»Die Unabhängigkeit als Familienunternehmen ist ein entscheidender Vorteil«, ist Ralf Bühler, CEO von Conrad, überzeugt, »weil wir selbst entscheiden, worin wir investieren«. Mittlerweile hat Conrad rund 80 Prozent B2B-Geschäft, Tendenz weiter steigend.
Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt eine kluge Digitalisierungsstrategie.
Markt&Technik: Conrad ist nach wie vor ein Familienunternehmen. Welche Rolle spielt das fürs Unternehmen und welchen Unterschied macht es für die Kunden?
Ralf Bühler: Für uns als Unternehmen spielt es natürlich eine große Rolle. Als Familienunternehmen, das nach wie vor bankenunabhängig ist, können wir selbst entscheiden, in was wir investieren, mit welchen Kunden wir arbeiten, warum wir bestimmte Dienstleistungen anbieten oder auch nicht anbieten. Wir sind selbstbestimmt und denken langfristig. Beides sind wichtige Kriterien, die ein Familienunternehmen ausmachen. Natürlich überlegen auch wir sehr genau, in welche Ideen wir investieren: Wir haben in den letzten Jahren beispielsweise Millionenbeträge in die Weiterentwicklung unserer Digitalisierung und Procurement-Systeme gesteckt.
Die Familie Conrad steht als Eigentümer also auch in einer herausfordernden Zeit hinter der Unabhängigkeit des Unternehmens?
Die Familie Conrad ist alleiniger Gesellschafter der Firma und wir sind überzeugt, dass wir diese Unabhängigkeit auch in den kommenden Jahren bewahren können, wenn wir klug investieren, unseren Kunden aufmerksam zuhören und intelligente Lösungen entwickeln. Das ist definitiv einer unserer Vorteile.
Natürlich bringt diese Unabhängigkeit auch Herausforderungen mit sich. Wir arbeiten, wie eingangs schon gesagt, ausschließlich mit unserem eigenen Kapital. Das bedeutet, wir müssen profitabel wirtschaften und können uns keine hohen Verluste leisten. Wir können nicht blind investieren, sondern müssen unsere Investitionen sorgfältig planen. Doch genau das macht uns auch bodenständig und kundenorientiert. Für uns ist es entscheidend, dass wir eine »Win-Win«-Situation schaffen: Wir verdienen Geld, um nachhaltig zu wirtschaften, und können unseren Kunden so auch in den nächsten fünf, zehn oder 20 Jahren den bestmöglichen Service bieten.
Der Distributionsmarkt hat im letzten Jahr ein massives zweistelliges Minus verzeichnet, teils bis zu 40 Prozent. Wie hat sich Conrad in diesem Umfeld geschlagen?
Wir konnten unsere Position gut halten und haben weiterhin einen Umsatz von über einer Milliarde Euro erzielt. Mittlerweile entfallen rund 80 Prozent unseres Geschäfts auf den B2B-Bereich und dieses Segment entwickelt sich in die richtige Richtung.
Natürlich haben auch wir einen leichten Rückgang verzeichnet. Im Vergleich zu den zweistelligen Rückgängen, die viele klassische Komponentendistributoren erlebt haben, sind wir aber glimpflich davongekommen.
Was unterscheidet Conrad von anderen Distributoren?
Ein wesentlicher Unterschied liegt in unserer breiten Aufstellung. Wir bedienen nicht nur die klassische Elektronikfertigung, sondern auch viele andere Branchen. Zu unseren Kunden zählen beispielsweise Infrastrukturunternehmen, Energieversorger, Krankenhäuser, Schulen und Universitäten.
Diese Diversifikation hat uns geholfen, stabil durch das letzte Jahr zu kommen. Während einige Märkte wie die Elektronikfertigung durchaus herausfordernd waren, sind andere Bereiche stabil geblieben oder haben sich positiv entwickelt. Dadurch konnten wir den Marktrückgang von bis zu 40 Prozent, den manche Unternehmen erleben mussten, gut abfedern.
Eine Spezialität von Conrad ist es, Kunden aus dem B2B-Sektor dabei zu unterstützen, ihre Produkte oder Anwendungen mit Elektronik »anzureichern«, auch wenn diese zuvor keinen Elektronikbezug hatten. Welchen Stellenwert haben diese Sonderprojekte für Conrad?
