Wie groß ist denn der Hebel gegenüber dem Hersteller, für einen Avnet, Arrow oder Rutronik? Die Unternehmen haben ja eine bestimmte Größe. Es hilft ja nichts, wenn dieses Umsatzvolumen an einen kleinen Distributor gegeben wird, der gar nicht über die erforderlichen Strukturen verfügt.
Steinberger: Ich habe in den letzten 15 Jahren nicht gesehen, dass wir oder Arrow irgendeinen Hebel hätten. Im Gegenteil. Wir haben auch keine Einigkeit in der Branche, wie man mit dem Thema »Value Proposition« umgeht. Es gibt herstellerseitig immer die Kritik, ihr seid zu vergleichbar, da müsst ihr halt über den Preis konkurrieren. Diese Kritik ist aus meiner Sicht völlig unberechtigt, denn was wir heute leisten, ist im Vergleich zu früher exorbitant. Aber es steckt natürlich ein Körnchen Wahrheit darin. Es gibt manchmal kommerzielle Entscheidungen, die man als Unternehmer eigentlich nicht treffen dürfte. Die Herausforderung ist, aus einem relativ schlechten Geschäft noch etwas herauszuholen. Bis zu einem gewissen Punkt geht das auch, denn ich muss dann immer ein gutes Geschäft haben, mit dem ich ein schlechteres kompensieren kann. Wenn ich diese Mischkalkulation nicht mehr habe, dann verändert sich mein Geschäftsmodell. Aus meiner Sicht werden sich manche Hersteller anschauen, wenn sie meinen, »Demand Creation« betreiben wir selber. Der Kunde will sich ja nicht von einem Hersteller abhängig machen, sondern braucht die Auswahl. Vielen Kunden ist schon klar, was »Total Cost of Ownership« bedeutet. Sie tun sich nur schwer, die Einspargewinne mit dem Dienstleister zu teilen. Sie sagen: »Klar nehmen wir, aber über den Stückpreis müssen wir trotzdem reden«. Das ist der Lopez-Effekt. An der Stelle muss man feststellen, dass unsere Value Proposition vom Hersteller und vom Kunden in Frage gestellt wird. Wie müssen wir als Unternehmen darauf reagieren? Sagen, den Auftrag nehmen wir nicht. Das ist die einzige Möglichkeit, die uns bleibt. Wir müssen stärker daran arbeiten, unseren Profit selbst zu bestimmen.
Rudel: Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Programmen, um unseren Kunden unsere Kostenstrukturen darzulegen und offen mit ihnen zu diskutieren. Dazu gehört auch aufzuzeigen, dass gewisse Aufträge für uns als Distributor nicht attraktiv sind. Zusätzlich zum Produkt erbringt Rutronik Value Added Services, die mit Kosten verbunden sind und die auch finanziert werden müssen. Die Situation hat sich zugespitzt: Die Distributoren haben sich in den letzten Jahren preislich soweit drücken lassen, dass sie nun gezwungen sind, diese Dienstleistungen weiterberechnen zu müssen. Rutronik verkauft 80 Mrd. Bauteile im Jahr, davon machen etwa zwei Drittel nur rund 20 Prozent des Umsatzes aus. Wenn wir uns auf das andere Drittel konzentrieren würden, dann ergäbe sich ein deutlich höherer durchschnittlicher Verkaufspreis (ASP). Bei Avnet liegt der ASP vielleicht bei 10 Cent, bei Rutronik liegt er bei 0,002 Cent. Denn: Eine Million Widerstände, das sind 200 Verpackungseinheiten, kosten circa 500 Euro. Die müssen etikettiert werden, sind vielleicht noch in 100 verschiedenen Lagerfächern untergebracht, weil sie nach »First in, first out« gehandhabt werden, müssen passend verpackt und verschickt werden. Da braucht man nicht Mathematik studiert zu haben, um zu erkennen, dass damit kein Geld zu verdienen ist. Selbst wenn wir die Preise verdoppeln würden, wäre das kein lukratives Geschäft. Gleichzeitig werden viel mehr Value Added Services vom Distributor erwartet als früher, wie zum Beispiel Vereinzelung, unterschiedliche Packungsoptionen, Etikettierungen, Positionsetiketten, Master-Label, Einzellieferschein usw. Das ist bei den gegenwärtigen Margen absolut unwirtschaftlich. Rutronik verbraucht pro Jahr rund 17 Millionen Etiketten, das sind Kosten von gut einer halben Million Euro, wohlgemerkt ohne Handling Fee. Früher war das nicht notwendig. Deshalb müssen wir mit dem Kunden reden, ob er z.B. eine bestimmte Etikettierung überhaupt braucht oder ob er mit den Herstelleretiketten auskommt.
Wie lässt sich denn die Zusammenarbeit mit dem Kunden vereinfachen?
Rudel: Nehmen wir noch mal das Beispiel Widerstände: Da gibt es Kunden, die haben mehrere Einkäufer für Widerstände. Das kann ich nicht nachvollziehen. Der Widerstand und der Keramik-Chipkondensator auf einer Leiterplatte machen vom Wert der gesamten Applikation vielleicht 0,02 % aus. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, scheint mir eine Konzentration auf die A-Bauteile viel sinnvoller. Ein Bestücker verliert einen Auftrag nicht, weil er seine Widerstände zu teuer einkauft, sondern wenn die A-Bauteile zu teuer sind. Die Distributoren haben noch ein ganz anderes Problem: Die ganz großen globalen EMS-Unternehmen kaufen unheimlich große Mengen zu Preisen ein, die der Mittelständler gar nicht kriegt. Die Überbestände kommen dann zu Preisen auf den Markt, die deutlich günstiger sind als die der Distributoren. Und dann die Halbleiterindustrie, wie sieht die heute nach der gewaltigen Konsolidierung aus? Es gibt heute noch 20 bis 25 attraktive Halbleiterhersteller, davon sind 80 Prozent in amerikanischer Hand. Die meisten Halbleiterchips sind heute Single-Source-Produkte, mit Ausnahme der Commodities. Ich kann nicht einfach einen ADI-Baustein gegen einen von TI austauschen. 80 Prozent des Halbleiterumsatzes ist nicht austauschbar und deshalb ist es unverständlich, warum die Hersteller einem Großbestücker einen anderen Preis einräumen als einem kleinen. Das wäre gar nicht nötig, denn man könnte ja ein vernünftiges Preisniveau halten.
Das ausführliche Interview, das in der Printausgabe sechs Druckseiten umfasst, können Sie in der Elektronik-Ausgabe Distribution 2017 nachlesen, die am 20. Juni 2017 erschienen ist.
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