Aufbautechnik

Schraubst Du noch oder steckst Du schon?

8. November 2010, 8:25 Uhr | Alfred Goldbacher

Mit der Novaplex-Methode kann man unter anderem für medizintechnische Geräte selbsttragende Innenchassis mit Formteilen aus expandiertem Polypropylen (EPP) herstellen, bei denen man auf Bleche, Schrauben, Nieten und andere Befestigungshilfsmittel guten Gewissens verzichten kann.

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Die Mitarbeiterin nimmt ein Formteil aus Kunststoffschaum aus dem Lagerregal und beginnt, Elektronik-Platinen, Lüfter, Filter, Antriebe, Kabel und Schläuche in passende Aussparungen und Nuten im Kunststoffmaterial zu stecken bzw. zu klemmen. Nun schnappt sie auf das Ganze ein zweites Formteil, in dessen Ausnehmungen weitere Bauteile in Minutenschnelle ihren vorbestimmten Platz einnehmen. Was wie ein Puzzlespiel aussieht, ist in Wirklichkeit der Blick in die Gerätemontage einer Medizintechnikfirma.

Das Gerät ist nach der Novaplex-Methode konstruiert. Die Idee dahinter: Ein selbsttragendes Innenchassis mit Formteilen aus expandiertem Polypropylen (EPP) gibt allen Komponenten sicheren Halt. In speziell dafür vorgesehenen Ausnehmungen können in dem elastischen Material Bauteile, Kabel, Schläuche und Rohre verlegt und ohne weitere Hilfsmittel befestigt werden. Bleche, Schrauben, Nieten und andere Befestigungshilfsmittel sucht man in so gestalteten Geräten vergebens. Novaplex basiert auf dem Gehäusekonzept E-PAC, „Electronic Packaging Assembly Concept“, und Ruch Novaplast brachte dieses Konstruktionsprinzip zusammen mit Hewlett- Packard zur Serienreife.

Montage-Vereinfachungen führen zu Einsparungen

Der Hersteller verspricht eine drastische Reduktion der Gesamtkomplexität. Die Hamburger „Gottlieb Weinmann Gesellschaft für Medizin und Arbeitsschutz“ entschied sich schon vor Jahren bei der Neu- Entwicklung ihres Sauerstoff-Konzentrators Oxymat 3 für eine Gerätekonzeption auf der Basis von Novaplex.

Die Kosteneinsparung durch die Reduzierung der Teileanzahl beim Oxymat ist signifikant. Anstatt zuvor 293 müssen jetzt nur noch 125 Teile bevorratet werden. Das entspricht einer Reduktion um knapp 60 Prozent. Davon profitieren die Materialwirtschaft, die Produktionslogistik und der Service.

Der Oxymat 3 wird überdies in der halben Zeit montiert wie sein Vorgänger. Die Formteile mit ihren Kavitäten sind selbsterklärend und fungieren wie eine Montageanleitung. Was nicht in die Ausnehmung passt, ist am falschen Platz; bleibt eine Kavität leer, fehlt ein Teil. Die Montage von Teilbaugruppen des Oxymat 3 wird deshalb sogar von Behindertenwerkstätten übernommen.

Stoßsicherheit und Kühlung als Pluspunkte

Chassis eines Defibrillators
Bild 1. Das Chassis dieses Defibrillators besteht aus drei Novaplex-Teilen, die sich nahtlos in die Außenhaut einfügen. Das Gerät wird zum Beispiel im mobilen Rettungswesen eingesetzt.
© Ruch Novaplast

Weil das Schaummaterial den Raum zwischen den Komponenten ausfüllt, dient es als integrierter Schockabsorber. Diese Eigenschaft war bedeutsam für die Rottweiler Metrax GmbH. Das Unternehmen stellt unter anderem Defibrillatoren her, die tagtäglich im harten Rettungseinsatz ihre Zuverlässigkeit beweisen müssen. Alle Geräte werden vor dem Start der Serienfertigung beim TÜV „durch die Hölle“ gejagt. Gerhard Plechinger, Konstrukteur bei Metrax und „Vater“ des Primedic Defi- Monitor M 290, sah der „Umweltsimulation“ beim TÜV Mannheim gelassen entgegen. Bei der konstruktiven Ausgestaltung des lebensrettenden Gerätes hatte er, wie schon beim Vorgängermodell, auf die Novaplex-Methode (Bild 1) gesetzt.

Bei Metrax nennt man die EPP-Formteile „Inletts“. Drei davon sorgen für das komplette innere Gerüst des Defibrillators. Sie bilden mit den beiden Gehäuseschalen aus schlagfestem ABS eine kompakte Struktur, die alle Bauteile auf ebenso einfache wie zuverlässige Weise unverrückbar in ihrer Lage festhält. Mit diesen Innereien ausgestattet, überstehen die Lebensretter die „Umweltsimulation“ des TÜV selbst nach der harten „Krankenwagen-Norm“.

Gerhard Plechinger schätzt außerdem die Möglichkeit, Luftkanäle in das Schaummaterial zu integrieren. So können empfindliche Bauteile direkt mit Kühlluft angeblasen werden, ohne dafür gesondert Kühlkanäle oder Luftleitbleche einbauen zu müssen. Auch die elektrischen Isolationseigenschaften von EPP sind hervorragend. Dies war für Metrax ebenfalls wichtig, da im Defibrillator ein leistungsstarker Kondensator Spannungen von 750 V mit Strömen bis zu 15 A erzeugt.

Geringes Gewicht, einfaches Design

EPP-Teile können in Dichten von 20 bis 300 kg/m3 produziert werden. Die „Chassis“ aus dem Material sind damit wesentlich leichter als Konstruktionen aus Blech. Die Medela AG aus der Schweiz suchte nach einer Leichtbaulösung für ihr neues Thorax-Drainagegerät „Thopaz“. Klein, leicht und vom Patienten tragbar sollte es sein und Frischoperierten die frühzeitige Mobilisierung ermöglichen. Das neue Gerät wiegt nur ein Kilogramm, so kann der Patienten schon am Tag nach der Operation damit frei herumgehen.

Möglich wurde das durch zwei Formteile mit einem Eigengewicht von lediglich 22 Gramm. Sind die „Innereien“ erst einmal mit den EPP-Teilen zu einem kompakten Block zusammengesteckt, werden nur noch die beiden Gehäuseschalen aus Polycarbonat darübergestülpt. Die vier Schrauben, die das Gehäuse zusammenhalten, sind die einzigen Schrauben an diesem „Chassis“. Die Gehäuseschalen können auf der Innenseite völlig glatt sein. Die Komplexität wird nach innen in das Schaumchassis verlagert. Die Novaplex- Methode gibt den Produkt-Designern mehr Freiheit bei der Formgebung.


  1. Schraubst Du noch oder steckst Du schon?
  2. In Schaum gebettet

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