Schon zu Zeiten von B2C haben wir versucht, Menschen Elektronik zugänglich zu machen – sei es für Technikenthusiasten, die sich bestens auskennen, oder für solche, die sich erst herantasten. Diese Philosophie spiegelt sich auch in unserem Projektgeschäft wider. Wir betreuen zwei Arten von Kunden:
Erstens gibt es die klassischen Elektronikkunden, die zwar Fachwissen besitzen, aber Produkte außerhalb ihres Kerngeschäfts benötigen. Ein Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit Automobilherstellern, für die wir Ladetechnik entwickeln und produzieren – von der Konzeption bis zur Auslieferung an ihre Endkunden.
Zweitens betreuen wir Unternehmen, deren Kerngeschäft nichts mit Elektronik zu tun hat, die jedoch elektronische Komponenten in ihren Produkten benötigen. Beispiele sind Möbelhersteller, die Beleuchtungslösungen suchen. Und sogar für einen Hersteller von Toilettenhäuschen haben wir Elektronik in Form von Heizlüftern implementiert.
Unsere Aufgabe besteht darin, die Herausforderungen der Kunden zu verstehen und durch unser Know-how sowie unser Netzwerk maßgeschneiderte Lösungen zu liefern. Mit unserer Sourcing-Plattform bieten wir darüber hinaus von A bis Z alle Varianten, sei es ein fertiges Produkt oder eine Subkomponente.
Kürzlich hat Conrad die Electronic Direct übernommen. Wie passt das in Ihr Portfolio?
Unser Ziel als Sourcing-Plattform ist es, die Beschaffung elektronischer Komponenten und technischer Bedarfe so einfach wie möglich zu gestalten. Dazu gehört unser eigenes Lagerportfolio, das Angebot unseres Marktplatzes, unser Projektgeschäft und auch Sonderbeschaffungen.
Die Electronic Direct passt hervorragend in dieses Modell, weil sie unsere Kompetenz bei der Beschaffung elektronischer Komponenten stärkt. Gerade in Zeiten von Materialknappheit wird deutlich, wie wichtig es ist, qualitativ hochwertige Ware aus verlässlichen Quellen zu beschaffen – und das möglichst digital.
Electronic Direct bleibt als eigenständiges Unternehmen bestehen, jedoch integrieren wir deren Dienstleistungen in die Conrad-Plattform, um unseren Kunden einen weitestgehend digitalen Sonderbeschaffungsprozess zu bieten.
Electronic Direct ist ein freier Distributor, richtig?
Das ist korrekt. Das Unternehmen operiert als freier Distributor mit Büros in Kanada, China und Deutschland. Es ist wichtig, zwischen freier Distribution und Brokering zu unterscheiden. Für mich ist freie Distribution ein wertvoller Beitrag zur Lieferkette, solange qualitativ hochwertige Produkte aus offiziellen Kanälen beschafft werden. Brokering hingegen ist für mich, wenn man Ware kauft und hofft, dass sie funktioniert.
Europa ist ein kleiner Teil des weltweiten Elektronikmarkts und oft gibt es hier nicht genügend Ware. Freie Distributoren schaffen einen Mehrwert, indem sie Kunden weltweit Zugang zu Produkten und besseren Preisen ermöglichen.
Wie unterscheidet sich Electronic Direct von typischen Brokern, die ja oft auch negativ konnotiert sind?
Electronic Direct ist ein Münchner Unternehmen mit einer langen Geschichte und Fokus auf Qualitätsprozesse. Sie arbeiten mit Kunden aus der Medizin, Luft- und Raumfahrt, Telekommunikation sowie dem Maschinenbau zusammen. Ihr Vertrauensverhältnis zu großen Firmen hat uns überzeugt. Wir wollen diesen Qualitätsanspruch auf unsere breitere Kundenbasis übertragen.
Und wie ist Electronic Direct in Conrad integriert?
Elektronik Direkt bleibt eigenständig und alle Dienstleistungen werden sukzessive in unsere Plattform integriert. So können wir unseren Kunden nicht nur bessere Produkte, sondern auch eine optimierte Beschaffung anbieten.
Und welche Rolle spielt die Eigenmarkenstrategie bei Conrad?
