanzen und Bäumen zu stützen. Erst damit ist es uns gelungen, qualitativ hochwertige thermoplastische Gehäuse aus nachwachsenden Rohstoffen zu realisieren.
Welche Vorteile hat Lignin im Vergleich zu anderen Bio-Derivaten wie beispielsweise Cellulose in Bezug auf die Umweltfreundlichkeit?
Lignin ist ein industrielles Beiprodukt; es fällt zum Beispiel bei der Papierherstellung an. Daher weist es auch eine gute CO2-Bilanz auf. Die Herstellung von Cellulosederivaten wie Celluloseacetat ist dagegen vergleichsweise ressourcenintensiv, unter anderem wegen der hohen Temperaturen im Herstellungsprozess. Da der Hauptbestandteil Lignin neben der Zellulose der am häufigsten in der Natur vorkommende organische Stoff ist, betreiben wir auch keinen Raubbau an der Natur. Des Weiteren enthält unser Compound Holzfasern aus regionalen Sägewerken im süddeutschen Raum - und damit aus nachhaltiger Forstwirtschaft.
Wie schneidet das Biomaterial in technischer Hinsicht ab, muss man beispielsweise mit Nachteilen bei der Bearbeitung der Gehäuse rechnen?
Die Gehäuse sind von ihren Eigenschaften her prinzipiell mit den Gehäusen aus ABS vergleichbar. Das heißt zum Beispiel auch, dass sie sich mechanisch genauso gut bearbeiten lassen. Wir können heute rund 95 Prozent der Kunststoff-Kleingehäuse aus dem Fertigungsprogramm unserer Tochterfirma KM-Gehäusetech in einer Version aus nachwachsenden Rohstoffen anbieten. Außerdem lassen sich jederzeit kundenspezifische Ausführungen herstellen. Aus technischer Sicht gibt es nur eine kleine Einschränkung: Die NawaRo-Gehäuse lassen sich noch nicht dazu auslegen, um sehr hohen Brandschutzklassen zu entsprechen. Für den herkömmlichen industriellen Einsatz erfüllen sie aber alle Anforderungen, die üblicherweise an ein Gehäuse gestellt werden.
Lassen sich die Gehäuse auch in kundenspezifischen Farben realisieren?
Ja, wir verwenden zum einen Biogranulate, in denen alle Farbtöne des RAL- oder Pantone-Spektrums abbildbar sind und zum anderen Biogranulate, deren Oberfläche nach dem Spritzguss stark von der Holzfasereigenfarbe und -struktur geprägt sind. Letztere können keinen reinen, also unifarbenen Farbton erreichen, betonen dafür aber das ökologisch-natürliche Erscheinen in den Farbtönen beige bis schwarz. Verstärkt im Kommen sind auch Biofarben (organische Farbsubstanzen) zur Einfärbung des Granulats. Derzeit ist die Farbauswahl hierfür jedoch noch nicht sehr groß und es werden nicht alle Farbsysteme abgedeckt. Aber die Entwicklung auf diesem Gebiet ist vielversprechend, zumal auch die Nachfrage kontinuierlich steigt.
Wie reagieren ihre Kunden auf die NawaRo-Gehäuse?
Sie reagieren oft mit Unglauben, weil sie nicht erwarten, dass man Gehäuse mit den geforderten technischen Eigenschaften auch komplett auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen realisieren kann. Das Interesse an umweltfreundlichen Technologien und Produkten ist aber sehr groß. Zwar wird der Kunde seine Gehäuse nicht sofort auf Biomaterialien umstellen, er ist dem Thema aber offen zugewandt. Bei der nächsten Geräte-Generation könnten Biomaterialien also schon eine wichtigere Rolle spielen als heute. Wir beobachten, dass sich Innovationsteams in den Unternehmen bilden, die verstärkt in diese Richtung denken. Dabei muss man das Gehäuse jedoch ehrlicherweise im Gesamtkonzept eines Produktes sehen, bei dem auch die Weiterentwicklung anderer Komponenten, wie Display und Tastatur, eine Rolle spielt. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die Nachfrage nach Produkten aus Biowerkstoffen schon bald steigen wird.