Kommen wir nochmal zurück auf Ihre USA-Expansion: Nachdem die USA die Heimat Ihrer beiden großen Mitbewerber ist, dürfte das kein einfaches Unterfangen werden. Wie kann dennoch Rutronik USA zu einer Erfolgsgeschichte werden?
Thomas Rudel: Mit demselben Geschäftsmodell, das uns bis jetzt erfolgreich gemacht hat: echtes Broadlinertum, bei dem der Kunde tatsächlich alles aus einer Hand bekommt, und das weltweit durchgängig. Das finden Kunden bei keinem anderen Distributor – auch nicht in den USA. Außerdem leisten wir umfangreichen Support, sowohl technisch als auch kommerziell und logistisch. Unsere Logistikservices zählen zu den führenden der Branche. Selbstverständlich brauchen wir hierfür auch die Unterstützung der Hersteller. Im Passivbereich haben wir praktisch alle unsere Hersteller an Bord, im Aktivbereich sind schon einige große Namen mit dabei. Sukzessive werden wir unsere Linecard für die USA erweitern, bis sie global dasselbe Niveau hat wie in Europa. Unsere Systemkunden erhalten allerdings schon jetzt alle Komponenten, die sie auch in Europa bekommen.
Wie viele Niederlassungen/Standorte sind in den USA geplant, und wie genau soll die Organisationsstruktur dort aufgebaut sein?
Thomas Rudel: Die Tochtergesellschaft Rutronik Inc. hat dieselbe Organisationsstruktur wie die Muttergesellschaft. Sie agiert flexibel und unabhängig unter der Leitung von Vice President Jeff Shafer, der an den internationalen Vertriebsleiter Paul Scholten berichtet. Das Headquarter ist in Cleveland, hier haben wir momentan vor allem stark technisch ausgerichtete Vertriebsmitarbeiter und Field Sales Engineers, die nach und nach durch Field Application Engineers und Produktmarketing verstärkt werden. In den kommenden Monaten folgen Niederlassungen in Charlotte, Boston, San José und Dallas, außerdem haben wir ja schon seit sechs Jahren ein Büro in Querétaro, Mexiko, das wir jetzt personell aufgestockt haben.
Wird es ein eigenes Lager in den USA geben?
Joachim Kaiser: Ja, wir werden in Kürze ein Lager haben, vermutlich nahe der mexikanischen Grenze. Derzeit ermitteln wir mit unseren Kunden und Dienstleistern den optimalen Standort. Je nach individuellem Bedarf beliefern wir die Kunden dann entweder von hier aus oder aus Europa oder Asien, um kürzeste Lieferzeiten zu erzielen. Dabei kommt uns wieder unsere einheitliche und durchgängige Struktur zugute. Dieses Lager wird ebenfalls an die zentrale EDV bzw. Datenbank angebunden. Die Kunden profitieren durch den einheitlichen Kundenstamm - wie schon beschrieben –, von grenzüberschreitend identischen Abläufen mit denselben Procurement- und Belieferungsprozessen über gleiche IT-Systeme und Schnittstellen, identischen Labels, Barcodes und Verpackungseinheiten. So bekommen sie überall alles genau so, wie sie es sich wünschen und gewohnt sind. Damit haben unsere Kunden extrem effiziente globale Beschaffungsprozesse.
Rutronik ist im Großen und Ganzen organisch gewachsen und nicht durch Zukäufe. Andere hingegen haben sich Marktanteile in den Regionen hinzugekauft, in die sie expandieren wollten. Warum gehen Sie bewusst einen anderen – vielleicht auch aufwändigeren – Weg?
Thomas Rudel: Weil wir von den Vorteilen überzeugt sind, die wir unseren Kunden damit bieten können. Es ist doch so: Wenn Sie ein anderes Unternehmen zukaufen, müssen sie unterschiedliche Welten zusammenbringen. Das bindet viele Ressourcen und gelingt mal besser und mal schlechter - aber oft bleiben die Schnittstellen lange bestehen, so dass kein wirklich durchgängiges Angebot aus einer Hand möglich ist.
Inwieweit können Sie die Kunden mit Ihren Produkten wirklich weltweit bedienen?
Markus Krieg: Unsere globalen Kunden können wir mit nahezu 100 Prozent der Produkte weltweit bedienen. Und die machen den weitaus größten Anteil unserer Kunden aus. Unsere lokalen Kunden in den USA und in Asien beliefern wir je nach Franchisesituation.
In welchen (Komponenten-)Bereichen macht „weltweit“ strategisch überhaupt Sinn? Ich spiele hier vor allem auf Embedded an. Embedded ist zwar teilweise ein globaler Markt, aber nur wenn es um die ganz großen Stückzahlen geht. Ansonsten ist Embedded doch eher regional geprägt – oder?
Markus Krieg: Globale Elektronikdistribution ist grundsätzlich bei allen Produkten sinnvoll und notwendig. Denn es geht dabei ja um viel mehr als nur um die Komponenten. Mindestens genauso entscheidend sind Aspekte wie Qualität, Logistik und technisches Know-how.
ValueAdd heißt ja das schöne Zauberwort für die Distributoren. Ein großer globaler Mitbewerber hat das wörtlich genommen und sich ein buntes Dienstleistungsspektrum zusammengekauft, das eigentlich mit der Distribution im Kern nicht mehr viel zu tun hat. Inwieweit denkt Rutronik darüber nach, das Leistungsspektrum zu erweitern?
Thomas Rudel: Das ist für manche Distributoren sicher ein sinnvoller Weg. Unser Geschäftsmodell ist ein anderes: Wie gesagt sind Zukäufe für uns keine Option. Außerdem konzentrieren wir uns lieber auf unser Kerngeschäft, so dass wir unseren Kunden hier die besten marktgerechten und innovativen Produkte bieten können, erstklassige Unterstützung und Top Services.
Die Softwareunterstützung – ich meine nicht das Schreiben von Applikationssoftware – und in dem Zusammenhang Entwicklung spielen eine immer größere Rolle. Immer mehr Distributoren springen auf diesen Zug auf. Warum Rutronik – bisher – nicht?
Markus Krieg: Software als Teil der Entwicklung betrachten wir als Expertise unserer Kunden. Weil wir uns auf unsere Kernkompetenzen fokussieren, spielt dieser Bereich für uns keine Rolle.
Geben Sie uns zum Schluss bitte noch einen Ausblick auf die kommenden fünf bis zehn Jahre?
Thomas Rudel: Unsere Ziele sind klar: Wir wollen schneller wachsen als der Wettbewerb, unseren Umsatz in den nächsten sieben bis acht Jahren verdoppeln, ohne hierfür unsere Eigenkapitalquote anzugreifen, und weltweit flächendeckend präsent sein. Dazu tragen alle Maßnahmen bei, über die wir schon gesprochen haben: Wir verstärken unseren Fokus auf Design-in-Support, und wir verfolgen unsere Strategie mit Rutronik24 und unserer Internetplattform rutronik24.com weiter. Ganz entscheidend ist die erfolgreiche Konsolidierung der Expansionen in Amerika und Asien, um unser Geschäft hier weiter voranzutreiben und vernünftige Marktanteile zu gewinnen – genauso wie wir es in Deutschland und Europa auch getan haben. Das sind genug Wachstumschancen für die kommenden Jahre.
Die Fragen stellte Karin Zühlke