Conrad hat seit mehr als 40 Jahren starke Private-Label-Produkte im Portfolio. Ein prominentes Beispiel ist die Marke »Voltcraft« im Bereich der Messtechnik, die sich mit anderen etablierten Marken messen kann. Unsere Eigenmarkenstrategie ermöglicht es uns, Produkte zu entwickeln, die in bestimmten Marktsegmenten die Anforderungen besser erfüllen als bestehende Markenprodukte – entweder durch einen günstigeren Preis oder durch eine spezialisierte Ausstattung.
Wo werden die Eigenprodukte gefertigt?
Unsere 70-köpfige Mannschaft in Hongkong arbeitet eng mit den Fabriken zusammen, um Produkte nach unseren Spezifikationen herstellen zu lassen. Diese Produkte kommen dann nach Europa und wir übernehmen den Vertrieb und die Vermarktung. Unser Ansatz geht immer von den Bedürfnissen der Kunden und den Anforderungen aus, die wir auf Basis unserer Marktkenntnisse identifizieren. Es geht uns darum, Lösungen zu schaffen, die die Lücke füllen, die von den traditionellen Marken nicht immer abgedeckt werden.
Wie stellen Sie sicher, dass die Eigenmarkenprodukte mit denen etablierter Marken konkurrieren können?
Qualität ist im B2B-Bereich entscheidend. Unsere Eigenmarkenprodukte müssen genauso zuverlässig und langlebig sein wie die Produkte der anderen etablierten Marken. Ein gutes Beispiel ist unsere »Tru Components«-Marke, die hochwertige Relais, Schalter und Kabel zu einem wettbewerbsfähigen Preis bietet. Wir stellen sicher, dass diese Produkte die Anforderungen unserer Kunden erfüllen, und gewährleisten eine langfristige Verfügbarkeit – besonders wichtig im B2B-Bereich, wo ja auch die Versorgungssicherheit zählt.
Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung inzwischen für die Wertschöpfung bei Conrad – Stichwort »Procure Plus«?
Digitalisierung ist kein »nice to have«, sondern ein »must have«. Sie hilft uns, in einem immer wettbewerbsintensiveren Markt konkurrenzfähig zu bleiben, und sie ist auch der einzige Weg, um in vielen Bereichen signifikante Einsparungen zu erzielen. Das gilt für uns genauso wie für unsere Kunden.
Ein Beispiel: Eine durchschnittliche Bestellung, die in einem Großkonzern ausgelöst wird, kostet, je nachdem, welchen Benchmark man nimmt, zwischen 50 und 120 Euro – also nicht Material-, sondern nur Prozesskosten. Im indirekten Procurement werden Einzelbedarfe, sporadische Bedarfe, nicht wiederkehrende Bedarfe gekauft – alles vom Bleistift bis zum einzelnen Bauteil. Dabei stehen also nicht immer tausende Euro an Transaktionsvolumen dahinter, sondern oft nur unter 100 Euro. Demgegenüber stehen aber die besagten Transaktionskosten von 50 bis 120 Euro – da wird schnell klar, dass man diese Kosten deutlich reduzieren muss. Und genau das zeigen wir dem Kunden mit Procure Plus auf: Durch die digitale Vernetzung können Bestellungen direkt vom Kundensystem ins Conrad-System gehen, ohne dass ein Mensch dazwischengeschaltet ist. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch die Prozesskosten. So können Bestellungen schnell und effizient abgewickelt werden. Natürlich gibt es weiterhin Menschen in den Prozessen – besonders bei komplexeren oder größeren Aufträgen –, aber die Routineaufgaben werden durch Automatisierung ersetzt.
Immer mehr Kunden sind bereit, diesen Schritt der Digitalisierung mitzugehen. Im letzten Jahr ist es uns gelungen, die Anbindungen um 15 bis 16 Prozent zu steigern. Inzwischen sind bei uns über 5000 Kunden direkt angebunden.
Welche Auswirkungen hat das konkret auf die Logistik?
