Ulf Timmermann, CEO von reichelt

»Raspberry Pi wird seinen Platz im Markt behalten«

15. Juli 2024, 15:30 Uhr | Karin Zühlke
Ulf Timmermann, reichelt elektronik: »Das Ausland läuft sehr gut, aber Deutschland, unser Heimatmarkt und eigentlich stärkster Markt, bereitet uns Sorgen.«
© reichelt Elektronik

Mit seinem bunten Produkt-Mix ist reichelt elektronik ein Exot im Distributionsmarkt: Neben dem Flaggschiff »Raspberry Pi« zählen auch Farm-Bots und demnächst eine Bierbrau-Anlage zum Portfolio. Ein Gespräch mit CEO Ulf Timmermann.

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Warum ist die Mischung so erfolgreich und wie es mit dem Raspberry Pi weiter? Dazu Ulf Timmermann im Markt&Technik-Interview.

Markt&Technik: reichelt ist einer der wenigen »Approved Reseller« der Raspberry Pi Foundation. Wie gut ist der Raspberry 4, lange Zeit Mangelware, inzwischen verfügbar?

Ulf Timmermann: Mit der Neuerscheinung des Raspberry Pi 5 wurden inzwischen sämtliche Rückstände des Raspberry 4 ausgeliefert. Die Herausforderung ist nun, dass nach der langen Verknappung sehr viel Ware am Markt ist. Wir werden sehen, wie sich das auswirkt.

Die Durststrecke dauerte fast zwei Jahre. Hat die Zusammenarbeit mit der Raspberry Pi Foundation gelitten?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben nach wie vor eine ausgesprochen gute Beziehung zur Foundation.

Und die Begeisterung auf Kundenseite?

Es arbeiten immer noch viele Maker und Industriekunden mit dem Raspberry, aber ich habe das Gefühl, dass das Leiden der letzten Jahre etwas am Image des Raspberry Pi gekratzt hat. Dennoch gehe ich davon aus, dass Raspberry Pi seinen Platz im Markt behalten wird. Vor allem die neuen Cam-Module und das Compute-Module haben viel Potenzial in der Industrie.

Haben sich Industrie-Kunden vom Raspberry Pi abgewendet?

Die Situation muss sich erst mal setzen über die nächsten Monate. Es musste schon der eine oder andere Kunde überzeugt werden, beim Raspberry Pi zu bleiben. Wir haben tatsächlich auch Kunden, die alternative Wege eingeschlagen haben und auf andere Bausteine setzen. Denn wenn man zwei Jahre nicht weiß, ob die Ware geliefert wird, dann muss man sich als Industrie-Kunde natürlich schon Gedanken machen. Das ist nachvollziehbar. Es muss sich also jetzt finden, wer dabei geblieben ist – oder auch, wer neu aufspringt.

Wie verteilen sich die Raspi-Kunden bei reichelt bzw. gibt es unterschiedliche Preismodelle für die Zielgruppen?

Das trennt sich sehr deutlich allein schon über die Produkte. Die Compute-Module werden definitiv nur von Profis gekauft. Aber eine Unterscheidung zwischen Industrie und Maker – etwa vom Preis her – haben wir da nicht.

Neben dem 3er setzt die Industrie vor allem auf den Raspberry Pi 4. Hat der Raspberry Pi 5 Potenzial in der Industrie?

Der 5er ist ein starkes Bauteil, aber momentan eher bei den Makern am Start. Da muss auf Industrie-Seite erst mal das Vertrauen gefasst werden, sie müssen das Produkt genau unter die Lupe nehmen. Bis die ersten professionellen Designs entstehen, wird das noch etwas dauern.

Wo kommt der Raspberry Pi derzeit bei reichelt selbst zum Einsatz?

In der Logistik machen wir quasi an jeder Ecke und Kante etwas mit dem Raspberry Pi. Das derzeit größte Projekt sind die neuen Einlagerstationen in unserer Logistik. Wir arbeiten mit berührungslosen Elementen, die über zwölf Raspberries gesteuert werden statt wie früher über 120 Industrie-Module. Hinzugekommen ist die Überwachung von Logistikstrecken intern. Das ist ein super Einsatzgebiet für den Raspberry Pi.

Welche Version setzt reichelt dabei ein?

Wir setzen auf den 3er, weil das der am stabilsten laufende ist. Und wenn man bestimmte Features wie super Geschwindigkeit oder super HDMI nicht braucht, dann besticht der 3er durch seine Stabilität.

Wie verteilen sich die Kundengruppen bei reichelt: Industrie, Handwerk, Maker/Privatpersonen?

Wir unterscheiden zwischen B2B und B2C – wir haben 70 Prozent B2B und 30 Prozent Consumer. Aber auch unser Consumer ist ein Prosumer. Unsere Privatkunden sind Profi-Nutzer und wissen ganz genau, was sie haben wollen. Unsere Top-10-Kunden machen ein Minimum unseres Umsatzes aus.

Die Distribution beklagt einen schlechten Auftragseingang. Wie läuft das Geschäft bei reichelt?

Wir sind im letzten Jahr bei einem Plus herausgekommen. Auch im Moment sind wir im positiven Bereich. Wir sind fast erstaunt und natürlich sehr zufrieden, dass es so gut läuft.

Wir haben 150.000 Artikel, und wir passen unser Portfolio sehr genau den Marktbedürfnissen an. Das lässt uns sicher nach wie vor erfolgreich sein.

Aber die Wirtschaftsprognosen im Allgemeinen sind bekanntlich eine Katastrophe. Und den Turnaround bzw. Aufschwung sehe ich leider erst in Q4.

Wo bzw. woran hakt es aus Ihrer Sicht?

