Von welchem Zeitraum sprechen wir da?
Steinberger: Von 15 Jahren.
Rudel: Dann haben wir eine Riesen-Konsolidierung der Hersteller. Und die Annahme im Markt ist, dass die Preise automatisch jedes Jahr weiter reduziert werden sollten. Bei unseren Kunden jedoch zeigen die Bilanzen häufig eine überaus positive Geschäftsentwicklung, zum Teil sogar zweistellige Renditen. Wobei der Trend in der Distribution gegenläufig ist. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Eine gute Basis für Geschäfte ist die Maxime »Geben und Nehmen«. Nehmen wir zum Beispiel die Automobilindustrie. Jährliche Preisreduktionen von bis zu sechs Prozent sind inzwischen fast schon Standard. Irgendwann ist dann der Boden erreicht und es geht halt nicht mehr. Wir können nicht günstiger verkaufen, als wir eingekauft haben. Dazu kommt noch der Wunsch nach zum Teil umfangreichen Zusatzleistungen, Value Added Services, die viele Distributoren inzwischen anbieten, ja anbieten müssen. Wir haben also nicht nur einen Preisverfall, sondern auch noch enorme Zusatzkosten.
Wie geht man mit dieser Schere um? Das Leistungsniveau erhöht sich ständig und das Margenniveau sinkt kontinuierlich.
Steinberger: Vor 25 Jahren haben wir die doppelte Marge gehabt. Im Vergleich zu damals hat sich die Marge halbiert und die Leistungen vervierfacht. Das mag ein bisschen übertrieben sein, aber in die Richtung geht es tatsächlich.
Wenn man das jetzt extrapoliert, wann ist dann ultimo?
Rudel: Der ist jetzt erreicht. Bei den meisten Distributoren ist die Situation ausgereizt. Viele können keine weiteren Preisreduktionen und Margennachlässe verkraften.
Steinberger: Ganz so schlimm ist es nicht. Im letzten Geschäftsjahr hatten wir 26,2 Mrd. Dollar Umsatz, eine durchschnittliche Marge über beide Geschäftsbereiche Computer und Komponenten von 11,5 % und einen operativen Gewinn von 3,4 % – also knapp 800 Mio. Dollar.
Rudel: Das werdet ihr aber dieses Jahr nicht schaffen, oder?
Steinberger: Dazu darf ich leider nichts sagen. Wobei sich die Gesamtsituation gerade ändert, da wir den Computerbereich verkauft und Premier Farnell dazugekauft haben. Das hat schon rein rechnerisch positive Auswirkungen.
Wo genau liegen die Probleme?
Steinberger: Vom Handel wird einfach erwartet, dass er kosteneffizient arbeitet. Und dummerweise ist das eigentlich das Problem jetzt. Unser Profit wird eigentlich nicht von uns bestimmt, sondern von den Kunden und den Herstellern. Da gibt es so Distributions-Policies mit Margenkontrolle, Design Protection, Ship-and-Debit, und auf der anderen Seite gibt es Kunden, große Kunden, die wollen »Open Book Calculation«. Was soll man da jetzt machen? Da bestimmst du eigentlich nicht selber deinen eigenen Profit. Du kannst dir da überlegen, mach ich das Geschäft oder mach ich es nicht. Aber du kannst bei dem Geschäft nicht sagen, da würde ich jetzt ein Prozent mehr machen. Das geht (fast) nicht.
Rudel: Es wird vielfach angenommen, man könnte mit einer Marge von sechs Prozent leben. Dabei hat man bereits Cost of Ownership, die im zweistelligen Prozentbereich liegt. Nicht jedes Geschäft ist ein gutes, sprich profitables Geschäft, wovon manche Hersteller ausgehen. Ein Fulfillment-Projekt mit einem Logistik-Adder erhöht zwar den Umsatz, kann sich aber schnell zu einem Verlustgeschäft entwickeln. Vieles ist auf Kante genäht. Das hat aber auch mit einer gängigen Praxis zu tun: Netzwerk-Share, also Umsatz und Volumen, und beides mit Steigerungsraten gelten als die wichtige Messlatte. Als Distributor möchte ich mit zufriedenen Herstellern zusammenarbeiten. Das bedeutet manchmal, Geschäfte zu übernehmen, die von einer harten Business-Perspektive uninteressant sind, zusätzliche Kosten bedeuten, das Umlaufvermögen aufblähen, am Working Capital zehren, aber wenig bis keinen Gewinn erzielen. Der Spagat ist enorm schwierig, manchmal nahezu unmöglich. Hinzu kommt, dass Kunden und Hersteller dann davon ausgehen, dass dieses Geschäft interessant ist und so fortgeführt werden kann.
Steinberger: Für ein börsennotiertes Unternehmen ist das ein bisschen anders als für ein Privatunternehmen. Aber grundsätzlich ist es so: der Investor erwartet von uns einen gewissen Return on Investment. Und das ist relativ simpel. Der hat Aktien und der will sehen, dass der Aktienkurs steigt. Das ist in der Regel sein Return on Investment. Dividenden werden ja selten gezahlt. Wenn ich jetzt vier oder fünf Dollar pro Aktie verdiene, dann wirkt das doppelt, weil meine Aktie dadurch attraktiver wird und das Kurs-Gewinn-Verhältnis, also dieser PE-Faktor steigt. Und darauf sind natürlich unsere Strukturen ausgerichtet. Aber das heißt im Umkehrschluss auch, wenn ich eine gewisse Summe pro Aktie verdienen muss, dann landet man bei 800 oder 900 Mio. Dollar an Gewinn, die ich machen muss. Das heißt, dass ich ein Limit habe, unter das ich gar nicht gehen kann. Also wenn ich permanent Aufträge annehmen würde, für drei oder vier Prozent, dann könnte ich mein Operating Income, das ich brauche, gar nicht erreichen. Denn ich muss das ja mit anderen Geschäften kompensieren. Das ist immer eine Abwägung. Ich habe ein Design-Geschäft, in dem ich bessere Margen habe, und ich habe ein Fullfillment-Geschäft, in dem ich schlechtere Margen habe, allerdings auch niedrigere Kosten. Aber in der Summe komme ich über die Schwelle, die meinen Aktienkurs treibt. Wenn ich das nicht mehr schaffe, dann habe ich ein Problem. Und wenn es die Hersteller, wie sie es in der letzten Zeit gemacht haben oder wahrscheinlich in der Zukunft verstärkt versuchen, die ganzen Boni streichen oder die Bedingungen ändern, dann wird das für die Distributoren kritisch. Ob das jetzt ein Privatunternehmer oder ein börsennotiertes Unternehmen ist. Wir können uns dann gewisse Dinge einfach nicht mehr leisten