Im Vergleich zur klassischen Distribution, bei der Waren in Lagerhäuser und von dort zu großen Kunden transportiert werden, geht bei uns die Ware oft direkt vom Conrad-Lager an den Endverbraucher im Unternehmen. Das bedeutet, dass unsere Kunden eine ganz andere Erwartungshaltung haben – sie wollen ihre Bestellungen schnell und direkt erhalten, nicht in Wochen oder Monaten. Diese schnellen Reaktionszeiten sind nur durch die Digitalisierung und die automatisierten Prozesse möglich.
Der Conrad-Marktplatz ist ein zentraler Bestandteil Ihrer digitalen Strategie. Welche Umsatzgröße wird mittlerweile auf dieser Plattform generiert und wie viele Partner haben Sie an Bord?
Inzwischen generieren wir einen dreistelligen Millionenbetrag über den Marktplatz und wir haben knapp 1.000 Partner auf der Plattform. Der Marktplatz ermöglicht es uns, unser Angebot schnell und flexibel zu erweitern und gleichzeitig die digitale Vernetzung voranzutreiben. Wir sind damit in Deutschland, Österreich, Italien, den Niederlanden und Frankreich aktiv, und ein wesentlicher Schritt für die Zukunft wird sein, Cross-Border-Beschaffung auszubauen – also den Warenverkehr zwischen verschiedenen Ländern zu erleichtern.
Welche Vorteile haben Anbieter und Kunden bei der Cross-Border-Beschaffung?
Es geht darum, es Händlern zu ermöglichen, ihre Produkte über die Grenzen hinweg zu verkaufen. Aktuell können z. B. italienische Händler nach Deutschland verkaufen und umgekehrt. Dass es z. B. auch von Italien beispielsweise nach Frankreich funktioniert, wird ein zentraler Fokus für uns in diesem Jahr sein, denn es ist ein enormer Schritt für die europäische Zusammenarbeit und schafft neue Möglichkeiten für unsere Kunden. Wir glauben fest daran, dass dies der richtige Weg ist, um als Plattform noch attraktiver zu werden.
Was unterscheidet Ihren Marktplatz von anderen, wie zum Beispiel Amazon?
Unser Marktplatz ist definitiv nicht vergleichbar mit Amazon. Wir haben einen sehr selektiven Ansatz, wenn es darum geht, welche Partner wir auf unsere Plattform lassen. Nicht jeder kann sich einfach anmelden. Wir prüfen jeden Partner genauso gründlich, wie wir auch unsere eigenen Lieferanten prüfen. So stellen wir sicher, dass nur die Partner auf unserer Plattform sind, die den hohen Qualitäts- und Serviceansprüchen unserer Kunden gerecht werden. Unser Marktplatz ist also kein »Wildwuchs«, sondern wir achten sehr darauf, dass die Qualität und der Mehrwert für den Kunden im Vordergrund stehen und das immer mit klarem Fokus auf den technischen Bedarf.
Auf dem Conrad-Marktplatz bieten auch Mitbewerber ihre Produkte an. Gibt es da keine Vorbehalte – von beiden Seiten?
Natürlich merken wir, dass der Wettbewerbsgedanke oft im Vordergrund steht. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob ein Partner zu uns auf die Plattform kommen kann, weil er ein Konkurrent ist. Aber ich denke, wir müssen über dieses Wettbewerbsdenken hinauskommen. Nur so können wir als mittelständische Distributoren langfristig erfolgreich bleiben und ein noch stärkeres Gewicht im Markt entwickeln.
Apropos Mittelstand: Wie sehen Sie die Rolle der mittelständischen Distribution in der Zukunft?
Die mittelständische Distribution muss sich keine Sorgen machen, solange sie echten Mehrwert für die Kunden generiert. Die Zeiten, in denen Distributoren einfach nur Waren verteilen konnten, sind vorbei. Es geht heute darum, Lösungen zu bieten und die Prozesse zu optimieren. Ich bin überzeugt, dass die mittelständische Distribution eine Zukunft hat, aber nur, wenn sie sich anpasst und ihre Geschäftsmodelle weiterentwickelt.
Die Zusammenarbeit innerhalb der mittelständischen Distribution muss aus meiner Sicht stärker in den Fokus rücken. Das »Wir versus die Anderen«-Denken ist in der mittelständischen Distribution oft noch sehr ausgeprägt und das ist ein limitierender Faktor. Wenn wir langfristig erfolgreich bleiben wollen, müssen wir mehr gemeinsam arbeiten!