Das Ausland läuft sehr gut, aber Deutschland, unser Heimatmarkt und eigentlich stärkster Markt, bereitet uns Sorgen. Die Freude auf politische Neuwahlen könnte in Q4 aber schon etwas beflügeln.

Was politisch hier in Deutschland passiert, geht gar nicht. Das Einzige, was wir derzeit vorgesetzt bekommen, sind irgendwelche neue Regularien. Wo soll denn da das Vertrauen herkommen? Wir sind in einem Dilemma und hängen in einer Schleife fest, wo Investments nur getätigt werden, wenn sie unbedingt erforderlich sind. Vieles ist so weit weg von der Realität. Wenn das Dilemma unserer Regierung vorbei ist, wird sich wahrscheinlich alles wieder in ein normales Fahrwasser bewegen.

Wie man hört, gibt es Neuigkeiten aus der Logistik bei reichelt?

Wir sind bei der Fertigstellung unseres neuen Versandzentrums: und zwar 10.000 Quadratmeter über zwei Ebenen. Das wird ein reines Versandzentrum mit Sorter, automatischer Zuweisung auf Pakete. Die Hardware steht und wir sind derzeit dabei, die Software und Steuerungen aufzusetzen – übrigens wieder mit jeder Menge Raspberry Pis und Arduinos. Damit sind wir in der Fertigstellung und ich hoffe, dass wir nach dem Sommer damit live gehen können.

Heute können wir eine Spitzenleistung von 10.000 Paketen am Tag. Das neue Versandzentrum soll 25.000 Pakete können.

Auch das Verwaltungsgebäude haben wir erweitert. Hier sind die Umzüge im Wesentlichen schon vonstatten gegangen.

Auch den Footprint hat reichelt erweitert. Welche neuen Länder kamen hinzu?

Wir haben in diesem Jahr die Märkte Irland und Spanien aktiviert. Unsere Webseite steht seit 1. April komplett in Spanisch zur Verfügung. Geliefert wird direkt hier aus Sande.

Wo liegen aktuell neue Schwerpunkte im Portfolio?

Wir sind mit unseren 150.000 Produkten sehr dynamisch am Puls des Marktes unterwegs.

KI und Robotik sind stark im Kommen. Wir verkaufen Cobots und Roboter inzwischen direkt von der Stange hier ab Lager. Einsatzbereiche sind z. B. Polizei und Feuerwehr für bestimmte Einsätze, damit sich Menschen, etwa aus Sicherheitsgründen, nicht in die Gefahrenzone begeben müssen.

Auch KI-Chips und Anwendungen sind stark im Kommen, also Produkte, die die Eigenschaft haben, dass sie KI-unterstützt sind. Bei uns haben demnach auch KI-Boards Einzug ins Portfolio gehalten, z. B. von Nvidia.

Wir haben uns in der Vergangenheit auch im PV-Bereich stark engagiert. Aber die Unsicherheit, wo die Reise hingehen soll, verhindert hier leider Investitionen. Die Händler haben die Läger derzeit voll mit Solar-Panels.

Minibrew
Bierbrau-Anlage von reichelt elektronik
© reichelt Elektronik

Wie schafft reichelt es, nahe am Puls des Marktes zu sein?

Wir sind vielleicht anders aufgestellt als andere Distributoren. Wir haben Produktmanager, die die volle Verantwortlichkeit haben und sozusagen von der Wiege bis zur Bahre für ihre Artikel verantwortlich sind. Es gibt nur die Vorgabe, dass es ins Sortiment passen. Ansonsten ist der Produktmanager sehr frei in seiner Entscheidung. Und wenn es – vermeintlich – mal nicht passt, dann sprechen wir darüber. Wir probieren neben dem klassischen Elektronik-Portfolio auch Dinge aus: Es gibt demnächst auch Bierbrau-Anlagen bei uns. Aber die haben ja auch einen Bezug zur Technik. Wir sind viel auf Messen unterwegs, auch in Asien. Dadurch bekommen wir einen guten Überblick.

Auch mit Farmbots sind wir erfolgreich: Das sind Hochbeete, die völlig automatisch gepflegt werden. So ein Zukunftsgarten kostet ca. 1600 Euro; einige FHs und Unis kaufen so etwas bei uns, aber es kommen auch immer mehr Leute aus dem Privatbereich dazu, die sich dafür interessieren. Die Leute sind bereit, für ihre Hobbies Geld auszugeben, und da sind wir gern behilflich.

Farmbot
Der Farm-Bot von reichelt elektronik
© reichelt Elektronik

Und wenn es mal nicht passt: Wie hoch ist denn in etwa die Retourenquote bei reichelt und was passiert eigentlich mit den Retouren?

Wir haben eine Retourenquote von nur 4 Prozent. Wir haben daher keinen Dienstleister für Retouren – im Falle des Falles haben wir eine Art Werksverkauf, wo wir Retouren-Ware anbieten, die nicht mehr neu verkaufbar ist.

Wie sehen Sie die Zukunft des Online-Handels?

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich der Einzelhandel überlebt hat. Der klassische Einzelhandel für Klamotten, Spielzeug. Es werden viele Initiativen gestartet, »Rettet die Innenstädte« – aber wenn man sich nicht spezialisiert hat, wird es schwierig.

Daher, um auf die Frage zurückzukommen: Der Online-Handel wird weiter profitieren. Was uns anbelangt: Wir haben eine sehr hohe Zahl von aktiven Kunden. Das ist unser Vorteil, wie wir vorher schon besprochen haben. Unsere Top-10-Kunden machen ein Minimum unseres Umsatzes aus. Dadurch, dass man bei uns in der Breite kaufen kann, sind wir sehr stabil aufgestellt.


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